Geschichten:Greifendämmerung - Ein Platz ist wie ein Loch

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Byrkenweiler, Dorf in Syrrenholt, Praios 1036 BF

Der Ort war ein kleines Reichsforster Kaff, das seine Ärmlichkeit auch dadurch zur Schau stellte, dass die meisten Häuser mit billigen, größtenteils bemoosten Holzschindeln gedeckt waren. Der Regen der letzten zwei Wochen hatte die Wege im Ort zu schlammigen Pisten werden lassen, in denen die Pfützen standen. In der Mitte des Ortes gab es so etwas wie einen Platz, der durch eine alte Gerichtseiche gekennzeichnet war sowie den Peraine-Tempel, vor dessen Stufen sogar ein paar Steine eine begehbare Pflasterung darstellten, und dem Gasthaus, das ›Gasthaus‹ hieß. Die Häuser standen alle soweit auseinander, wie sie es nun einmal in bäuerlichen Dörfern tun, weshalb der Platz eigentlich keinen Platzcharakter hatte.

›Es fehlt einfach eine Häuserreihe, die so eine Platzseite ausmachen müsste‹, dachte Franwin von Luring-Franfeld auf einem Lehnstuhl vor dem Gasthaus in der Sonne sitzend. ›Überhaupt, das ist seltsam: Ein Platz wird erst zum Platz durch die Häuser, die ich umgeben. Vorher ist da kein Platz, obwohl sich auf dem Platz ja nichts ändert. der ist ja ein Platz, eben weil da nichts steht. Ein Platz ist wie ein Loch, das gibt es auch nur, weil etwas drum herum ist.‹ Franwin drehte den Kopf zu dem neben ihm sitzenden Moribert von Goyern, der auf einem Strohhalm kaute und das Gesicht der Sonne zugewandt hatte, die nach Tagen endlich mal wieder geruhte zu scheinen. Beide bemühten sich um so wenig Bewegung wie möglich, weil die Luftfeuchtigkeit fast im sichtbaren Bereich lag.

»Ha, Moribert. So ein Platz ist wie ein Loch!«

»Moribert öffnete sein linkes Auge und schielte zu Franwin hinüber: »Du hast einen Knall. Zuviel Regen, nehme ich an.«

»Nein, pass auf«, begann Franwin sich begeisternd und setzte sich aus. »Erst wenn da etwas am Rand steht, dann wird, so ein Platz zum Platz. Wenn da drüben … steht dein Bruder.«

»Was?« Moribert setzte sich ruckartig auf. Tatsächlich; Da stand sein Bruder Ansbart in Begleitung des gräflichen Schreibers Schmockenbocker und der Ritter Rondger von Scheupelburg und Hardane von Doriant sowie vierer Pferde. »Was will der denn hier? Wie hat der uns gefunden?«

Moribert erhob sich aus seinem Stuhl, rückte seine edelsten Teile zurecht und stieg die Stufe von der hölzernen Veranda des Gasthauses hinab auf den Platz. Der war ein See aus Morast, durch den sich der plumpe Ritter unter saugenden und schmatzenden Geräuschen seiner Füße bewegte. Ohne die guten Stiefel wäre er nicht trockenen Fußes bei seinem Bruder angekommen.

»Ansbart, wie schön, dass du hier bist! Willkommen in Byrkenweiler. Von hier aus hat meinen einen herrlichen Blick auf den Arsch der Welt!«

»Moribert, mir ist nicht nach Scherzen zumute. Wir sind gestern den ganzen Tag durch den Regen geritten und heute durch diese schwüle Luft. Entsetzlich.« Er wischte sich mit der Hand über die glänzende Glatze und danach durch den schweißnassen Bart. Er sah aus, als hätte es heute auch noch einmal geregnet. »Aber wir mussten herkommen.«

»Aber warum denn?« Moribert hatte bequemen Stand vor der Gruppe gefunden und musterte Ritterin Hardane. ›Breites, bewegliches Becken. Emmeran hat sie bestimmt gut zugeritten …‹ dachte er.

»Weil Ihr Geld aus der Schatulle genommen habt! Darum. Seit wann unterstützt denn der Graf das irrwitzige Kaiser-Hal-Kanal-Projekt? Hm?« Ansbart war als gräflicher Kammerherr für seine Pedanterie bekannt. Und als größter Langweiler zwischen Rakula und Raller. »Da sitzt ja auch dieser unselige Franwin. Winkt - Trottel. Moribert, wo geht es zu den Kanalarbeiten? Du gehst vor.«

Die Truppe bewegte sich am Morast entlang auf den Ortsausgang zu. Hinter den letzten Häusern konnte man auf die Weide treten, die war nicht gar so nass und trittlos wie die Wege. Moribert stapfte voraus, hinter ihm folgten Ansbart von Goyern, der gräfliche Schreiber und die beiden Ritter, die miteinander schäkerten. Alle führten ihre Pferde am Zügel. Hinterdrein trottete nun auch Franwin von Luring-Franfeld, der sich neugierig aus seiner Ruheposition bewegt hatte.

