Geschichten:Heerzug wider die Finsternis - Teil 25

Dramatis personae:

Nimmgalf von Hirschfurten, Heerführer
Tsaiane von Talbach, Kommandantin der Reiterei
Thara von Bodiak, Rittsmeisterin der Reichsforster Liga
Welfert von Mersingen ä.H., Heermeister der Rabenmark
Praiadne von Greif, Leutnant bei den Pfeilen des Lichts
Serafin Feuerblitz, Wächter und Magus im Zornesorden
Adran Bredenhag von Aarenstein, Großmeister des Zornesordens
Anjun von Ingrams Fels, Zornesritter und Knappe der Leuin
Anselm Hilberan von Hundsgrab-Bugenbühl, Junker zu Pechackern
Irberod von Leustein, Junker auf Burg Leuental
Hadrumir von Schwingenfels-Natzungen, Baron zu Natzungen
Alrik Herdan von Prailind, Junker zu Tannengrund
Balrik von Keres, Reichsedler zu Hohenlinden

Gutshof bei Leihenbutt, 13. Ron. 1032 BF, nachts

Erst wenige Stunden waren seit den schrecklichen Ereignissen vor Burg Leihenbutt vergangen. Viele der verbündeten Streiter waren tot, verwundet oder völlig am Ende ihrer Kräfte. Doch ihnen allen war klar, dass die Sache keinen Aufschub duldete. Es musste ein Weg gefunden werden, um Simiona endgültig zu besiegen, doch ihnen war bewusst, dass dies ein wahres Alveranskommando werden würde, egal was käme.

Zu der von Nimmgalf in der guten Stube des Gutshofes eilig einberufenen Stabssitzung hatten sich neben seinen beiden verbliebenen Offizierinnen noch weitere namhafte Streiter eingefunden, die in den letzten Stunden ebenfalls am Gutshof eingetroffen waren, und sich nun um einen großen Eichentisch versammelt hatten. Darunter waren Welfert von Mersingen ä.H. , dem man immer noch die Schrecknisse im Kampf gegen den vierfach gehörnten Shruuf anmerkte; Adran Bredenhag von Aarenstein, der voller Zorn über den feigen Mord an seinem Freund und Ordensbruder Devos aber zugleich auch voller Entschlossenheit war, Hadrumir von Schwingenfels-Natzungen, der zumindest einen der Magier, die er schützen wollte, hatte retten können; und weitere.

Nachdem er um Ruhe gebeten hatte, ergriff Nimmgalf das Wort: „Ich danke Euch, Freunde, dass Ihr trotz all der zuvor erlebten Schrecknisse meiner Bitte gefolgt und immer noch gewillt seid, dem schändlichen Treiben der Frevler auf meiner Burg Einhalt zu gebieten. Die meisten von Euch haben Grauenhaftes erlebt, und viel zu viele gute Männer und Frauen mussten bereits ihr Leben für die Sache geben. Ich will um jeden Preis verhindern, dass ihr Opfer umsonst gewesen sein soll!“

Tsaiane sprach weiter: „Wir alle haben gesehen, über welch ungeheuren Kräfte Simiona verfügt. Da wir davon ausgehen müssen, dass sie bei einem erneuten Angriff auf die Burg wieder Gebrauch davon macht, müssen wir tunlichst davon absehen.“

Daraufhin meldete sich Praiadne von Greif, Leutnant bei den Pfeilen des Lichtes, zu Wort: „Ich gebe zu bedenken, dass die Frevlerin und auch ihr Magier nun einen Teil ihrer Kräfte eingebüßt haben müssen. Aus arcan-strategischen Gesichtspunkten wäre es das klügste, schnell zuzuschlagen, bevor sich ihre Kräfte wieder erholen können.“ Auch Magus Serafin Feuerblitz nickte zustimmend.

„Dennoch können wir einen direkten Angriff nicht riskieren. Dazu haben wir zu viele Truppen eingebüßt! Eine Burg von diesen Ausmaßen im direkten Ansturm zu erobern, ist schlechterdings unmöglich“ stellte Hadrumir von Schwingenfels trocken fest, der schon hinreichende Erfahrung mit Burgbesetzungen aufwies.

„Wenn man auf Rondras Wegen nicht zum Ziel kommt, kommt man es vielleicht auf Phexens Pfaden!“ warf da Balrik von Keres ein. Seine Worte gaben den Umstehenden zu denken.

