Geschichten:Grauen am Darpat - Unerwünschte Helfer

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Dramatis Personae


Kein unbekannter Jäger


Als der Knappe mit Leomaras Pferd kam, schien sie es sehr eilig zu haben. Unswin blickte ihr lange hinterher, bis sie mit dem Nebachoten hinter einer Wegbiegung verschwunden war. Marnion hatte Mühe sie mit Nefalot einzuholen. Immerhin konnte er so Leomara genauer betrachten ohne aufdringlich zu wirken. Die Jagdkleidung, die sie heute trug, betonte ihre weiblichen Vorzüge. Seine Blicke zeichneten die Konturen ihres Körpers nach oben hin nach. Ihr langes hellbraunes Haar wehte offen im Wind. Er dachte gerade daran, dass ihr Haar so gut zu ihren großen goldbraunen Augen passte, da bemerkte er auf ihrem schlanken Hals merkwürdige rote Male. Marnion zuckte zusammen, so dass auch Nefalot erschrocken aufwieherte und kurz ausbrach.

Einen Moment lang befand er sich wieder zuhause in Kel’zen Tell. Sie waren gerade von einem Feldzug nach Hause gekommen und er hatte nach den Verletzten gesehen. Eine der älteren Frauen, die er schon seit seiner Kindheit kannte, hatte eine scheinbar harmloses Mal von den finsteren Orten mit nach Hause gebracht. Er hatte dem keine Bedeutung beigemessen auch als sich die Wunde nicht schloss. Doch dann waren die Morde an den Kindern geschehen.

Marnion zwang sich zurück in die Gegenwart und bemerkte das sein rechtes Auge zuckte. Einen weiteren Moment später hatte er sich wieder voll im Griff. ‚Das war natürlich Unsinn. Vielleicht hatte Leomara seine Unterstellung doch wahr gemacht und dem Edelknappen einen Besuch abgestattet. Obwohl der Edelknappe auf ihn den Eindruck machte ihr kaum gewachsen zu sein, geschweige denn solche feurigen Bezeugungen der Lust hervorzubringen. Da müsste sie schon mit einem richtigen Mann wie ihm selbst die Nacht verbracht haben, und die waren, wie er wohl wusste, dünn gesät.’ Marnion nahm sich vor der Sache alsbald auf den Grund zu gehen.

Das Schicksal wollte es das sich die Gelegenheit bald ergab. Ein Wagen versperrte Ihnen noch bevor sie das Stadttor erreichten den Weg, so dass sie beide direkt nebeneinander zum Halten kamen. Wenig raffiniert kam der Kelsensteiner gleich zur Sache. ,,Verzeiht, Ihr habt da etwas am Hals.” Mit diesen Worten beugte sich Marnion zu Leomara hinüber und bemühte sich ihr Haar am Hals mit seiner Hand zart beiseite zu schieben um einen Blick aus der Nähe auf die roten Male an Ihrem Schwanenhals zu erhaschen.

Leomara drehte sich irritiert dem Reiter zu. „Wie meint ihr… wo?“ Sie ließ sein Tun zunächst geschehen, war sie doch in der Annahme eines dieser widerlichen Viecher an sich sitzen zu haben, die nicht genug Blut trinken konnten, und hernach schreckliche juckende Stellen hinterließen, die im schlimmsten Fall bald anfingen heiß zu werden und sich zu entzünden. Im Letzten Sommer war es besonders schlimm gewesen.

„Alarmiert fragte sie kaum, dass er angefangen hatte mir seiner Hand das Haar beiseite zu streichen: Ist es weg…? So sagt doch etwas! Ihr könnt ruhig draufhauen, bevor …“

Sie ließ diesen Satz unvollendet und schielte stattdessen dorthin, wo er sich zu schaffen machte, doch dann hielt sie plötzlich mitten in der Bewegung inne, und erstarrte förmlich. Marnion konnte so nur einen kurzen Blick auf das werfen, was ihn zu dieser ungewöhnlichen Tat hingerissen hatte. Vorne war ihr Hals makellos. Weiter hinten aber, wo es unter den langen Haaren kaum zu sehen war hatte er rote Spuren entdecken können. Drei waren es gewesen, bevor sie ihm den Blick verwehrt hatte. Es sah nicht nach der Art von Malen aus, die er schon bei dem alten Weib gesehen hatte, konnte er beruhigt feststellen. Keine Wunde im eigentlichen Sinn, mehr ein Fleck.

