Geschichten:Greifendämmerung - So vergesslich
Auf Burg Zankenblatt, Mitte/Ende Praios 1036 BF
»Das ist mal ein Kasten«, bemerkte Rondger von Scheupelburg trocken. Vor den drei Reitern wuchs Burg Zankenblatt auf der einzigen nennenswerten Erhebung in den blauen Praioshimmel. Die Festung wirkte überdimensioniert, fast wie eine Zwingburg für das ganze Königreich. Und genau das soll sie dermalen gewesen sein, als sie noch Kaiserswacht geheißen hatte.
»Kannste wohl laut sagen. Und dennoch haben hier auch die Orks gehaust, nachdem sie den Laden erobert hatten. Und heute sitzt da …« Ungolf von Luring-Prestelberg rückte sein Halstuch zurecht, prüfte den Sitz des Umhangs im Luringer Rot und gab dann seinem Pferd mit den Hacken zu verstehen, dass genug geglotzt sei. Rondger folgte sogleich und hernach Korwinne von Granfeld. Den Schreiber hatten sie im Gasthof im Ort gelassen. Auf dem Weg zur Burg hinan tauschten die drei letzte Informationen aus.
»Den Empfehlungsbrief von Drego habe ich. S’ist immer gut eine Blankourkunde mit sich zu führen. Ich kümmere mich um den Baron, Korwinne, du suchst die Werkstatt dieses Magiers auf. Hast du alles, was du brauchst?«
Die schlanke Frau warf Ungolf aus ihren grauen Augen einen vielsagenden Blick zu, als hätte sie verächtlich geschnaubt. Das tat sie aber nicht. Sie deutete nur ernsthaft auf ihre Umhängetasche und reckte dann das Kinn vor.
Die Formalitäten am Tor waren schnell erledigt - immerhin führte Ungolf alle gräflichen Empfehlungen mit sich, die man brauchte, um in Reichsforst überall Einlass zu erhalten. Die Pferde ließ man am Tor und folgte dem Lakaien in den Inneren Hof, über diesen hinweg zum Palas. Korwinne verließ die Gruppe bereits hier und steuerte einen der runden Ecktürme der Burg an.
»Seine Hochgeboren wird sehr erfreut sein, Euch zu treffen«, versicherte der Lakai. Doch Ungolf schenkte ihm keine Beachtung. Die einzigen Muskeln, die er wegen eines Lakaien bewegt hätte, wären jene, die man benötigt, ihn auszupeitschen. Er folgte ihm durch die schmucklosen Gänge des Palas, der ganz offensichtlich von zu wenigen Leuten benutzt wurde - oder einfach zu groß war. Andererseits hörte man immer wieder von geheimen Zusammenkünften auf Zankenblatt, von vielen Gästen, die Baron Erlan zu sich einlud, um … tja. Um was eigentlich zu machen? Ungolf war es ziemlich egal. Die anderen Gerüchte über Baron Erlan ließen es naheliegen, dass er seine Gäste zum Ringelpiez mit Anfassen einlud.
»Da wären wir. Wenn Ihr kurz warten wolltet?« Der Lakai verschwand und ließ Ungolf und Rondger allein in einem ansprechend eingerichteten, getäfelten Gemach mit Bleiglasfenstern und weichen Teppichen. Ein großer Kamin versprach, im Winter für Wärme zu sorgen.
»Guck mal, der Ausblick! Wahnsinn!« Rondger war an das Fenster getreten und spähte hinaus über die Wälder und Felder Syrrenholts. Ungolf trat zu ihm.
»Ob man hier an klaren Tagen bis Gareth sehen kann?«, fragte Ungolf.
»Nein, in klaren Nächten«, ertönte es hinter ihnen. Rondger und Ungolf drehten sich um und sahen Baron Erlan vor sich und räusperten sich.
»Dann sieht man die Lichtkuppel über der Stadt da im Osten! Wie eine Käseglocke. Oder wie der Schein einer Kerze. Wäre freilich heller, wenn Gareth brennen würde. Aber in der Nacht des Feuers war es zu diesig. Nehmt Platz.«
Baron Erlan trug einfaches Wams und Hose, Pantoffeln und hatte die Ärmel hochgekrempelt. Sowohl seine Hände als auch die Leinenschürze, die er übergeworfen hatte, waren mit Farben verschmiert. Auf dem Kopf trug der Baron ein Barett, das aussah wie eine erschlaffte Kochmütze - und weiß war es auch nicht mehr. Grüne und gelbe Spritzer hatten es eingefärbt. Ein gelber Klecks war dem Baron an die Stirn gesprungen, aber er hatte es offenbar nicht gemerkt. Ungolf und Rondger sahen sich kurz an, dann setzten sie sich auf zwei Stühle am Kamin.
