Geschichten:Hinter mächtigen Mauern - Rechnungen
In der Alcazaba Zolipantessa, Peraine 1035 BF
Die Frühlingssonne warf ihre letzten Strahlen durch die hohen Bleiglasfenster des Praiomonkabinetts und tauchte die versammelten Ratsherrn und -frauen in ein gelbliches Licht. Ratsdiener entflammten die Laternen, um eine gleichmäßige Beleuchtung zu erzeugen. Auf einer langen Tafel lagen allerlei Pergamente und Papiere, Tintenfässer, Federhalter, Löschsandbüchsen und Griffel, ein Rechenschieber, eine Karte der Stadt, eine Kopie der Kaiserlichen Handfeste für die Reichsstadt sowie das Siegel der Stadt. Versammelt waren um den Tisch nicht nur Vertreter des Rates, sondern auch einige einflussreiche Leute mehr, die in Perricum etwas zu sagen hatten. Am Kopf der Tafel präsidierte …
… die Sphinx bewegte sich nicht. Nur die Augen huschten von einem zum anderen und fixierten die Sprecher, als hörte die Sphinx mit den Augen und nicht mit den Ohren. Die Sphinx thronte gleichsam über dem Rat, wirkte durch die schiere Masse erhöht, erhaben, erhoben. Doch die Sphinx saß auf denselben Stühlen wie der Rat. Sie griff langsam nach dem Siegel der Stadt, packte es und umschloss es ganz. Dann verharrte die Sphinx erneut bewegungslos, fast starr, doch aufmerksam folgte ihr Blick …
… dem Reichsvogt war nicht wohl dabei. Er hätte am Kopf der Tafel sitzen müssen. Außerdem fühlte er sich beobachtet. »Gut, was also machen wir wegen der Flotte?«
»Das ist ganz einfach«, erwiderte Ratsherr Odoardo von Quintian-Hohenfels. »Wir haben einen Vertrag mit der Flotte. Der regelt die Beauftragung Perricumer Handwerker, die Zulieferungen an die Flotte und die Abgabenlast für die erbrachten Dienstleistungen. Die Admiralin hätte das gewusst, dieser Stellvertreter wusste es offenbar nicht. Sonst hätte er nicht die Dummheit begangen, die Konkurrenzklausel zu brechen.«
»Stimmt!«, fiel nun Haugmina Schöllingh ein. »Da kommt auf die Flotte eine Vertragsstrafe zu, die sich gewaschen hat!«
»Und außerdem«, ergänzte Quintian-Hohenfels, »ist das ein weiteres Argument für unser Anliegen: Die Flotte kann nicht erwarten, dass man ihr das Wasser frei Haus liefert, wenn sie ihr Gold beim Nachbarn lässt. Überdies können die Handwerker die Leistung dennoch einfach in Rechnung stellen, als hätten sie sie aufgeführt. Pacta sunt servanda.«
»Dass man das dem Adel erst erklären muss …« schüttelte der Reichsvogt und sah nach links …
… zur Sphinx drangen die Worte der Ratsherren wie durch einen fernen Schleier. Die Sphinx hörte eigentlich nur das Klimpern des Goldes, doch die Bedeutung der Worte war klar. Der Rat der Stadt wusste was zu tun war, die Sphinx brauchte keine Ratschläge zu erteilen. Leicht hob sich die Rechte der Sphinx und deutete auf …
… Hyvilla Marix erhob nun ihre Stimme, wobei ihre feisten Wangen gelblich-wächsern schimmerten: »Dergelmund muss selbst Sorge um eine Vertragsstrafe haben, immerhin gehören stets zwei zu einem Handel. Aber Amuna Holmstetter ist ja nicht völlig verblödet. Sie wird die Aufträge des Vizeadmirals ablehnen, sie weiß, dass sie sich jetzt am besten wohl verhält.«
»Wohlverhalten ist so ein Stichwort«, warf Reichsvogt Wallgrîn ein. »Einige Soldaten haben lauthals gegen das Alkoholverbot gemeutert. Das war schließlich zu erwarten; man kann den niederen Rängen nicht die Privilegien von Generationen über Nacht wegnehmen, also einen Becher Branntwein pro Tag. Wie mir die Nachtwächter aus Efferdsgrund mitgeteilt haben, sollen etwa zwei Dutzend Soldaten sturzbesoffen zwei Katzen verbrannt haben, die eine nannten sie Aldron, die andere Keres.«
»Was hat man mit ihnen gemacht?«, fragte Abethäo Wintherlich bestürzt.