Nach etwa zehn Minuten erreichten sie die Baustelle: Auf gut hundert Schritt kerbte sich eine tiefe Senke in die Landschaft, deren zum Teil recht steilen Seiten mit langem Gras bewachsen waren. Ganz vorne, Richtung Byrkenweiler, arbeiteten die Bewohner dieses Ortes in grimmiger Fron in der Grube und schippten morastigen Sand in Kiepen, die von anderen den Hang hinauf getragen und auf Erdhügeln abgeladen wurden. Gut sechzig Leute schufteten hier unter der sengenden Sonne, um aus der langen Kuhle, deren Breite gut acht Schritt maß, Schlamm, Sand und Kies herauszutragen. Immer wieder rutschten Teile der Wände nach, weil sie nicht abgestützt worden waren. Überhaupt machte das ganze Gewese einen nicht gerade gut organisierten Eindruck. Am Rande der Erdhaufen standen zwei große Zelte. Eines hatte eine zurückgeschlagene Eingangsplane, und man konnte sehen, dass sich Menschen im Zelt befanden.

Moribert führte die Truppe fast bis an die Zelte heran und wies dann überflüssigerweise auf das Geschehen im Graben hin: »Hier wird gearbeitet«, sagte er zu seinem Bruder.

»Ach was!«, schnappte dieser und schritt auf das Zelt zu, als just ein schlaksiger Mann in bürgerlicher Kleidung heraustrat. Ihm folgten der elegante Ungolf von Luring-Prestelberg und eine herbe Schönheit, die missratene Granfeld.

»Die Götter zum Gruße, Prestelberg. Was tut Ihr denn hier?« fragte Ansbart von Goyern ungehalten.

»Na, wir graben den Kanal weiter. Was glaubt Ihr denn?«, gab Ungolf aalglatt zurück.

»Ich weiß es nicht. Aber Ihr habt 100 Goldstücke aus der Kassa des Grafen genommen. Habt Ihr denn den Baron von Syrrenholt gefragt, ob Ihr das hier überhaupt dürft?« Ansbart war ungehalten, das sah und hörte man. Er trat näher an die Baugrube heran. »Kanalarbeiten nennt Ihr das? Seht doch, das sieht mir mehr nach Brunnenschaft aus!«

Ansbart trat noch weiter an die Kante heran. Darunter wurde eifrig gearbeitet und ausgehoben, es gab auch Holzverschalungen und Streben, damit der Morast nicht nachrutschte. Und in der Tat ging der Graben eher in die Tiefe als in die Weite, gut fünfzehn Schritt mochten es sein.

»Vorsicht, der Grund ist hier rutschig«, warnte Prestelberg den gräflichen Kammerherrn und gab ihm einen beherzten Stoß.

Ansbart war viel zu überrascht, um zu schreien. Er fiel stumm hinab, schlug mehrfach auf Balken und Steine auf und landete schließlich mit einem krachenden Knacken zwischen zwei Arbeitern, die sofort zur Seite sprangen. Ansbarts Augen blickten leer in den blauen Himmel über dem Loch.

»Was für ein schrecklicher Unfall«, bemerkte Prestelberg und drehte sich zu Ansbarts Begleitern um. Die Ritter Hardane und Rondger lachten, der schlaksiger Bürgerliche schielte wie unbeteiligt den letzten Weg Ansbarts hinab, Moribert von Goyern starrte mit offenem Mund und der gräfliche Schreiber Schmockenbocker begann bleich zu schlottern.

»Das war kein Unfall«, presste er hervor. »Ihr habt ihn gestoßen! Ihr anderen habt es doch auch gesehen. Herr Moribert, er hat Euren Bruder gestoßen!«

Moribert von Goyern schloss seinen Mund wieder, schüttelte kurz seinen Kopf, wie um aufzuwachen. »Es war ein Unfall«, sagte er tonlos.

»Das ist doch Wahnsinn! Er hat den gräflichen Kammerherrn ermordet, und Ihr Ritter steht nur so herum?«

»Du hast Recht, Schreiber«, sagte Korwinne von Granfeld kalt und zog einen Dolch.

Schmockenbocker deutete diese Geste ganz richtig und wandte sich zur Flucht. So schnell ihn seine Beine trugen, rannte er von den Zelten und den mörderischen Zelten fort. Doch Korwinne, die ihm kurz lächelnd hinterher gesehen hatte, holte ihn spielend nach nur etwa 50 Schritt ein. Katzenhaft riss sei den Schreiber von den Beinen, packte ihn am Schopf und schnitt ihm die Kehle durch, ohne dass ein Schrei zu hören war oder sie auch nur einen Tropfen Blut abbekam.

»Sauber«, kommentierte Prestelberg den Mord. »Aber nun müssen wir hier etwas tun. Goyern wird in Luring gesagt haben, wohin er ging. Jetzt müssen wir den Baron doch noch informieren. Und die Leiche des Schreibers loswerden.«

»Was ist mit Ansbart?«, wollte Rondger wissen.

»Ein schrecklicher Unfall, Ihr habt es ja gesehen«, bemerkte Prestelberg. »Baldus, Ihr kommt mit mir nach Zankenblatt. Wir brauchen sowieso die verfluchten Karten dieses Dunvallo. Sonst finden wir das Lager von Gareticus nie. Moribert, Franwin, bleibt bei dem Loch hier. Korwinne wird sich um den Schreiber kümmern.




Ermordung von gräflichem Kämmerer und gräflichem SchreiberWappen Grafschaft Reichsforst.svg

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Ereignis:
Ermordung von gräflichem Kämmerer und gräflichem Schreiber
Datum:
15. Pra 1036 BF