Geschichten:Greifendämmerung - Ritterschläge sind auch Schläge
Auf Schloss Vieselfeld, Efferd 1039 BF
»Was willst du denn mit dem alten Lappen, diesem Rakulabanner?«, fragte Franwin neugierig.
»Weißt du, das geht dich nichts an. Du wirst es merken, wenn es soweit ist und keinen Moment früher. Ich weiß es selbst kaum, weil er mich auch nicht in alles einweiht. Du kennst ihn ja: Er plant gern weit im Voraus.« Ungolf schnippte seinem Vetter den Wurstzipfel ins Gesicht; den Rest des trockenen Darms, auf dem man sich einen Ast kauen konnte.
»Lass das«, beschwerte sich Franwin, »du benimmst dich wie ein Knappe.«
»Knappe? Nie gewesen. Hat mich nicht interessiert.« Ungolf nahm eine weitere Knackwurst aus dem Korb, der auf dem Beistelltischen vor dem hohen Schlossfenster stand, von wo aus sie einen weiten Blick über die von der einsetzenden Dämmerung in sanftes Licht getauchten Vieselfelder hatten. Der Schlossherr sah mit starren Augen zu.
»Und wenn dann doch mal einer mit dem Schwert kommt?«
»Dann frage ich Rudon, der paukt mich schon raus. hast doch gesehen, wie er Odo versohlt hat, meinen braven Bruder. Höhö«, lachte Ungolf höhnisch, »das war einer der schönsten Tage meines Lebens!«
»Neffe, so geht es nicht weiter. Dieser Knecht ist frech und stolz. Du solltest ihn züchtigen. Oder das mir überlassen.« Odo von Luring-Mersingen stand steif aufgerichtet vor seinem Neffen Drego, der seine Ellenbogen unglücklich auf den Frühstückstisch im großen Remter abgestützt und sein Kinn auf seine Hände gelegt hatte, als wäre die Bürde zu schwer, um sie ohne Stütze tragen zu können. Der ›Knecht‹ stand nicht minder steif aufgerichtet nur unweit vor dem alten Schwertmeister Luringens und begegnete der Klage mit spöttischer Miene. »Du siehst es: Er wagt zu grinsen, der Hund.« Mit einem Satz sprang Odo zu Rudon Langenlob, um ihm eine Maulschelle zu verpassen. Doch Rudon war schneller und fing die schlagende Hand am Handgelenk auf. Und hielt sie fest - genauso lange, damit jeder sehen konnte, welcher Arm stärker war. Odo knurrte böse, als Rudon seine Hand in einer wegwerfenden Geste losließ, und wollte nachsetzen, doch Drego rief. «Es reicht, beide aufhören!«
»Beide?«, bellte Odo. »Beide! Der Wurm hat seine Hand erhoben und gehört gezüchtigt.«
»Der Wurm würde Euch züchtigen, alter Mann«, zischte Rudon mit überlegenem Lächeln. Wieder wollte Odo zuschlagen, doch Drego rief erneut: »Halt! Nicht doch! Onkel, lass Rudon, er ist mein Freund. Und du, Rudon, sei höflich zu meinem Onkel.«
Mittlerweile hatte sich ein Teil des Hofstaates dem Geschehen zugewendet. Die Diener hatten das Abräumen eingestellt, die Hofangehörigen spitzten neugierig die Ohren. Dregos Schwester Lechmin trat nun an ihren Bruder heran: »Drego, das geht so nicht«, sprach sie leise auf ihn ein. Dein Freund mag dein Freund sein, aber er ist nicht von Stand. Und Odo ist dein Onkel, er ist Schwertmeister auf dieser Burg und deren Burgsass. Du kannst nicht zulassen, dass ein Gemeiner deinen Onkel so behandelt.«
Drego hörte zunächst aufmerksam zu, doch wurde er dabei sichtlich ärgerlicher. »Genug!«, blaffte er. »Du hörst dich schon an wie Ederlinde! Eine Schwester mit Pfaffengehabe reicht mir. Onkel: Du magst von einem Gemeinen nicht so behandelt werden?« Odo nickte und warf Rudon einen Bick voller Verachtung zu. »Gut, dann müssen wir das eben ändern. Nimm dein Schwert, Onkel. Rudon knie nieder!«
Beide Männer zögerten, blickten erst sich, dann Drego fragend an. »Macht schon, alle beide!«, befahl Drego wütend. Rudon beugte das Knie und Odo nahm das Schwert. »Und nun, Onkel, wirst du diesen Mann zum Ritter schlagen.«
»Wie bitte? Keineswegs, Neffe«, entrüstete sich Odo.
