Geschichten:Helden von Gareth - Schießübungen
Pfalz Bugenhog, Ende Rahja 1035 BF
Der Lärm des lebhaften Treibens auf dem Hof der mächtigen Pfalz Bugenhog war deutlich durch das weitgeöffnete Fenster hörbar. Klar und deutlich hob sich die schnarrende Stimme Egberts von Lepel hervor, der den neurekrutierten Söldnern aus der Wildermark den neuen Bugenhoger Drill beibrachte. Nach der Anwerbung der zahlreichen schweren Andergaster, die einst schon auf Feidewald ihr gutes Gold verdient hatten und unbemerkt schon seit dem Herbst in Parinors Diensten standen, hatte der Pfalzgraf in den letzten Wochen die Truppenanzahl der Pfalz nahezu verdreifacht. Und täglich meldeten sich neue Interessenten, deren Reputation in zahlreichen Plünderungen und Belagerungen der untergegangenen Kriegsfürsten des einstigen Darpatien bestanden und mit traviaweiten Armen in Hartsteen begrüßt wurden.
Vom Arbeitszimmer herab schaute Alrik von Gareth dem Treiben zu, auf dem Gesicht eine sauertöpfische Miene, während sein Gastgeber Parinor in aller Seelenruhe Dokumente auf seinem breiten Eichenschreibtisch sortierte.
»Verzeiht mir, Rabensbrück, dass ich Euch hier warten lassen muss«, wandte der Pfalzgraf sich um Verständnis bittend an seinen Nachbarn, »aber ich habe den letzten Schreiber hinrichten lassen müssen. Gutes Personal zu bekommen ist kein leichtes in diesen Tagen.«
»Lasst Euch alle Zeit, die Ihr benötigt, Dom Parinor«, winkte Alrik von Gareth lässig ab, den Blick unentwegt auf das Treiben im Hof gerichtet, wo einige Söldner auf Lepels Anweisung mehrere Zielscheiben herantrugen. Alrik sah Dutzende Armbrustschützen, die nun begannen unermüdlich ihre Bolzen in das Stroh zu hämmern.
Nach einer Weile erhob sich Parinor und gesellte sich zu seinem Gast ans Fenster, je einen gefüllten Weinpokal in der rechten und der linken Hand. Der Baron von Rabensbrück griff kopfschüttelnd zu und stürzte den würzigen Inhalt seine Kehle hinab.
»Wie kann ich Euch zu Hilfe sein, Rabensbrück?« Das Lächeln um Parinors Mund war fein und scharf.
Mit einem Ruck drehte sich Alrik von Gareth herum und blickte seinem Gegenüber direkt ins Auge. »Ist es denn wahr, was man gegen Euch vorbringt, Dom Parinor? Dass Ihr in die Intrigen gegen das Zedernkabinett verwickelt seid, um die Macht an Euch zu reißen?«
Parinor lachte kurz auf. »Ach wo! Ich hoffe, Ihr verschwendet keine Aufmerksamkeit an diese üblen Verleumdungen, Rabensbrück. Das ist nichts anderes, als der Versuch den guten Ruf eines aufrechten Adligen in den Schmutz zu ziehen, der auf den Adressaten zurückfallen wird.«
»Das mag so sein, Dom Parinor, aber immerhin ist darunter die Stimme des Burggrafen der Raulsmark, und das ist eine gewichtige Stimme in Garetien.«
Parinor schüttelte verächtlich den Kopf. »Die Stimme eines Adligen, der all die Jahre ganz offensichtlich unter dem Deckmantel der Rechtschaffenheit für die Belange von Betrügern und Dieben eingetreten ist? Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass Raulsmark nichts von den Machenschaften seiner Schwiegertochter gewusst hat, oder? Es passt doch mehr als zusammen: So viele Jahre schmiedet der gewiefte Burggraf familiäre Bande ins gesamte Reich, um sich unter der Hand mit der Phex-Kirche die Gewinne zu teilen. Der eigentliche Skandal daran ist doch, dass der gesamte Adel Garetiens nicht empört aufschreit und den Heuchler als den aalglatten Betrüger brandmarkt, der er doch offensichtlich ist.«
Noch nicht überzeugt blickte Alrik von Gareth wieder hinunter in den Hof, wo Lepel den Schützen mit scheppernder Stimme seine Befehle zurief. Die Bolzen trafen so gut wie immer mit einem dumpfen Geräusch in ihr Ziel. Aber anstatt die offenkundige Entgegnung zu machen, schwieg der Baron von Rabensbrück.
Parinor trat einen Schritt an seinen Gast heran und raunte ihm ins Ohr: »Es geht doch gar nicht um mich, oder? Es geht doch vielmehr darum, dass an Eurer Stelle nun Luring die Geschicke des Königreiches lenkt. Und das mit der Empfehlung Eures geschätzten Bruders Gerwulf, der sich damit als Eurer hilfreichster Vertrauter bewiesen hat.«
Das Scheppern des Pokals war so laut, dass die Armbruster kurz inne hielten und nach oben schielten. Mit hochrotem Kopf und einer hervorgetretenen Schlagader schaute Alrik von Gareth den süffisant lächelnden Bugenhog an. »Ich hätte der neue Staatsrat werden müssen! Und nicht dieses Stück vertrocknete Pergament, diese verschimmelte Schreiberseele, dieses altadlige Käsestück, welches sich nun hochtrabend Cantzler schimpft!«
»Es war von Anfang an ein abgekartetes Spiel«, erwiderte Parinor leise nickend. »Man hat Euch auflaufen lassen, wie einen Idioten vorgeführt und sich am Ende über Euch lustig gemacht. Gegen mich haben sie Dreck geschmissen, aber Euch, Rabensbrück, haben sie gedemütigt. Und Euer Bruder, nachdem er seine Schäfchen mit der Alriksmark ins Trockene gebracht hat, hat es nicht verhindert.«
Verächtlich schnaubend schüttelte Alrik von Gareth den Kopf. »Es ist etwas faul im Königreich Garetien. Tierkönige bestimmen über Grafen, der Adel über seinen Staatsrat, Städter über die ihnen auferlegte Steuer. Wir gehen unruhigen Zeiten entgegen.«
In seine Worte mischte sich das Johlen der Söldner, die wie trockener Schleim klingende Stimme des Lepels und das Schweigen des Pfalzgrafen von Bugenhog.