Sie senkte den Kopf, und ihr Haar fiel wieder wie ein Vorhang über ihren Hals. Langsam umrundete sie ihn zu Pferd und kam auf seiner anderen Seite zum stehen. „Wagt es nicht noch einmal mich zu betatschen wie ein Stück Vieh, das man nach Gründen untersucht, die den Preis schmälern, sonst vergesse ich mich. Lasst besser nicht aus den Augen, wo ihr euch derzeit befindet!“ Damit ließ sie es vorerst bewenden und schaute ihn abwartend an. Sie hatte sich gerade völlig unter Kontrolle und es war schwer zu lesen, was in ihr vorging.

,,Ihr tragt ein Chorsmal!” Der Nebachote schien schier überwältigt zu sein von seiner Entdeckung. ,“Drei mal Drei ist des Herrn der Neun Streiche heilige Zahl. Der Bruder des Blutes hat Euch berührt und damit auserwählt!”, dann besann sich Marnion, war sie doch eine Garethi, die wohl kaum viel wusste vom Weg des Blutes. ,,Verzeiht meine Dreistigkeit Euer Wohlgeboren, ich dachte einen Moment Ihr hättet eine Wunde am Hals, oder dergleichen, meine Manieren sind durch die Jahre im Felde verroht, jedoch keinesfalls würde ich Euch je als Besitz behandeln noch Eueren Wert einschätzen wollen. Ihr seid als Ritterin mir gleich und Eurem Wesen als Kind der Götter nach unbezahlbar.” Marnion hielt Leomara die nach unten abgespreizten geöffneten Handflächen entgegen als Zeichen seiner Offenheit und ehrlichen Absichten, wie er es als Kind der Berge gewohnt war.

„Was in Rondras Namen faselt ihr da Marnion?“ Völlig verständnislos musterte sie ihn. Sie wusste inzwischen sehr genau, was er da wohl gesehen hatte, wobei ihr nicht bewusst gewesen war, dass das seine Spuren an ihr hinterlassen hatte. Sie würde etwas dagegen tun müssen. Wäre ihr Quanion heute Morgen nur nicht über den Weg gelaufen, dann hätte sie sich das hier sicher erspart. Wer konnte wissen, dass ausgerechnet ihr Bruder schon so früh auf den Beinen war. Ihr Pferd wurde allmählich nervös, war es sich der Unruhe seiner Reiterin doch durchaus bewusst, wenngleich es nicht offenkundig für den Junker zu erkennen gewesen war. Sie schnaubte kurz auf.

„Ich für meinen Teil halte es mit Rondra solange sie mir ihre Gunst nicht entzieht und ich mich als würdig erweise. Ich trachte nicht danach Kor zu gefallen und ich glaube auch nicht, dass ich in seiner besonderen Gunst stehe. Ihr irrt euch.“ Damit wendete sie energisch ihr Pferd, und ließ es in weit ausholenden Schritten weiter zum Lager der Jäger galoppieren.

Marnion schaute ihr noch einen kurzen Moment nach bevor er Nefalot freien Lauf lies, in seinem Versuch das andere Pferd einzuholen. Es würde sich schon irgendwann die Gelegenheit finden, in Ruhe mit ihr zu sprechen. Sollte es sich bewahrheiten, dass sie ein Chorsmal trug, dann musste sie es erfahren. Er hatte ohnehin nie verstanden, wie die Garethi Rondra liebten und den Herrn der Schlachten ignorieren konnten. Nun da sie das Stadttor vor sich sahen, war es erst einmal Zeit herauszufinden, ob sich eine Zusammenarbeit mit Kor`win machen lies.