»Oh doch, Onkel. Ich befehle es dir als Regent der Grafschaft Reichsforst. Und wenn du es nicht machst, finde ich einen anderen Ritter, der es tut. Also los!«
Odo lief rot an, seine Kiefermuskeln spannten sich und harte Adern traten auf seine Stirn. Seine blaue Augen blitzten, doch jahrzehntelange Schulung stählte seine ritterliche Haltung selbst in dieser Demütigung. »Wie du befiehlst, Neffe«, knirschte Odo tonlos und hob sein Schwert. fast sah es so aus, als wollte er Rudon Langenlob den Kopf abschneiden, doch dann intonierte er feierlich: »Im Namen des Herren Praios, seiner Schwester Rondra und der anderen unsterblichen Zehn, im Namen der Ehre, des Mutes und der göttlichen Kraft. Im Namen der Treue, der Liebe und der Achtung vor jeglicher gutherzigen Kreatur senke ich diese Klinge auf deine Schultern, die fortan eine ehrenvolle, aber schwere Bürde tragen sollen. Erhebe dich nun Ritter … Rudon.«
Rudon grinste über das breite Gesicht und sah deshalb die Maulschelle dieses Mal nicht kommen. Odos Hand krachet gewaltig in Rudons Gesicht. Doch ehe er auffahren konnte, krächzte Odo: »Die musst du nehmen, Hundsfott!«
»Mag sein, Odo, Standesbruder«, gab Rudon zurück und wischte mit dem Handrücken über seinen Mund, »aber den Hundsfott nicht.« Er griff an seinen Gürtel, zog seine Fechthandschuhe heraus, wählte sorgsam einen aus und warf ihn vor aller Augen ins Gesicht des zornglühenden alten Recken. Odo fing den Handschuh auf, als er von seinem Gesicht rutschte. »Es sei, Hundsfott. Hier und jetzt.«
»Oh nein!«, rief Drego, »ihr solltet euch doch vertragen!« Doch seine Schwester erklärte: »Zu spät, Bruder. Jetzt tragen sie‘s aus. ist vielleicht besser so.« Sie ging zu ihrem Onkel, um ihm zu sekundieren. Auf der andren Seit war Emmeran von Erlenfall herangetreten, um den Ehrenhändel für Rudon zu begleiten.
Und schon ging es los, kaum dass die Sekundanten den Kampf frei gegeben hatten. Mitten im Remter - man hatte die Bänke und Tische fix an die Wand geschoben, die Zuschauer waren gleich drauf gesprungen - kreuzten der gefürchtete Fechtmeister Luringens mit einem frisch gebackenen Ritter die Klingen. Auch wenn Odo schon alt war, die Wettquoten standen eindeutig für ihn.
Deshalb war die Überraschung groß, als Rudon die Attacken Odos mit Leichtigkeit abwehrte. Spielerisch umtänzelte er den greisen Ritter, fing mit kunstvollen Paraden die Streiche Odos auf. Selbst Odos Tricks und listigen Manöver sah Rudon stets kommen - offenbar hatte es sich ausgezahlt, dass er den Schwertübungen der Knappen so häufig zugesehen hatte.
»Und so etwas will Schwertmeister von Luring sein?«, höhnte Moribert von Goyern übermütig (er hatte seine Lektionen von Odo stets einstecken müssen), und nicht wenige murmelten Zustimmung. Immerhin war Odo nicht gerade beliebt.
Das Duell ging weiter, nun war es an Rudon, seinen Gegner zu bedrängen. Die Klingen sausten durch die Luft, und schnell war den kundigen Beobachtern des Kampfes deutlich, dass Rudon überlegen war: überlegen an Kraft, an Können und an Schnelligkeit. es war nur die Erfahrung Odos, die ihn so lange rettete. Die Rudon kannten - Dregos Bande - wussten um die Fechtkünste ihres Gefährten. Sie wunderten sich über die Widerstandskraft Odos. Die anderen, die zusahen, sahen mit wachsender Bestürzung, dass der unbesiegbar geglaubte Schwertmeister in Bedrängnis geriet.
Da!
Mit derselben Schwertdrehung fügte Rudon dem graubärtigen Ritter eine Wunde am Oberarm zu und entwaffnete ihn. Scheppernd dengelte Odos Schwert auf die Fliesen und in die Stille des Raumes atmeten die beiden Duellanten heftig.
Odo ertrug diese zweite Demütigung steinern. Bückte sich nach seinem Schwert, stecket es ein, verbeugte sich vor seinem Neffen und verließ den Saal schweigend, Lechmin rannte ihm hinterher. Drego hingegen brach das Schweigen: »Was für ein Kampf! Rudon, du Meisterfechter!« Der ganze Saal brach in Geplapper aus - jeder kommentierte seinem Nachbarn, was er gerade gesehen hatte.
»Das war so schön! Als Odo mich verdroschen hatte, an Danos‘ 61. Tsatag, da hatte ich mir so sehr gewünscht, dass irgendwann mal jemand Odo so verdreschen würde!«, sagte Ungolf versonnen.
»Hast du gewusst, dass Drego zum neuen Burgsassen auf Luringen machen will?« Franwin strahlte, als er Ungolf etwas erzählen konnte, was der noch nicht wusste.
»Nee! Ehrlich? Großartig! Ha, das wird Odo nochmal ärgern. da kann er sich noch so sehr auf Ginsterhort verkriechen, ich weiß, dass es ihn wurmt wie nichts anderes!« Ungolf spuckte aus. »Und wie will er sich nennen? Er kann ja kaum ›Ritter Rudon von Luring‹ werden.«
»Korwinne meinte, Rudon wird sich ›von Zwillingsstein‹ nennen. Wegen der Burg, aber auch weil Rudon ja diesen Steinetick hat.«
»Na dann, prächtig. lass uns jetzt gehen, Nimm das Banner und ab zurück zum Zwillingsstein!« , rief Ungolf und steckte noch ein paar der fremden Würstchen ein, während Franwin dem Schlossherrn das Banner aus dem Mund nahm, woran er erstickt war.
◅ | Chronica Luringensis 1034-1037 BF |
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Ein Drittel Unglück | ▻ |