Geschichten:Hartsteener Grafenrat - Besuch auf Burg Alllingsruh
Unweit Burg Allingsruh, Hesinde 1037 BF
„Hoch mit dir, los!“, Ulfrik riss an dem derben Strick, dessen anderes Ende als Fessel um die Hände und Arme einer nur noch in Fetzen gehüllten Gestalt geknotet war, die sichtlich entkräftet gerade in Knie gesunken war.
Unbarmherzig zog der Waffenknecht den ob der Behandlung aufstöhnenden Gefangenen auf die Füße und trieb ihn weiter vor sich her. Entlaufene Bauern wie diesen gab es in diesen Tagen in Hartsteen mehr als genug. Die einen versuchten, in eine Stadt zu kommen und dort als Tagelöhner, Handwerker oder ähnliches die persönliche Freiheit zu erlangen. Andere wiederum schlossen sich den Räubern im Feidewald an. Mit Letzteren machte Ulfriks Herr Praiodan von Steinfelde normalerweise kurzen Prozess, wenn er sie erwischte, sehr zur Freude der Seiler von Dorp, die daran gut verdienten. Warum ausgerechnet dieser ausgemergelte Hungerleider nun seinem Herrn zurückgegeben werden sollte, war Ulfrik so schleierhaft wie egal. Sein Herr, der fast die ganze Zeit mit Abstand voran ritt, gab die Befehle und Ulfrik befolgte sie ohne zu fragen. Jetzt hielt er an und der Waffenknecht und sein Gefangener schlossen auf. An dieser Stelle trat der Wald zurück und gab den Blick frei auf den Stammsitz der Familie Allingen, einen klobigen Kasten auf einem Sporn am jenseitigen Ufer des Flüsschens. Zum ersten Mal seit dem Aufbruch am Morgen wandte sich der Steinfelder mit einem hämischen Zug um den Mund an den entlaufenen Hörigen: „Ich schätze, du bist froh, wieder in der Heimat zu sein, oder? Dein Herr, Peridan von Allingen, wird sich mindestens genauso freuen, dich wieder daheim zu begrüßen, da bin ich mir sicher. Ich selbst bin ebenso froh, denn deine Rückkehr erleichtert meine Geschäfte mit deinem Herrn. Was Ulfrik anbelangt, dann ist er froh, wenn ich es ihm befehle."
Sofort zauberte der Waffenknecht ein arg löchriges gelbes Grinsen auf sein grobes Antlitz, das nur halb im Widerspruch zu seinen kalten Augen stand.
"Da wir nun alle so froh sind, finde ich, ist ein Lied genau das Richtige“, fuhr der Adlige fort.
Der Gefangene, der die ganze Zeit zu Boden geblickt hatte, sah bei diesen Worten sichtlich irritiert auf: „Ein Lied?“
„Ganz recht“, gab der Junker zurück, „Und es heißt ‚Herr‘! Du kannst von Glück sagen, dass ich gerade in so fröhlicher Stimmung bin. Doch reize mich nicht zu sehr.“
„Verzeiht... Herr.“
„Na schön. Aber nun fang endlich an!“, der Steinfelder winkte lässig ab.
Verzeiht Herr, womit?“, wagte der Bauer erneut zu fragen, was einen Schatten des Unmuts über das Gesicht des Hartsteener Wegevogts gleiten ließ.
„Mit dem Lied natürlich, Holzkopf. Oder denkst du vielleicht etwa, ich würde für dich singen? Und niemand will Ulfrik singen hören, denn das schmerzt mehr als die Daumenschrauben im Hartsteener Inquisitionsturm. Damit bleibt nur noch einer übrig. Und nun los, oder willst du mir etwa sagen, dass du kein fröhliches Lied kennst?“
„Nein, Herr. Das heißt, ja, Herr, ich kenne ein fröhliches Lied.“
„Na dann, auf, auf! Und nicht zu zaghaft!“, wedelte Praiodan von Steinfelde auffordernd mit der behandschuhten Rechten, während er sein Ross in Bewegung setzte.
Etwa später auf Burg Allingsruh
Die Angelegenheit mit dem entlaufenen Bauern war schnell geklärt worden und Peridan von Allingen hatte den gräflichen Wegevogt gleich noch zum Mittagsmahl geladen. Nachdem das Dienstpersonal die leeren Schüsseln abgeräumt hatte und entlassen worden war, nahm Praiodan von Steinfelde das Wort, während der Allinger die Bierkrüge füllte: „Ich möchte mit Euch über Euren Bruder sprechen.“
„Brinian?“
„Ja. Wisst Ihr, was er so treibt?“
„Warum sollte ich? Ich habe doch kaum noch etwas mit ihm zu schaffen. Seit er sich mit dem Schwingenfelser gut gestellt und Kesseling übernommenen hat, lässt er kaum noch etwas von sich hören, geschweige denn, dass er sich etwas sagen lässt.“
„Das tut mir leid“, schob der Steinfelder bedauernd ein, „Doch genau darum geht es mir.“
Der Allinger blickte den Wegevogt unwillig über den Rand des an den Mund gehobenen Kruges an: „Ich weiß nicht, ob ich Euch recht verstehe. Worauf wollt Ihr hinaus?“
„Nun, ich fürchte, Euer Ansehen als Familienoberhaupt hat durch das eigenmächtige Handeln Eures jüngeren Bruders etwas gelitten, zumal er mit Kesseling ein wahres Sahnehäubchen für seine Allianz mit dem Kronvogt ergattert hat. Kein Wunder, dass er sich nichts mehr sagen lässt, verfügt er doch über die größere Möglichkeiten als Ihr.“
Peridans Miene verfinsterte sich während er den Krug hart absetzte: „Wenn Ihr über mich spotten wollt, dann erwarte ich Euch in drei Tagen und werde Euch die passende Antwort mit dem Schwert geben.“
„Praiodan hob abwehrend die Hände: „Nichts läge mir ferner, als über Euch zu spotten, Allingen. Im Gegenteil, ich will Euch helfen, die Dinge wieder gerade zu rücken.“
„Na schön, Steinfelde. Was habt Ihr vor?“
„Wie Ihr wisst, soll am Feiderichstag der Grafenrat zusammentreten und er wird auch darüber beraten, was mit den von den Windischgrütz an die Schwingenfelser und ihre Mitstreiter verlorenen Gütern geschehen soll. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, ward Ihr immer ein Freund der Windischgrütz, auch wenn Ihr Frostelin in seinem in die Katastrophe führenden Ungestüm nicht offen unterstützt habt…“
Verstehen glomm in den Augen des Allingers auf: „Ich soll mich als Familienoberhaupt dafür aussprechen, Kesseling an seinen urspünglichen Eigner Gerbald von Windischgrütz, zurückzugeben?“
Praiodan von Steinfelde nickte: „Ihr würdet den Windischgrütz einen guten Dienst erweisen und zugleich Euren Bruder in die Schranken weisen.“
„Ich werde darüber nachdenken“, blieb Peridan vage.
Als sich Praiodan später verabschiedete verriet das Gebahren des Allingers nichts darüber, worauf seine Entscheidung fallen würde. Und so blieb dem Steinfelder nur die Hoffnung, dass Halina mit ihrer Vermutung richtig lag und er selbst den richtigen Ton getroffen hatte.
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