Geschichten:Heerzug wider die Finsternis - Teil 24
Dramatis personae:
- Nimmgalf von Hirschfurten, Heerführer
- Ederlinde von Luring, seine Verlobte
- Tsaiane von Talbach, Kommandantin der Reiterei
- Thara von Bodiak, Rittsmeisterin der Reichsforster Liga
- Weibel Bennet, Unterführer in der Reichsforster Liga
u.a.
Burg Leihenbutt, 13. Ron. 1032 BF, nachts
Flucht! Sie mussten fliehen. Fort, nur fort von hier. Fort von all dem Grauen, das hinter ihnen lag. Nimmgalf führte eine Gruppe von etwa einem Dutzend berittener Streiter, darunter auch seine beiden Offizierinnen Tsaiane von Talbach und Thara von Bodiak, gen Süden. Anfangs hatten ihnen Teile der Rattenhorden noch nachgesetzt, doch schon nach ein oder zwei Meilen hatten sich die wildgewordenen Tiere weitestgehend zerstreut. Viele Kämpfer hatten im Kampf Verletzungen davon getragen, zwei von ihnen brauchten sogar dringend medizinische Hilfe.
Nach einem wilden Ritt am Waldrand entlang kam ein kleines Gehöft mit Stall und Scheune ins Sichtfeld. Da es Nacht war, konnten sie nicht mit Gewissheit sagen, ob es bewohnt war oder nicht, jedenfalls war kein Licht zu sehen. Als sie in den Hof ritten, befahl Nimmgalf hier zu rasten. Tsaiane und Thara stellten sicher, dass die Pferde versorgt wurden. Die Verletzten brachte man in das Gutshaus. Auf ihre Rufe hin meldete sich niemand – das Gehöft schien verlassen zu sein. Drinnen gab es nur wenige Einrichtungsgegenstände, die so sprerrig waren, dass man sie auf die Schnelle wohl nicht hatte transportieren können. In den wenigen Betten sollten die schwer Verletzten versorgt werden, die anderen richteten sich in der Scheune ein provisorisches Lager ein. Nach und nach kamen noch weitere versprengte Gruppen am Gehöft an, und gesellten sich zu ihnen um ebenfalls ihre Wunden zu behandeln. Dabei musste man behutsam vorgehen, wusste man doch, dass Ratten und Untote abscheuliche Krankheiten übertragen konnten. Nimmgalf schickte Tsaiane und Thara, die noch weitgehend unverletzt waren, los um noch andere Flüchtende zu suchen und zu ihrem provisorischen Stützpunkt zu bringen.
Dem gefallenen Adhumar von Rosshagen ließ er ein Grab ausheben, in dem sie ihn bestatteten. Wenn die ganze Sache vorbei wäre, würde er seinen Leichnam nach Hirschfurten überführen lassen. Zumindest das war er seinem Lehnsmann schuldig.
Schließlich erreichten auch Weibel Bennet von der Reichsforster Liga und ein Korporal den Gutshof. Die beiden Schildkämpfer, die Ederlinde vom Schlachtfeld gerettet hatten, führten ein braunes Pferd am Zügel, auf dem Nimmgalfs Verlobte saß. Als der Heerführer sie bemerkte, eilte er sofort zu ihnen.
„Ederlinde! Den Göttern sei Dank!“ rief er. Und weiter an die Soldaten gewandt: „Was hat sie, geht es ihr gut?“ Der Weibel wollte gerade antworten, doch Nimmgalf war schon bei ihr und half ihr vom Pferd. „Sie lebt, Kommandant! Aber sie hat einen schweren Schock erlitten. Kein Wunder bei dem was insbesondere sie mitmachen musste.“
Ederlinde war kreidebleich und zitterte am ganzen Körper. Dabei starrte sie apathisch vor sich hin. Außer einem leisen Wimmern brachte sie keinen Laut hervor. Nachdem Nimmgalf ihr beim Absteigen geholfen hatte, brach sie völlig entkräftet zusammen. Er konnte sie gerade noch auffangen, trug sie dann in das Gutshaus und setzte sich mit ihr auf eine Bank. „Eine Decke, schnell!“ rief er, und schon brachte ein Soldat das Geforderte und half ihm Ederlinde einzuwickeln.