Unerwartetes Wiedersehen


Die Betriebsamkeit vor den Stadttoren hielt sich in Grenzen. Einige Händler waren mit Karren gerade dabei das Tor zu passieren. Eine Kutsche stand ebenfalls da, und Leomara winkte der beleibten, dunkelhaarigen Frau, die sich kurz heraus gebeugt hatte zu, bevor sie ihren Weg fortsetzte. Wachsamen Auges schaute sie sich nach etwas ganz Bestimmtem um. Die Umtriebigkeit ihres Bruders war ihr nichts neues, aber die Dreistigkeit diese Dinge auf die Burg auszuweiten hatte selbst ihr die Sprache verschlagen.

Nun wollte sie sehen, ob die Leute hier noch lagerten, oder schon weiter gezogen waren. Solange sie keine Scherereien machten, hatte ihr Vater es immer geduldet, dass die reisenden Zahori vor ihren Toren lagerten, auf ihrem Weg vom Irgendwoher ins Irgendwohin. Erleichtert stellte sie fest, dass sie schon weg waren. Dann schaute sie sich nach Marnion um, der würde die beiden Nebachoten sicher einfacher finden als sie. Es waren einige Zelte hier aufgebaut. Den Namen dieses Großwildjägers hatte sie schon einmal gehört, aber wo und wann war ihr einfach nicht mehr in Erinnerung.

Es dauert auch nicht lange, da konnte der Nebachote aus dem Wall die Gesuchten ausfindig machen. Zumindest den Jüngeren erkannte er als Kain wieder. Entsprechend musste der Ältere Kor’win sein. Schaute dieser zunächst eher gelassen Marnion entgegen, verfinsterte sich jedoch sein Gesichtsausdruck, als er Leomara in seiner Begleitung sah. Die Ritterin sah ähnlich missmutig drein wie er selbst. Kain sah daraufhin angestrengt zu Marnion hinüber und wollte nicht den Seitenblick seines Mentors erwidern. Das würde er später ausbaden müssen.

„Scheen, das Du unsärer Einaldung gefolgt bist, Marnion!“ Strahlend begrüßte Kain den Junker, bevor er Kor’win vorstellte. „Dies ist därr große Kor’win Beshir’a Danal han Bahr ai Danal, von seinen Freunden verehrt und von seinen Fainden gefirchtet.“ Kor’win nickte daraufhin Marnion zu, schlug sich die Faust auf die Brust und hielt ihm den rechten Unterarm hin, zum Zeichen der Begrüßung und dass er keine Waffe in der Hand hielt.

„Marnion“ War jedoch alles, mit dem der Jäger den Nebachoten aus dem Wall – recht wortkarg - begrüßte. Die beiden schienen zum Aufbruch bereit zu sein. Ihre Pferde waren gesattelt und das Packpferd beladen. Aus großen jungen und interessierten, sowie aus kühlen, ruhigen Augenpaaren wurden Leomara und Marnion gemustert, so dass dem Junker Zeit blieb seine Begleitung vorzustellen.

Beim näher kommen, beschlich Leomara das ungute Gefühl, dass sie diesen Mann besser kannte als ihr lieb war. Das war doch wohl nicht DER Korwin, von dem ihre Schwertmutter immer berichtet hatte, und der in Gaulsfurt einen dubiosen Sonderstatus inne hatte? Zweifelnd musterte sie den in die Jahre gekommenen Jäger. Sie hatte ihn immer nur kurz gesehen, und ihre Mentorin hatte sich auch nicht sonderlich auskunftsfreudig gezeigt, als sie nachgefragt hatte, warum genau dieser Mann so wohl gelitten war. Innerlich begann Leomara die zwölf Rittertugenden herunterzubeten. Es schien, als ob sie einige Prüfungen vor sich hätte in nächster Zeit. Eigentlich hatte sie hier hart und bestimmend auftreten wollen, damit sie nicht auch noch mit diesen Nebachoten auskommen musste. Aber so…! Ungeduldig blickten ihre bernsteinfarbenen Augen Marnion an. Wann würde er sie endlich vorstellen?

