Geschichten:Hartsteener Kassen - Nachgerechnet
Festung Feidewald, Mitte Tsa 1034 BF
»Das schreibt der allen Ernstes?« Alrik vom Blautann war noch ganz verschwitzt von der Fechtübung, sein Gesicht war hochrot gefärbt, die blonden haare klebten an seinem Schädel. Nun rubbelt er mit einem Handtuch über Kopf und Gesicht – und die Haare standen in alle Richtungen ab wie eine Löwenmähne. Auf der steinernen Bank im Hof der Feste Feidewald stöhnte derweil Bendrich von Quintian-Quandt, Burgvogt auf der Festung und soeben Alriks Übungspartner gewesen. Der alte Hauptmann lag mehr, als er saß, alle Viere von sich gestreckt und fertig mit sich und er Welt. »Hm, Bendrich, bisschen aus der Übung, was?«, frotzelte Alrik, warf dem Erschöpften das Handtuch hinüber und zerrte den garetischen Oberzollmeister Melcher Raultreu von Stolzenfurt-Quandt über den Hof.
»Nochmal, Melcher: Der Neue aus Puleth meint, er könne das nicht zahlen?«
Der Oberzollmeister, der am Hartsteener Grafenhof bisweilen als Finanzberater tätig war und nun auch den Marschall bei der Erhebung der Kontributionen und Steuern unterstützte, schüttelte den kleinen Kopf auf dem dürren Hals: »Nein, eigentlich will er Senkung der Abgaben respektive Stundung. Er verweist auf die schwierige Rechtslage, da er ja nur von einem er beiden Grafen mit Puleth belehnt wurde. Dieses rechtliche Problem solle … puh! Müssen wir so rennen, Exzellenz?« Melcher war solche Märsche nicht gewöhnt – und die Feste Feidewald war lang für kleine Männer ohne Übung.
»Wie? Ach, kommt, Melcher, nur bis zum Pallas, da könnt Ihr Euch dann wieder setzen.« Sprach der Marschall und schritt erneut wacker aus. Als sie im Schatten des Pallas angekommen waren, brachten zwei Bedienstete eine Bank, eine Kanne mit Wasser und zwei Becher aus Zinn. Alrik vom Blautann widmete sich kurz seinen Stiefeln und winkte dann dem Knecht, ihm beim Ausziehen zu helfen. Derweil war Melcher zu Atem gekommen.
»Also: Baron Felan meint, solange die Königin ihn nicht als Baron ebstellt hat, könne r eigentlich nichts zahlen. Dann behauptet er, es sei auch nichts da. Und wenn er zahlen müsste, dann bitte weniger. Und später.«
Der Marschall gab dem Knecht, der den linken Stiefel gepackt und sich so über das Bein gebeugt hatte, dass sein Hinterteil sich dem Stiefelträger zuwendete, einen beherzten Tritt in die Rückseite. Während der Knecht fiel, fluchte Alrik: »Quatschkopf! Das Geld soll doch nicht er zahlen, sondern die Baronie! Was soll dieses Geeiere? Kaum haben diese kleinen Hartsteener Ritter Amt und Würden, fangen sie an das Maul aufzureißen? Scheißhaufen, schlecht erzogener. Komm, den andern Stiefel auch!«
»Nun ja, Ezellenz, der Einwand entbehrt ja nicht einer gewissen Relevanz. Man könnte ihn aber nutzen und die Aufforderung an Felan als Präjudiz gegenüber dem Kontrahenten Werdomar von Quintian-Quandt verwenden.«
»Was zum Henker soll das denn sein?«, fluchte der Marschall und trat erneut heftig zu, so dass der Knecht erneut zu Boden ging. »Sprecht gefälligst Garethi mit mir, Melcher! Das Juristengeplapper will ich nicht hören! Davon bluten mir gleich die Ohren!«
»Na ja, indem wir uns an Felan und nicht an Werdomar gewendet haben, ist von Reichsseite sozusagen eine Vorentscheidung zugunsten Felans gefallen. Wenn er dies anerkennt und zahlt, untermauert er seinen Anspruch auch für die Zeit nach der Natterndorner Fehde. Lehnt er die Zahlung ab, könnte man das auch als Verzicht auf die Baronie Puleth werten und nach dem Schiedspruch von Reichsgericht und Krone die Baronie an Werdomar geben mit eben dieser Begründung.«
»Melcher, das ist ja doch Juristengeplapper! Verdammt! Warum habe ich nur zwei Beine! Du da, beug Dich noch mal!« Alrik stieß dem Knecht noch einmal heftig mit dem Fuß auf den Boden. »Was sonst noch, Melcher?«
»Nun ja. Nach dem Zensus der Baronie Puleth von 1026 BF müsste der Baron 27.348 Dukaten entrichten. Das ist schon stattlich und entspricht etwa viereinhalb Jahren Steuereinnahmen.«
»Ja und? Diese Hundsfötter haben seit fünf Jahren keinen Kreuzer an die Krone gegeben, da kommen sie doch jetzt ganz gut bei weg!« Der Marschall war immer noch hochrot im Gesicht.