„Ederlinde, sprich zu mir“, versuchte Nimmgalf sie anzusprechen und berührte sie dabei vorsichtig, doch sie starrte weiter nur vor sich hin. Nimmgalf ergriff ihre Hand. „Ederlinde, wir sind jetzt in Sicherheit. Du bist hier bei meinen Leuten. Simiona kann dir nichts mehr anhaben. So höre doch!“ Sie bewegte ganz vorsichtig die Augen. „Ni… Nimmgalf?“ flüsterte sie. Er drehte ihren Kopf, so dass sie ihn anblickte und lächelte, um sie zu beruhigen. „Ja, Ederlinde. Ich bin hier.“ „Oh, Nimmgalf! Es war so furchtbar!“ schluchzte sie, und klammerte sich an ihn. Er nahm sie in den Arm und rieb ihr sanft über den Rücken. Dann brachen bei ihr alle Dämme. Sie weinte bitterlich und die Tränen liefen ihr in Sturzbächen aus den Augen. Auch Nimmgalf hatte Schwierigkeiten, die Fassung zu bewahren, nach all dem Grauen was sie erlebt hatten. Er drückte sie fest an sich, streichelte ihr behutsam über das Haupt und küsste sie auf die Stirn. „Alles wird gut!“ flüsterte er.
Daraufhin drückte sie ihn von sich, und wischte sich die Tränen fort. „NEIN! Nichts wird gut. Gar nichts wird gut, solange diese Dämonin in Menschengestalt noch lebt.“ Sie trocknete sich die Tränen mit einem Tuch, doch gleich kamen neue hinterher.
„All diese furchtbaren Schreie, all das Grauen, das Leid, das viele Blut und all die Toten. Sie hat Dämonen und Ratten herbeigerufen und deine Ritter mit Feuerkugeln qualvoll verbrennen lassen. Von den Priestern, die in den grässlichen Flammen vergingen, ganz zu schweigen. Und dann mein Sturz in den vermeintlich sicheren Tod; es war das Schrecklichste, was ich jemals miterleben musste. Wieso tut ein Mensch nur solche furchtbaren Dinge?“ Fassungslos starrte sie Nimmgalf an. Selbst für ihn, der zwar mit vielem aber bei weitem nicht mit all diesem Horror gerechnet hatte, waren die Ausmaße von Simionas Wirken zutiefst erschreckend.
„Ich weiß es nicht, Ederlinde“, sagte er leise. „Ich glaube, Simiona ist vor schierer Machtgier einfach wahnsinnig geworden.“
„Du musst sie aufhalten, Nimmgalf. Und damit meine ich: Du musst sie töten! Hörst Du? Solange sie lebt, werden wir keinen Frieden finden. Niemals!“
Nimmgalf nickte leicht. Er wusste, dass Ederlinde recht hatte. Nur waren sie diesem Ziel inzwischen ferner denn jemals zuvor. Simiona hatte eindrucksvoll bewiesen, dass man sie im direkten Kampf nicht bezwingen konnte. „Ich… ich werde tun was in meiner Macht steht, damit wir endlich Frieden finden. Das schwöre ich dir.“ Daraufhin beruhigte sich Ederlinde leicht. Als sie wieder einigermaßen handlungsfähig war, verabschiedete er sich von ihr, denn er hatte noch Wichtiges zu regeln.
Sie brauchten nun dringend einen Ausweichplan. Dies konnte einfach noch nicht das Ende sein. Nicht, nachdem sie schon so weit gekommen waren. Er musste die verbliebenen Anführer zusammenrufen. Vielleicht gab es ja noch eine andere Möglichkeit. Vielleicht könnte man ja… da kam ihm eine Idee.
Nachdem die Verletzten weitgehend versorgt, und auch wieder ein wenig Ruhe eingekehrt war, rief er die Offiziere zur Stabsbesprechung.