Marnion hatte noch einen Moment verharrt, bis Leomara neben ihm stand. Er verbeugte sich kurz, dann schlug auch er sich die Faust auf die Brust, streckte den Arm vor und öffnete die Hand nach oben. Ein unbedarfter Beobachter hätte meinen können die beiden Nebachoten wollten nun miteinander tanzen. „Der Bruder des Blutes möge Deinen Weg begleiten ya´Achmed Kor`win. Die Ritterin neben mir ist Leomara von Isenbrunn. Sie trägt das Herz am rechten Fleck und ist besorgt über das Wohl der Menschen. Darum möchte Sie Dich Bruder um Hilfe bitten bei der Jagd auf das Wesen vom Darpat.“ Der Kelsensteiner sprach seine Worte als sei es selbstverständlich, das der ältere hier fremde Nebachote um Hilfe gebeten wurde, von einer Vertreterin der Reichsgewalt.

Was für Marnion scheinbar die übliche Vorangehensweise darstellte, war für Leomara scheinbar so ziemlich das Gegenteil von dem was sie vorgehabt hatte. Sei warf ihm heiß funkelnde Blicke zu. Er hatte die Auflagen des Geweihten wohl schon vergessen oder begann er absichtlich sie schon wieder zu reizen? Was hatte er nur gegen sie? Erst das mit diesem merkwürdigen Gefasel über Chorsmale, und dann noch diese Anmaßung zu behaupten, dass sie um Kor’wins Mithilfe bat. Sie hatte sich nur anhören wollen, welche Informationen man austauschen könnte, nichts weiter. Sie trat nun vor, hatte sie es doch satt sich ausgerechnet in Gnitzenkuhl zu fühlen, als sei sie hier nur geduldeter Gast und musterte Korwin interessiert. Ja, nun war sie sich sicher. Er war es. Auch glaubte sie in seinen Augen so etwas wie Erkennen aufblitzen zu sehen. Da ihr Knappe nicht anwesend war, reichte sie einfach mit einem unterdrückten Grinsen Marnion ihre Zügel, Marnion ließ sich die Zügel in die Hand drücken und erwiderte ihr Lächeln, und Leomara begrüßte nun ihrerseits die beiden Nebachoten.

„Die Götter zum Gruße Kor`win von Brendiltal.“ Kain nickte sie nur lächelnd zu. „Wie mir zugetragen wurde, befindet auch ihr euch auf der Jagd nach dem Untier am Darpat. Es steht euch frei, sich der bereits hier in Gnitzenkuhl versammelten Schar anzuschließen auf dass die geeinte Kampfkraft zu einem schnellen Ende dieses Wesens führt und wieder Ruhe und Frieden in den Flussauen einkehrt.“

In diesem Augenblick war die Ritterin sich sicher, Kor’win erkannte sie. Sein Gesicht hellte sich – für seine Verhältnisse – etwas auf und so etwas wie ein Lächeln stahl sich in seine Züge. Ein Anblick der Kain mehr erschreckte, als wenn sein Mentor laut losgewettert hätte. Mit verwundertem Blick beobachtet Kain, wie der ältere Nebachote auf Leomara zuging und sie mit dem Bruderkuss auf beide Wangen begrüßte.

Leomara reagierte verwundert, ließ aber jede Gegenwehr fahren, womit Marnion eigentlich fest gerechnet hatte, und erwiderte die Geste mechanisch. War Kor’win bei Marnion auch sehr wortkarg gewesen, schien dies bei Leomara gänzlich anders zu sein, was Kain nur noch mehr verwunderte.

„Ist äs denn schon so langä her?“ Fragte Kor’win die Ritterin und musterte sie wie ein Großvater seine Enkelin, die er jahrelang nicht gesehen hatte sein. „Wuenn ich gewusst hätte, dass Du die Jagd leitest, wäre ich gleich zu euch gekommän.“

Die an sich gestandene Ritterin errötete leicht, und konnte sich gut vorstellen welches Bild er nun vor Augen hatte. Eine schmale Knappin mit zwei geflochtenen Zöpfchen links und rechts, einem Holzschwert und einem Schild. Kain war sich jetzt wirklich sicher, Kor’win lächelte, als er weiter sprach.