»Absolut. Außerdem gewährten wir den Baronen ja das Schlupfloch, die momentane Einwohnerzahl als Faktor für die Steuer … äh … ich meine, sie können doch einfach die verminderten Einwohnerzahlen von heute nehmen und müssen darum gar nicht so viel zahlen. Also. Ich erklär’s mal so: Wenn Baron Felan einfach vorrechnet, dass in Puleth heuer nicht mehr 6.000, sondern nur noch beispielsweise 2.500 Menschen wohnen, in Kaiserhain nur noch 400 Menschen, in Sommerau nur noch 300, dann müsste er nur noch etwa 15.000 Dukaten zahlen – weniger als drei Steuerjahre vor 1026 BF.« Melcher hatte immer wieder gestockt, weil der Marschall ihn anfunkelte.
»Das geht?«
»Na ja: Bis der nächste Zensus die Grafschaft erfasst hat, das dauert noch eine ganze Weile. Wir können gar nicht nachprüfen, ob die Zahlen stimmen.«
»Warum nehmen wir dann nicht die Zahlen von 1026 BF?«
»Das würde die Barone wirklich ruinieren. Hatten wir doch abgesprochen. Beide haben was davon, so wie wir es jetzt machen.«
»Gut, Melcher. Was ist mit den anderen Argumenten des Spuckwanstes?«
»Das Argument der Minderung der Steuerauflagen ist obsol… hinfällig, wenn man das Zahlenspiel von eben berücksichtigt. Und was den Zahlungsaufschub betrifft: Die Krone verleiht kein Geld.«
»Natürlich nicht. Was meint Ihr damit, Melcher?«, knurrte der Marschall. »Ich bekomme schon wieder Kopfschmerzen von dem Gefasel.«
»Damit meine ich: Wenn der Baron das Geld für die Steuern jetzt nicht hat, dann muss er trotzdem jetzt zahlen. Er muss sich also Geld borgen – beispielsweise bei seiner Stadt, die das Geld bestimmt hat, oder in Gareth.«
»Er muss zu bürgerlichen Pfeffersäcken, Kreditschwindlern und Wucherknechte gehen?«
»Exakt dieses, Exzellenz. Oder die Krone pfändet ihm seine Güter weg. Zum Beispiel Burg Aldengrund, die Stadt Kaiserhain. Und natürlich Burg Sturmwacht in Rabensbrück.«
»Aha? Wie pfändet man denn? Mit Brief und Siegel?«
»Nein, Exzellenz. Das wird Euch gefallen: Mit dem Schwert und einem Zwingvogt.«
Alrik vom Blautann grinste. Die Sprache verstand er. »Gut, Melcher. Das klingt ja ganz gut. Dann schreibt diesem Emporkömmling, dass wir ihm den Sattel unter dem Arsch wegpfänden, wenn er das Geld nicht schleunigst zahlt. Er soll uns die Summe vorrechnen, die er zahlen muss, und wenn es zu wenig ist, dann komme ich vorbei. Ha! Vielleicht hat er ja ein gutes Ross!«
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