Geschichten:Gut Werkzeug - halbe Arbeit - Kapitaler Diebstahl
»Raubmord«, bestimmte Speckhof triumphierend. »Klare Sache.«
»Und was wurde gestohlen?«, brummte der beleibte Halderfelden, während er sich schwerfällig erhob. In seinem Alter und bei seiner Leibesfülle ging er nicht mehr gerne in die Knie. Aber manchmal musste es sein – um Leichen zu untersuchen beispielsweise.
»Bestimmt etwas aus diesem Schuppen hier. Sieht nach Fuhrmannsschuppen aus. Zaumzeug, Werkzeuge etzettera-etzettera-etzettera!« Speckhof drückte das Kreuz durch, blitzte seinen älteren Collegen wissend an und befahl zwei Bütteln, den Schuppen zu untersuchen.
»Also, Speckhof, ich glaube nicht, dass aus dem Schuppen etwas gestohlen wurde.«
»Ach nein, Halderfelden? Warum nicht?«
»Weil nichts, was in solchen Schuppen liegt, einen Mord wie diesen rechtfertigt.«
»Aha. Noch wissen wir aber nicht, was in diesem Schuppen ist!«
»Nein, Speckhof, aber wenn es gestohlen wurde, wird es nicht mehr dort sein, und wir finden es nicht. Etwas viel Bedeutsameres ist gestohlen worden, und nicht aus dem Schuppen.« Halderfelden hatte nun seine alte Pfeife mit dem jämmerlich abgebissenen Mundstück aus der Rocktasche gezogen und ließ sich von einem Büttel, der einen Kien zum Glimmen bringen musste, Feuer geben.
»Oho, etwas Bedeutsameres? Was denn, Halderfelden? Wenn es – wie gesagt – gestohlen wurde, dann werden wir doch – wie gesagt – nicht herausfinden können, was es war, oder?« Speckhof wirkte leicht gereizt. Der Dialog verlief wieder einmal wie fast alle vorangegangenen, seit sie als Ermittler der Garether Criminal-Cammer mit den schweren Verbrechen der Kapitale gemeinsam befasst waren. Irgendwie wollte Halderfelden nicht einsehen, dass er, Speckhof, jünger und besser war als ein fett gewordener alter Gaul, der zum Rennen nicht mehr taugte. Und ein Rennen war es, fand Speckhof, möglichst schnell ein Verbrechen aufzuklären und den flüchtenden Verbrecher einzufangen – am besten noch mit dem blutigen Messer in der Hand. Schnell musste es gehen!
»In diesem Fall, mein junger Freund, ist es ganz leicht herauszufinden, auch wenn es nicht mehr da ist. Siehst du es denn nicht? Sein Kopf!«
»Sein Kopf?«
»Ja, die Leiche hat keinen Kopf mehr.«
»Ja, das sehe ich doch. Na und? Der Mörder wird ja wohl nicht vorgehabt haben, einen Kopf zu stehlen, oder?«
»Nein, aber er verschleiert damit die Identität des Opfers. Indem er das tut, gibt er uns den Hinweis, dass der Mord wichtiger ist als alles, was im Schuppen sein könnte.« Halderfelden paffte blaue Wölkchen und lehnte sich an die Wand des Schuppens.
Speckhofs Gesicht nahm einen verblüfften, fragenden Ausdruck an. Der Gesichtsausdruck, als unterstellte Speckhof seinem älteren Kollegen nun leider den letzten Fetzen Verstand durch die Pfeife gejagt und verloren zu haben.
»Sieh mal , Speckhof, wir haben da die Leiche eines Mannes, muskulös, geschmeidig. War bestimmt ein ausdauernder Läufer. Gekleidet ist er in dunkle, enge Kleidung, trägt Handschuhe. Könnte ein Einbrecher sein, ein Räuber oder so etwas. Mehr können wir über ihn aber nicht sagen: Sein Kopf fehlt. Wir können kaum ahnen, wie alt er war, die Haarfarbe können wir auch nur raten, wissen nicht, ob er einen Bart trug, Augenfarbe, abstehende Ohren, braune Zähne. Nichts. Und wir können niemanden fragen, ob er ihn schon mal irgendwo gesehen hat.«
»Ja, und?«
»Genau deshalb dürfte der Täter den Kopf abgeschnitten haben. Damit man nicht erkennt, wer das Opfer ist. Vielleicht ist er im Quartier bekannt? Vielleicht lässt die Identität des Opfers Rückschlüsse auf den Täter zu?« Halderfelden stockte. Brummte, Sog an der Pfeife. Paffte.
»Was nun, Halderfelden? Nicht mehr sicher, was die Theorie betrifft?« Wie immer vermied Speckhof es, seinen Kollegen direkt anzusprechen. Man hatte sich auf das Du geeinigt, aber irgendwie mochte er den älteren Ermittler nicht duzen.
»Hm, Ich habe gerade über den Täter nachgedacht. Das Opfer sieht schon ziemlich wehrhaft aus, kräftig, schnell. Da muss der Täter also mindestens genauso schnell gewesen sein. Oder er hat sein Opfer überrascht. Immerhin stand die Schuppentür offen. Und noch was: Der Täter muss ziemlich kaltblütig sein, denn er hat seinem Opfer den Kopf mitten auf dem Pflaster im Hof abgeschnitten. Selbst in der nacht läuft man Gefahr, gesehen zu werden.«
»Ja, vor allem danach: Mit einem Kopf in der Hand!« Speckhof beteiligte sich wieder an den Spekulationen. Nahm wieder Tempo auf in diesem Rennen.
»Richtig, Speckhof, offenbar hat man dir den Schädel noch nicht geklaut! Der Täter muss außerdem verdammt blutig gewesen sein. Mithin muss sein Versteck in der Nähe liegen. Und er könnte Spuren hinterlassen haben!« Halderfelden setzte sich in Bewegung, winkte die Büttel herbei, die Suche begann.