„Wie gäht es Dainer Schwärtmutter?“ Fast beiläufig deutete der ältere Krieger auf ein Zelt, vor dem zwei Bretter auf Holzstumpen aufgebahrt waren und um die jeweils zwei einfache Bänke standen und an denen ein Wirt auf frühe Kundschaft wartete. „Kuomm soviel Zaidt muss sain. Erzähl mir, wuas ihr schon herausgefundän und unternommän habt und wie Du in die Beglaitung eines Kel’zen Tell (=Kelsenburgers) gekommen bist.“ Seufzend aber dennoch noch immer in gelöster Stimmung folgte die Isenbrunnerin dem Nabachoten.

Als Kor’win Leomara einfach zu dem Tavernenschild führte und Marnion und Kain einfach stehen ließ, schaute Letzterer Marnion nur verwundert an und zuckte die Achseln. „Sie kännen sich wohl schon?“ Fragte er fast vorsichtig, nahm jetzt wiederum die Zügel ihrer Pferde und folgte den anderen beiden. Der Kelsensteiner machte eine Geste der Verblüffung, dann lösten sich seine bisher etwas ernsten Gesichtszüge und er schritt neben Kain her. Doch bevor sie sich zu ihnen setzte fragte Kain den Nebachoten aus dem Wall flüsternd. „Ist sie das die Du jagst?“ Marnion antwortete ebenfalls flüsternd. ,,Sie hat mein Herz berührt und ist des Kampfes wert.” Dann setzte er sich zu den anderen und bedeutete dem Wirt Getränke zu bringen.

Leomaras Gedanken wanderten zurück zu einer Zeit, die geprägt war von Zuneigung, Anerkennung, und dem Gefühl endlich einmal am rechten Platz zu sein- ihre Knappenschaft in der Baronie Haselhain. War es für andere Knappen eine schwere Zeit gewesen, so war es ihr ein Wendepunkt in ihrem Leben, der ihr gezeigt hatte, dass mit ihr alles in Ordnung war. Der Umstand, dass sie ein Bastard des Barons war, hatte vermutlich den einzigen wirklichen Grund dargestellt, dass sie so enorme Schwierigkeiten gehabt hatte in ihrer Familie, zumindest bei den Männern auf Liebe und Anerkennung zu stoßen.

Diese Gefühle waren es vermutlich auch, die ein warmes und ehrliches Lächeln auf ihr Gesicht zauberten. „Meiner Schwertmutter geht es gut. Wenngleich ich wenig Gelegenheit habe sie zu sehen. Doch wir schreiben uns.“ Sie lächelte versonnen. „Die Jagd…! Scheinbar haben es die Götter so gefügt, dass sich ausgerechnet in Gnitzenkuhl unsere Wege erneut kreuzen. Einige Adlige haben sich just hier eingefunden, da die Kunde über das Wesen derart ist, dass man sich dem entgegenzustellen gedachte- auch der Junker von Kelsenstein hier. Leider wissen wir bislang wenig. Dort, wo es an Land gegangen ist, finden sich wohl Spuren wie niedergedrücktes Schilf, zerbrochene Muschelschalen im Wasser, aber an Land war kein Abdruck einer Pfote, Klaue was auch immer zu finden. Tiere scheuen in seiner Gegenwart. Menschen geraten in Panik. Darum ist es wohl auch so schwierig genau in Erfahrung zu bringen, wie es genau aussieht. Einzig die Tatsache, dass es nachts unterwegs ist, gilt als gesichert. Wir sind gerade am Darpat dabei Köder auszulegen. Wir wollen uns heute Nacht auf die Lauer legen.“ Sie zuckte ratlos mit den Schultern und überlegte, ob sie etwas vergessen hatte. „Und ihr?“ Welche Erkenntnisse konntet ihr sammeln?“

