Geschichten:Hartsteener Banner - Kein guter Empfang
Reichsstadt Hartsteen, Mitte Rondra 1035 BF
Die drei Gerstenfeldkinder lehnten am Fenster und blickten aufgeregt hinunter auf das Treiben unten auf der Straße. Es war um die Mittagszeit und eigentlich sollten sie doch ihrem Vater in der Werkstatt unten zur Hand gehen. Aber so etwas wie heute wollten sie sich auf keinen Fall entgehen lassen.
»Siehst du den da vorne, den großen Ritter auf dem Pferd? Das ist der Oberst vom Blautann persönlich«, gab Eldric mit bedeutender Miene von sich. Eldric war der älteste, schon elf Götterläufe alt und bei den Kindern auf der Straße gab es wenige, denen er nicht schon einmal einen Zahn herausgehauen hatte. Deshalb wusste er natürlich genau, worüber er redete.
»Ach Quatsch«, fiel ihm Geldrian ins Wort, mit verkniffener Miene und leicht geduckt, um der geballten Faust seines älteren Bruders gegebenenfalls ausweichen zu können. »Das ist auf keinen Fall der Oberst. Das muss der Marschall von Wertlingen sein.«
Vereinzelter Jubel und Hochrufe erklangen von der Straße, als der stolz blickende Prinz von Greifenfurt, begleitet von etwa zwei Dutzend berittenen und schwer gerüsteten Kämpfern, unter dem Fenster der Gerstenfelds vorüber ritt. Er trug ein Kettenhemd und einen schlichten Wappenrock auf dem das blaue Wehrtor der gefallenen Stadt Wehrheim prangte. Mit ernstem Blick nickte er den verhalten jubelnden Bürgern von Hartsteen zu, seine rechte Hand demonstrativ auf seinem Schwertknauf liegend, als wolle er beweisen jederzeit zum Kampf bereit zu sein.
Die kleine Turike, die mit sechs Götterläufen das jüngste Kind des Witwers Gerstenfeld war, schaute ihre beiden streitlustigen Brüder mit großen Augen an. »Wenn ich mal groß bin, dann werde ich einen Ritter wie Ludalf von Wertlingen heiraten«, sagte sie mit einer bedeutungsvollen Stimme und ehrlich davon überzeugt, dass das Leben nur darauf wartete, für sie ein Abenteuer bereit zu halten.
»Klar doch! Und mit dem gehste dann einen Drachen jagen und Dämonen besiegen«, machte sich Eldric über seine Schwester, die er mehr lieb hatte als er es immer zeigte, lustig. »So wie der Drego von nebenan. Ich habe neulich auf dem Markt, als ich für Vater einkaufen war, gehört, dass er es sogar bis nach Gareth geschafft hat und dort mit seinen neuen Kumpels den ganzen Tag Schnaps säuft, so wie der alte Rommilyser.«
Demonstrativ drehte sich das Mädchen von ihrem Bruder weg und schaute trotzig wieder mit verkniffenem Mund hinunter auf die Straße. Sie würde es ihrem großmäuligen Bruder noch zeigen. Sie würde eine ganz große Heldin werden und später von Kaiserin Rohaja persönlich zu einer bedeutenden Adligen erhoben werden.
»Guck mal da, da kommen die nächsten!« rief Geldrian aufgeregt und zeigte auf die Straßenbiegung. In einem prachtvollen, mit einem golden Löwenkopf verzierten Mantel gekleidetund auf einem stattlichen weißen Ross näherte sich ein besonders eindrucksvoller Reiter. Sein kostbar verziertes Schwert leuchtete an seiner Seite, offenbar war es eine nagelneue Waffe, ebenso die prächtige Goldkette, an der ein großer funkelnder Diamant hing. Ihm folgten fast einhundert Soldaten mit Hellebarden und Zweihändern, die wunderbar in der hellen Mittagssonne leuchteten und funkelten.
»Das ist die Löwengarde«, sagte mit tiefer brummender Stimme der alte Gerstenfeld, der unbemerkt hinter seine Kinder getreten war. »Seht ihr die ganzen Waffen und Rüstungen? Die haben sie von dem Gold gekauft, dass uns der elende Verweser der Kaiserin abgepresst hat.«
Draußen auf der Straße wurde es still und die Blicke der Bürger wurden unfreundlich. Vereinzelt erklang ein Tuscheln und Zischeln, und nicht wenige hoben erbost die Faust und schüttelten sie in Richtung des prächtigen Obersts.
Alrik vom Blautann griff in seine Satteltasche und holte einen prall gefüllten Sack mit Hellern hervor. Mit vollen Händen warf er die bronzenen Münzen in die feindliche Menge, dabei ein aufrichtig freundliches Gesicht aufsetzend. Doch anstatt in einen Jubel einzufallen erhob sich ein dumpfes Grummeln in der Masse. Mit den Worten »Behalt deine verfluchten Heller« warfen die Bürger von Hartsteen dem gräflichen Verweser der Kaiserin die Münzen zurück. Stolz und ohne das Gesicht zu verziehen ritt der Oberst der Löwengarde durch die wütenden Worten der Menge und verschwand mit seinen Soldaten um die nächste Ecke.
»Vater, warum haben die Leute dem Oberst denn die Münzen hinterhergeworfen? Er ist doch einer von den Guten, die gegen die Bösen kämpfen«, fragte Turike ihren grimmig auf die Straße blickenden Vater. Der schüttelte nur stumm den Kopf und ging zur Tür.
Dort drehte er sich noch einmal und sagte verbittert zu seinen drei abgemagert am Fenster hockenden Kindern: »Wenn das die Guten sind, dann kann es uns unter den Bösen nicht viel schlechter gehen.«