»Ich versuche mich gerade in Landschaftsmalerei. Wer von Euch ist Drego?«, fragte Baron Erlan fröhlich und setzte sich auf die Lehne eines Sessels.
»Euer Hochgeboren«, räusperte sich Ungolf, »keiner von uns beiden ist Drego.«
»Ach? Travian hat doch aber gesagt: Siegel von Drego von Luring.«
»Gewiss, Euer Hochgeboren, wir kommen namens und im Auftrag des gräflichen Regenten Drego von Luring …«
»Regent? Wieso regentet er denn? Was ist denn mit Graf Danos? Ist er etwa … ?« Erlan zog ein bekümmertes Gesicht.
»Nein, Hochgeboren, Graf Danos reitet mit dem kaiserlichen Banner und befreit die Wildermark.«
»Kaiserliches Banner! Fanfarenhall, Posaunenklang! Ha! Ein Bärenkerl, der Graf! Reitet sie alle nieder, ratzfatz dem Feind den Kopf ab! Hineeiiiiin in die Reihen des Feindes!« Baron Erlan war aufgesprungen und schrie den letzten Satz wie ein Schauspieler auf der Garether Vagantenbühne. Dann bemerkte er seinen Ausfall, nickte kurz indigniert und setzte sich wieder. »Graf Danos, soso.«
»Ja, er hat seinen Sohn und Erben für die Zeit seiner Abwesenheit zum Regenten bestimmt. Und dieser schickt uns zu Euch, Hochgeboren.« Ungolf verzog keine Miene.
»Der Regent schickt Euch, Drego«, nickte Baron Erlan wissend.
»Nein, mich Ungolf.«
»Genau. Warum?« Die Farbe an den Händen des Barons begann zu trocken, und ihm schien es zu gefallen, die Hände immer wieder zu ballen und zu öffnen und die Farblacken auf- und abplatzen zu sehen.
»Es geht um die Bauarbeiten am Kaiser-Hal-Kanal«, begann Ungolf, doch Baron Erlan sprang schon wieder auf: »Ein großartiges Projekt! Die Verbindung zwischen den Meeren, hier, im Herzen des Kontinentes! Ein Band aus Wasser zwischen Rakula und Gardel! Schiffbar! Schiffbar!« Begeistert schüttelte er die Hände über dem Kopf, dass die Farbkrümel nur so rieselten.
»Das ist toll«, pflichtete Ungolf matt bei. »Der Regent wünscht, die Arbeiten fortzusetzen.«
»Er will sie fortsetzen?« Baron Erlan setzte sich wieder, aber beugte sich sehr weit vor. »Das muss ich Magus Cormac erzählen!«
»Nicht nötig. Es geht eher um eine Überprüfung der Baustatik«, knirschte Ungolf.
»Die ist völlig in Ordnung. Der Magus ist ein fähiger Mann! Erzmagier, also Magier des Erzes!«
»Ist auch nur Routine. Wir wollen Euch jedenfalls davon in Kenntnis setzen, dass wir den Kanalbau prüfen.« Ungolf schien die Geduld zu verlassen, die Rondger schon längst abgelegt hatte. Er rollte die Augen und fletschte die Zähne und wäre wohl am liebsten rausgegangen. Oder dem Baron an die Gurgel.
»Ihr habt meine Erlaubnis«, gestatte Baron Erlan mit wichtiger Miene. »Vielleicht solltet Ihr den Magus mitnehmen? Der kann Euch alles genau darlegen. Habe hier auch eine alte Heroldausgabe, da ist auch ein sehr ausführlicher Bericht …«
»Danke, Hochgeboren, die Berichte kennen wir. Wir wollen eine unvoreingenommene Prüfung vornehmen, weshalb wir auch den gelehrten Herrn lieber anschließend konsultieren wollen«, sagte Ungolf und hoffte, die Unterredung wäre bald zu Ende.
»Meinethalben. Aber dass Ihr mir nichts kaputt macht! Wo prüft Ihr?« Baron Erlan hatte erneut angefangen, die trocknende Farbe von den Fingern zu pulen.