Als der Wirt die Getränke reichte, gab Kor’win Kain ein Zeichen und dieser drückte dem Wirt ein paar Münzen in die Hand, so dass dieser sich strahlend trollte. Zunächst blieb das Gesicht des älteren Jägers freundlich gestimmt, doch je mehr Leomara berichtet, desto dunkler wurde es wieder. Ein Umstand der Kain sehr beruhigte auch wenn jener über die „Köder-Auslegung“ breit grinsen musste. Sachlich nahm Kor’win das Gehörte auf und ergänzte nun seinerseits. „Ähnliches haben wir auch gehert. Duoch heißt es, dass es nicht nur bai uns im Siden gä’sehen wurde, sondern auch bei dänen auf där anderen Seite däs Flusses.“ Kor’win deutete damit über seine Schulter und Richtung Darpat. „Wir nähmen an, dass äs irgendetwas sucht, wieso suollte äs ansonsten den Fluss hinauf kommän. Und so wie äs aussieht – wenn man dm glaubt was die Fischär erzählen - schwimmt äs gemächlich dän Fluss hinauf, zumindest lassän die Meldungen diesä Vermutung zu. Entwäder ist es sehr langsam, oder lässt sich Zeit. Egal was där Grund ist, äs muss noch in där Nähe sein.“ Kor’win hielt kurz inne und überlegte. „Hm? Kennen wir vielleicht ain Boot habän und ain paar Fischärklaider?“ Kain folgte den Ausführungen seines Mentors nur halbherzig. Vielmehr beobachtete er Marnion und Leomara. Wie verhielten sie sich bei den einzelnen Punkten und was fand der Kelsensteiner an der Isenbrunnerin?

Marnion war offenbar guter Laune. Er saß entspannt auf der Bank, widmete sich seinem Getränk, suchte Blickkontakt mit jedem in der Runde und fand auch ein paar freundliche Worte für den Wirt, als der zum Nachschenken kam. Er schien zwar dem Gespräch zu folgen, aber ob er an den Ausführungen echtes Interesse hatte konnte Kain nicht erkennen. Oberflächlich machte der Kelsensteiner den Eindruck ein naiver Sonderling zu sein, der seinen Narren an einer Ritterin gefressen hatte, die ihm in kaum etwas glich. Doch seine grünbraunen Augen hatten nicht den leeren Ausdruck eines Idioten. Sein Blick war durchdringend und kontrolliert etwa so wie die Reflektion auf einer Klinge und verriet nichts über seine Gedanken. Kain konnte sich schlecht in den Kelsenburger hineindenken. Die Wärme und Schönheit einer Frau war es anscheinend nicht, die Marnion suchte, sonst hätte er auf die bezaubernde Zahori doch anders reagieren müssen, nachdem er ihr geholfen hatte. Vielleicht zog den Bergbewohner gerade die Gegensätzlichkeit zu der Garethi hin?

Er war groß, sie eher klein. Sie lebten in grundverschiedenen Welten, wobei sich die Beiden augenscheinlich bei jedem zweiten Satz oder Geste missverstanden. Leomara wirkte offen und direkt in ihrer Art, während Marnion eher eine scheinbare Offenheit an den Tag legte. Kain zuckte daraufhin mit den Achseln. Er hatte sich zwar vorgenommen unvoreingenommen dem Nebachoten aus dem Wall zu begegnen, doch vielleicht stimmten Kor’wins Ansichten ja doch und die Kel’zen Tells waren wirklich nicht nur Sonderlinge, sondern kurzweg Spinner, denen die Einsamkeit und die Nähe zu den verwilderten Ferkinas nicht gut bekommen ist.

Leomara von Isenbrunn schaute den als Großwildjäger beschriebenen Kor’win einigermaßen verwirrt an. „Fischerkleider?“ Um Zeit zu schinden nahm sie einen tiefen Schluck von dem Humpen, nachdem sie ihrem Gastgeber zugeprostet, und sich für die Einladung nochmals bedankt hatte. Ihre Gedanken überschlugen sich aber derweil. Was wollte der alte Fuchs nur mit Fischerkleidern und einem Boot? Plötzlich dämmerte es ihr und sie nickte ihm anerkennend zu.

„Keine üble Idee. Entweder funktioniert es, oder es verschreckt uns das Tier völlig.“ Von der Seite musterte sie jetzt Marnion der nach ihren bisherigen Erfahrungen gemessen sich ungewöhnlich ruhig verhielt. Sie warf ihm einen langen, fragenden Blick zu. Ihm sollte es doch recht sein, dass sie seinen Landsmännern nicht gleich an die Gurgel ging, oder war er mit ihnen etwa gar nicht so gut Freund wie sie anfangs angenommen hatte.