„Gibt es vielleicht eine Möglichkeit, ungesehen in die Burg einzudringen?“ fragte Junker Anselm in die Runde.

„In der Tat!“ antwortete Nimmgalf. „Es gibt da einen alten Fluchttunnel, der etwa eine halbe Meile im Nordosten der Burg endet. Dieser wurde allerdings vor über fünfundzwanzig Jahren auf Geheiß meines Vaters Mevis von Hirschfurten, Boron hab ihn selig, stillgelegt, und mit einem schweren Gitter versperrt, da er stark einsturzgefährdet war. Ich habe ihn schon seit Jahren nicht mehr inspizieren lassen, daher will ich Euch nichts vormachen: ich weiß nicht, ob der Tunnel überhaupt noch gangbar ist. Und selbst wenn, wäre es überaus gefährlich, darin mit mehreren Leuten fast eine halbe Meile unter der Erde bis zur Burg vorzudringen. Dennoch, wenn es gelänge würden wir Simiona überraschen. Ein Teil der Gruppe könnte versuchen, die Tore zu öffnen, während ein anderer Trupp die Verräterin stellt.“

„Und wie wollt Ihr verhindern, dass sie Euch bei der Begegnung mit ihren Kräften in die Knie zwingt?“ fragte ihn Junker Alrik Herdan. Alle Augen in der Runde blickten den Baron fragend an.

Da griff Nimmgalf an seine Seite, zog die Trollklinge hervor und legte sie vor sich auf den Tisch.

„Diese Klinge wird der Schlüssel zu meinem Schicksal sein! Dies wurde mir schon vor Jahren von den Rakulahexen prophezeit.“

Ein Raunen ging da durch die Runde. „Hexen?“ ereiferte sich Praiadne abschätzig. „Ihr glaubt doch nicht wirklich an so einen Humbug!“

Nimmgalf blickte sie nacheinander an und wartete bis sich die Lautstärke wieder gelegt hatte, die Zornesritter waren hierbei auffällig ruhig. „Doch! Das tue ich in der Tat!“ Sein Blick war ernst. „Während der Schlacht und auch schon zuvor bei der Verhandlung blieb ich vor Simionas Wirken verschont, als ich die Klinge berührte. Diese Waffe wurde einst von den Trollen geschmiedet, und scheint das namenlose Wirken einzudämmen oder gar zu behindern. Wenn es eine Waffe gegen Simiona gibt, dann ist es diese Trollklinge, das Symbol des Heerzuges gegen die Finsternis!“

Die umstehenden blickten die archaische Waffe respektvoll an.

„Diese Klinge und ein fester Glaube“, ergänzte der Großmeister des Zornesordens.

„Nun, wenn dem so ist, wie Ihr sagt, könnte dies ein entscheidender Vorteil sein“, erkannte die Maga. Nimmgalf nickte. „Das sehe ich genau so.“

„Aber wollt Ihr denn mit allen verbliebenen Streitern durch diesen Tunnel in die Burg eindringen?“ fragte der Junker von Pechackern.

„Nein, das wäre zu riskant!“ entschied Nimmgalf. „Der Tunnel ist seit über fünfundzwanzig Jahren nicht mehr betreten worden. Würde er einstürzen wären alle verloren. Außerdem bleibt innerhalb der Burg ein kleiner Trupp eher unbemerkt. Der Rest soll sich in der Nähe des Tores im Dunkeln verborgen halten und kann dann nachrücken, sobald die Tore geöffnet wurden.

Ich denke, dass es göttergefällige zwölf Streiter sein sollen, die den gefährlichen Weg wagen. Der Tunnel endet in den Gewölben unter dem Burgpalas. Dort werden wir uns dann in drei Gruppen aufteilen. Die erste Gruppe soll möglichst unbemerkt ins Torhaus vordringen, die dortigen Wachen überwältigen, und dann Burgtor und Fallgatter öffnen, so dass die restlichen noch kampffähigen Streiter in die Burg eindringen können. Spätestens dann wird sich aber eine weitere Auseinandersetzung mit Simionas verbliebenen Söldnern nicht vermeiden lassen. Das Kommando über die so eindringenden Truppen möchte ich seiner Exzellenz Adran Bredenhag von Aarenstein anvertrauen.“ Der Angesprochene stimmte knapp zu, gab allerdings zu bedenken, dass der Weg Rondras es nicht vorsieht, sich in der Dunkelheit anzuschleichen und sich vor dem Feind zu verstecken. „Allerdings“, warf er verbittert lächelnd ein, noch bevor die ersten Gegenstimmen laut wurden. „Natürlich werden wir uns hier auf die Ortskenntnisse derjenigen verlassen, die die Umgebung kennen und uns zur Burg zurückführen werden.“