»Na, in den Fluss geworfen. Ach so, Ihr meintet die Soldaten? Die kamen in den Turm, bis sie nüchtern waren. Die Übernachtungskosten könnten wir jetzt dem Regiment in Rechnung stellen.« Wallgrîn grinste breit, doch dann fiel sein Blick auf …
… die Sphinx deutete unendlich langsam auf ein bestimmtes Pergament und ließ schließlich das Stadtsiegel darauf fallen. Das knallende Geräusch des Siegels auf dem Holz der Tafel erschreckte …
… Yargunde von Barûn-Bari griff nach dem Pergament. Es war der Befehl des Heermeisters an die Truppen in der Markgrafschaft, bewaffnete Freie aufzugreifen und sie auf die Fahne Perricums zu verpflichten. Barûn-Bari wedelte mit dem Pergament: »Das hier wird noch interessant werden. Aus drei Gründen, erstens: Ein erzwungener Schwur auf die Fahne ist nichts wert. Soll er es sein, kann er nur Untertanen des Markgrafen betreffen, die ihm jedoch sowieso Gefolgschaft schulden; soll er auch anderen etwas bedeuten, muss ihm ein Gegenwert gegenüberstehen. Das sind die Regeln von Herrschaft und Gefolgschaft, wie sie am Rechtsseminar beim Greifen gelehrt werden. Ich kenne einige Söldner, die dem Markgrafen nur zu gern den Sold in Rechnung stellen würden, den er ihnen schuldet, sobald sie auf die Fahne verpflichtet wurden. Zweitens: Der Khunchomer Kodex erlaubt nur einen Dienstherrn; Söldner mit Soldbrief oder Kriegerbrief haben also einen Rechtsanspruch auf Sold durch den Markgrafen. Solche Söldner, die bereits einen Kontrakt besitzen, dürfen sogar Ablösung durch den Markgrafen verlangen. Sobald Firunslicht einen Söldner in Diensten der Reichsstadt abpresst, haben auch wir als Auftraggeber Anrecht auf Entschädigung. Das könnte verdammt teuer werden. Drittens: Allen Menschen, die sich auf der Reichsstraße bewegen und die Freizügigkeit genießen, mithin also weder Leibeigene noch Schollengebundene sind, die man wegen des Tragens eines Kurzschwertes oder so aufgreift, wird ihr Recht als Untertan der Raulskrone gebrochen. Sie könnten vor allen Freigerichten der Markgrafschaft Entschädigung von den örtlichen Lehnsherren einklagen. Ich glaube, da geht noch einiges ab. Ich bin gespannt auf die ersten Beschwerden ehrlicher Söldner!«
Alle hatten der Ratsherrin gebannt gelauscht. Sie kannte sich aus - immerhin stattete sie ihre Handelszüge in den Süden stets mit starker Bedeckung aus - und sie soll sogar den ein oder anderen Söldner in ihr Bett gelassen haben, so nah war die dem Söldlingsstand. Barûn-Bari wollte noch etwas ergänzen, doch ein herrisches Klacken ließ sie schwiegen. Das Klacken kam von …
… der Sphinx rann ein schwerer Tropfen über die Stirn. Mit scharfem Nagel klopfte die Sphinx auf die Lehne des Stuhl und rief die Ratsleute zur Ordnung. Zwar ließen sich nur wenige wirklich von der Präsenz der Sphinx einschüchtern - jeder von ihnen hatte seine Geschäfte, seine Erfahrungen, seine eigenen Untergebenen -, aber einigen der Ratsleute war gar nicht wohl unter den Blicken der Sphinx, insbesondere …
… Wallgrîn von Perricum griff ein Manuskript von der Tafel und räusperte sich: »Ein letztes noch: In den letzten Tagen sind die Angehörigen des Bombardenregimentes größtenteils im Wappenrock herumgelaufen, auch außerhalb des Dienstes. Ich weiß von mindestens einem Fall, wo es disziplinarische Konsequenzen geben soll, nur weil eine Mutter, die auch Korporalin des Regimentes ist, den Wappenrock nicht getragen hat. Am Tag der Hochzeit ihrer Schwester! Die meisten der Soldaten, die hier gezwungen werden, den Wappenrock sozusagen auch im Schlafzimmer zu tragen, sind Bürger der Reichsstadt! Wir glauben, dass dahinter eine Anordnung der Regimentsführung steckt. Wir werden deshalb dieses Schreiben«, der Reichsvogt wedelte mit dem Manuskript, »an den Regimentsstab senden und ihn darauf hinweisen, dass sie alle, sofern sie nicht den Brügerbrief der Stadt besitzen, Gäste der Kaiserin und ihres Stadtrates sowie der versammelten Bürgerschaft sind. Gäste, nota bene. Vielleicht fällt denen da dann ein, dass man als Gast höflich sein sollte.«
»Der Gastgeber darf sich aber auch nichts zu Schulden kommen lassen!«, warf Pernilla Zolipantessa ein.
»Ganz recht. Darauf müssen wir noch schärfer achten. Wir handeln ganz nach dem Buchstaben des Gesetzes!« Damit löste der Reichsvopgt die Versammlung auf, der blieb allein im Praiomonkabinett, nachdem alle gegangen waren. Bei ihm blieb nur …
… die Sphinx nickte anerkennend. Schleppend: »Gut gemacht, Reichsvogt. Ich glaube die Stadt wird es schaffen, ihr Recht zu ertrotzen. Da sind jede Menge Rechnungen offen. Was die Flotte betrifft - darum können sich auch andere kümmern.« Mit diesen Worten erhob sich schwerfällig die Sphinx wie ein Berg, wie ein Koloss, wie der Gigant. Es waren diese machtvolle Größe und die statuenhafte Bewegungslosigkeit, die Olor Marix seinen Beinamen gegeben hatten.
Garetien-, Greifenfurt- und Perricum-Con 2012
|
◅ | Wir ziehen nicht den Schwanz ein! |
|
Der Senschall und der Oberst | ▻ |