„Das Boot kann ich euch besorgen, doch sollten wir uns eilen, damit wir alles noch erledigen können. Doch sollten uns diese List und unsere Köder nicht weiter helfen, müssen wir unsere Schritte wohl auf die andere Seite des Darpat lenken. Wir müssen mehr über dieses Tier erfahren, sodass wir ihm irgendwann einen Schritt voraus sind.“

„So machen wir äs.“ Mit der Linken schlug Kor’win zur Bestätigung auf den Tisch und riss Kain damit aus dessen Gedanken. „Kain, Du holst unsäre Sachen. Ich gähe schon mit Leomara hier. Wir träffen uns dann am Wassär und beraiten alles fir die Nacht vor.“ An Marnion gewandt fuhr er dann fort. „Äs wäre gut, wuenn wir mär als ein Boot besätzen und somit mehrerä Ködär auf dem Wassär hätten.“

Marnion sah ein das die Beiden einen Entschluss gefasst hatten, ihm war sehr unwohl dabei, doch er würde Leomara nicht allein in eine schwer einzuschätzende Gefahr gehen lassen und so antwortete er in ruhigen Ton.

„Ich melde mich gerne freiwillig, ein weiteres Boot als Köder mit zu besetzen, da ich sehe, dass Ihr zu einer Übereinkunft gekommen seid. Dennoch kann ich nicht umhin Euch zu warnen. Wenn das Wesen in der Tat eine Gefahr darstellt der wir begegnen müssen, dann werden wir in den Fischerbooten nicht die Mittel haben dem Untier zu widerstehen. Wir werden keine Rüstungen tragen können, Waffen mit ausreichender Durchschlagskraft lassen sich weder auf einem kleinen Boot noch im Wasser verwenden, das Wesen könnte das Boot versenken, womit wir weiter im Nachteil wären und wir könnten uns weder schnell genug helfen noch hätten wir eine ausreichende Bedeckung durch Magie oder Geschützfeuer, da nun die Admiral Dozman ausgelaufen ist.“

Die Ritterin hatte aufmerksam gelauscht. Sie nahm Marnions Einschätzung durchaus ernst, was man an ihrer Miene deutlich erkennen konnte.

„Ich weiß, dass die Admiral Dozman eine nicht zu unterschätzende Hilfe gewesen wäre, doch nun müssen wir schauen, dass wir das Beste daraus machen. Wenn ich Arn unseren Hafenmeister richtig verstanden habe, wird einer der Köderplätze an der alten Weide sein. Dort könnte man auch gut im Fluss ankern, und dennoch nicht ohne Schutz sein, da sich Bogenschützen im Baum postieren könnten. Wir werden uns die Sache besehen, und dann vor Ort eine Entscheidung treffen.“ Ihr Ton ließ keinen Zweifel daran, dass ihr Tatendrang keine weitere Verzögerung zulassen würde. Sie nahmen von Kain ihr Pferde in Empfang und ritten alsbald wieder durch die Tore der Stadt, um am Hafen ihre Pläne zu verwirklichen.

Je näher sie dem Hafen kamen, desto schweigsamer wurde Kor’win wieder. Mit jedem Schritt ihrer Pferde verfinsterte sich wieder seine Miene. Kain konnte nicht mit Gewissheit sagen, ob die Nähe der Stadt der Auslöser war, oder ob sein Mentor einfach nur wieder sein Augenmerk auf ihre Sache legte und auf ihre bevorstehende Aufgabe konzentrierte. Die Einwände des Junkers hatten beide Jäger zur Kenntnis genommen, aber ansonsten nicht weiter kommentiert. Was hatten sie ansonsten auch erwartet? Jedes Tier muss man anders jagen. Ein Unwesen aus der Dunklen See anders als ein Ferkina, diesen wiederum anders als einen tollwütigen Wolf und diesen wiederum anders als einen entflohenen Gefangenen.



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Texte der Hauptreihe:
30. Ing 1032 BF zur mittäglichen Praiosstunde
Unerwünschte Helfer
Auf zur Jagd


Kapitel 23

Wenn die Gnitzen tanzen
Autor: Eslam, Hermann K.,Nicole R.