Nun war es Nimmgalf der nickte und verstand. Der Baron fuhr fort: „Die zweite Gruppe soll versuchen, meine beiden Kinder in der Burg zu finden, und außer Gefahr zu bringen. Es muss um jeden Preis verhindert werden, dass Simiona ihre eigenen Kinder als Druckmittel gegen mich einsetzt. Ja – selbst das würde ich der Verräterin zutrauen.“ Die anderen nickten zustimmend.

„Die dritte Gruppe, die ich selber anführen werde, wird versuchen Simiona selbst aufzuspüren, zu stellen und zu besiegen. Dies wird zweifellos die gefährlichste Aufgabe sein.“

Daraufhin meldete sich Serafin Feuerblitz zu Wort: „Ihr solltet damit rechnen, dass ihr schurkischer Magus immer noch an ihrer Seite ist. Auch mit verringerten Kräften darf seine Macht nicht unterschätzt werden, denn nach allem, was wir über ihn im Vorfeld in Erfahrung gebracht haben, deutet viel darauf hin, dass er stets ein Ass im Ärmel zurück hält.“ Nimmgalf nickte.

Irberod von Leustein bemerkte Folgendes: „Wenn ihr mit elf anderen Streitern in die Burg eindringt, sollten wenigsten fünf von ihnen sich Simona zuwenden. Beim Burgtor müssten vier genügen, so dass um Eure Kinder zu befreien die restlichen drei verbleiben.“

„Meine Freunde, die folgende Bitte, die ich an Euch richten werde fällt mir schwerer als alles andere, weiß ich doch, ich welch große Gefahr ihr Euch begebt, wenn ihr sie mir erfüllt. Ich bitte Euch, mich auf dem Weg in die Burg zu begleiten, um die Frevler ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Ich weiß, dass ich sehr viel von Euch verlange, doch um Simiona zu besiegen, bin ich bereit bis zu Äußersten zu gehen. Werdet Ihr mich begleiten?“

Tsaiane antwortete als erste: „Ihr seid mein Lehnsherr und mein Kommandant. Wohin Ihr geht werde ich Euch folgen!“ Als nächste sprach Thara von Bodiak: „Ich bin als Rittsmeisterin der Reichsforster Liga in Eure Dienste getreten. Schon damals habt Ihr mir angekündet, dass uns große Gefahren erwarten, und ich war einverstanden. Daher werde ich Euch auch jetzt beistehen, sofern mein Herr Welfert dies gestattet.“ Dabei blickte sie Welfert von Mersingen an.

„Das tut er!“ antwortete der Rabenmärker, „und wird sich ebenfalls anschließen, wenn wider das verderbte Gezücht gefochten wird.“ Welfert schaute geradezu finster drein, als hätte ihn Simionas Verderbtheit persönlich beleidigt. „Ich werde mich um Eure Kinder kümmern.“

„Mit Verlaub!“ Wand sich Anjun von Ingrams Fels zunächst an seinen Großmeister. Als dieser dem jungen Ritter, der einst sein Knappe gewesen war, zunickte, sprach Anjun in die Runde. Sein Blick glitt dabei von Welfert zu Nimmgalf. „Ich würde mich ebenso melden, die Kinder zu schützen, wenn Ihr damit einverstanden seid.“

Welfert betrachtete den jungen Ritter eingehend, bevor er in stiller Hoffnung, er würde ein besseres Benehmen als sein Vetter an den Tag legen, zustimmend nickte. „Euer Schwert ist willkommen“, erwiderte er knapp. Sein Blick galt Nimmgalfs Entscheidung.