»Mal hier, mal do..«, wollte Ungolf sagen, aber Rondger zischte ungehalten: »In Byrkenweiler, wenn Ihr’s genau wissen wollt!«
»O ja, in Byrkenweiler. Hübsch da. Die Birken und so. War da nicht auch dieses Lager des Gareticus?« Baron Erlan schien mit den Augen in der linken Hälfte seines Hirns nach der Antwort zu suchen. »Genau, Gareticus. Das war da.«
»Ja, Mann«, herrschte Rondger und sprang auf, während Ungolf ebenfalls aufstand, um Rondger beruhigend die Hand auf den Unterarm zu legen.
»Byrkenweiler wollten wir als Erstes ansteuern», entgegnete Ungolf. »Eigentlich haben wir das schon, Euer Einverständnis voraussetzend, Euer Hochgeboren.«
»Ach was, natürlich. Habt Ihr was gefunden? Steine und so?«, fragte Baron Erlan nach, offenbar ohne Groll, dass man einfach so anfing, seine Scholle umzugraben.
»Steine? Wie kommt Ihr gerade auf Steine?«, fragte Ungolf erschrocken nach.
»Wir hatten damals ein paar rausgeholt, als wir den Kanal noch bauten. Magus Cormac weiß darüber mehr. Tolle Dinger. Waren irgendwie bearbeitet und so. Sehr alt, meine der Magus. Aber wenn Ihr Steine braucht, meine Herren, bedient Euch nur. Ihr könntet halb Zankenblatt mitnehmen, ohne dass es stören würde!« Baron Erlan klatschte seine Hände plötzlich auf die Oberschenkel. »So, jetzt muss ich weitermachen. ›Syrrenholt zur Mittagszeit‹ soll das Bild heißen. Aber die ist ja bald vorbei! Hahaha! Die Herren, gehabt Euch wohl.«
Der Baron gab beiden die Hand - Farbe hin, Farbe her - und verschwand dann wieder, während der Lakai wieder auftauchte und die beiden Ritter hinausführte. Ungolf und Rondger funkelten sich an, doch trauten sie sich in Gegenwart des Lakaien nicht, gleich loszuzischen.
Im Hof erwartete sie Korwinne mit einem Lächeln und schloss sich der Truppe auf dem Weg zu den Pferden und dem Tor an.
Erst als sie die Zugbrücke hinter sich gelassen hatte, brach es aus Ungolf heraus: »Wie konntest du einfach von den Steinen reden? Der ist doch total misstrauisch geworden!«
»Der?«, zischte Rondger zurück. »Der hat doch nachts den Oger getroffen, völlig plemplem!«
»Darum geht es nicht. Der Doktor und Rudon haben sich deutlich ausgedrückt: ›geschickt und verschwiegen‹. Du hast wahrscheinlich alles vermasselt! Wenn der Baron jetzt zu seinem Magus geht, dann riechen die doch gleich den Braten!«
»Jungs, Ju-hungs! Hört mal zu!« Korwinne hatte ihr Pferd gezügelt und rief die beiden Ritter zur Ordnung. »Ich sag's ja immer: Lass keinen Mann etwas tun, was auch eine Frau erledigen könnte. Macht Euch nichts ins Hemd. Ich habe alles, was wir brauchen.«
Ungolf hob die Brauen: »Hast du die Pläne bekommen? Hat der große Erzmagier sie dir etwa gegeben?«
»Klar hat er«, grinste Korwinne. »Es gibt nichts, was ein bisschen weiblicher Charme, der Duft des Rattenpilzes und das Blut einer Ratte nicht bewirken könnten.« Das Grinsen in Korwinnes Gesicht wurde womöglich noch breiter. »Es war niedlich, wie der Herr Magus mir erst die Pläne der Ausgrabung herausgesucht hat und mich dann auch noch auf die Steinfunde aufmerksam gemacht hat.«
Ungolf und Rondger waren sichtlich aufgeregt: »Und?«
»Was und? Hab ich die die Steine in dieser Tasche oder habe ich sie in dieser Tasche, hm?« Korwinne gab ihrem Pferd mit den Hacken das Zeichen zum Aufbruch und ritt an den beiden Rittern vorbei. »Und außerdem wird er sich ums Verrecken nicht erinnern können, wo er das Zeug hingelegt hat! So vergesslich!«
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