Der Baron lächelte erleichtert. „Wohlan, gibt es noch weitere Freiwillige?“

Hadrumir von Schwingenfels hatte die Ausführungen Nimmgalfs ruhig verfolgt. Es war ein riskanter Plan, aber für Hadrumir war klar, dass sie Simiona jetzt und hier aufhalten mussten. Ohne noch weiteres Zögern sprach er leise aber bestimmt: „Ich werde mich den beiden anschließen!“

„Ich würde es übernehmen, eine kleine Gruppe zum Tor zu führen und dies zu öffnen, sodass unsere Streiter eindringen können. Zudem empfehle ich – auch wenn es mir selbst schwer fällt, auf schwere Rüstungen zu verzichten. Zum einen ist der Beschreibung nach der Fluchttunnel, den wir gehen müssen recht eng und zum anderen könnten wir uns durch die Rüstungsgeräusche zu schnell preisgeben! Letzteres ist sicherlich besonders für meine Gruppe wichtig“, schlug Anselm von Hundsgrab-Bugenbühl vor.

„Ich denke, mein Platz wird auch bei denen sein, die das Tor nehmen werden. Ihr werdet einen alten erfahrenen Kämpfer gebrauchen könnten“, wandte sich Irberod von Leustein Anselm zu.

„Auch ich werde Euch begleiten, Junker“, meinte Alrik Herdan: „Das Torhaus muss so schnell wie möglich eingenommen werden.“ Dann wandte er sich dem Großmeister des Zornesorden zu: „Marek Tannhauser, ein Södnerführer in meinen Diensten, wird euch und die letzten Überreste der Streitmacht begleiten. Schließlich konnte er sich schon einmal unbemerkt Zutritt nach Leihenbutt verschaffen, daher mag sein Wissen nützlich für euch sein.“

Auch der Edle von Keres schloss sich ihnen an.

„Wir werden uns Euch ebenfalls anschließen, Euer Hochgeboren.“ Damit wand sich Feuerblitz an Nimmgalf. „Magistra von Greif und ich werden uns um Bartholomäus kümmern und ihn ausschalten.“ Praiadne nickte bestätigend.

Nachdem dies geklärt war, wurden noch Einzelheiten zum Aufbruch erörtert. In etwa einem halben Stundenglas sollte es losgehen.

Schließlich war die Stabsbesprechung vorüber, und die Kämpfer verstreuten sich, um die Ihren vorzubereiten. Allein Welfert von Mersingen ä.H. hatte gewartet, damit er mit Nimmgalf unter vier Augen sprechen konnte. „Wollen wir hoffen, dass Simiona nichts von dem Tunnel weiß, sonst gerät das zu einem Alveranskommando“, begann der Heermeister nüchtern.

„Dessen bin ich mir nur allzu gut bewusst. Die Gefahr ist natürlich vorhanden. Doch zumindest kann ich mich nicht erinnern, dass ich jemals Simiona auf diesen Tunnel aufmerksam gemacht habe, oder dass wir überhaupt mal darüber gesprochen haben. Wenn es nicht einer der älteren Diener verraten hat, dürfte sie davon eigentlich nichts wissen“, antwortete Nimmgalf leicht resignierend.

„Hast Du ein Pfand, mit dem deine Kinder mich als deinen Gesandten erkennen können? Ich sah deinen Jungen vor Jahren das letzte Mal, und fürchte, er misstraut einem blutbeflecktem Fremden. Verzögerungen können leicht böse enden.“

„Ich verstehe!“ antwortete Nimmgalf, und zog seinen Siegelring vom Finger. „Zeige meinem Sohn diesen Ring. Er wird ihn wiedererkennen, weil er schon früher gerne den Hirschen im Wappen sah. Sage ihm und meiner Tochter, dass ihr Vater auf sie wartet.“ Damit überreichte er dem Mersinger den Ring, was einen immensen Vertrauensbeweis darstellte. „Ich vertraue Dir, Welfert. Nur wenige können es schaffen, aber Du gehörst zweifellos dazu.“

Welfert ballte die Faust um den Ring. Er sah die Qual in Nimmgalfs Augen, bei dem Gedanken, seine Kinder verlieren zu können. „Mach dir keine Sorgen, mein Freund, ich werde sie dir zurückbringen, mein Wort darauf.“

Aufmunternd schlug er seinem alten Kampfgefährten auf die Schulter und verließ den Raum. Auch er musste Vorbereitungen treffen. Sie hatten nur die eine Chance, und die mussten sie nutzen.

Nachdem die letzten Vorbereitungen getroffen waren und ein jeder die seinen über die kommenden Ereignisse unterrichtet hatte, brachen sie in die Nacht auf, bereit sich ihrem Schicksal zu stellen.