Geschichten:Holdine von Waidbrod & Ehrgirte von Uslenried
Eisiger Bund
Firun hielt Waldstein in seinem eisigen Griff. Schnee bedeckte die dicht bewaldeten Hügel, und der unwegsame Pfad zwischen Hasenfelde und Hadletts Hof war von einer undurchdringlichen Kälte umhüllt. Geslaff von Hasenwaldeck, ein gestandener Ritter, der aber auch gerne der holden Weiblichkeit nachstellte, machte sich auf den beschwerlichen Weg durch das frostige Gelände. Vor wenigen Tagen hatte seine Mutter Holdine Burg Hasenwaldeck in Richtung Hasenfelde verlassen und war nicht wieder zurückgekehrt. In Hasenfelde berichteten die leibeigenen Bäuerlein, die rüstige alte Dame sei mit dem Pferd gen Praios geritten.
Voller Argwohn, was wohl vor sich ging, schwang sich der Ritter auf sein Pferd. Doch, der Waldsteiner Winter war nichts für Eilige. Nach wenigen Schritt musste er wieder von seinem Pferd absteigen, zu hoch umhüllte der Schnee das Land. In der Stille des Winters hörte Geslaff ein schwaches, klirrendes Geräusch. Sein Herz schlug schneller, als er den Pfad weiterverfolgte. Hinter ein paar Bäumen und Buschwerk verborgen, stieß er auf eine grausige Szenerie, die dem gestandenen Ritter das Blut in den Adern gefrieren ließ: An einer mächtigen Eiche hingen die leblosen Körper zweier alter Frauen, fest gefroren im eisigen Griff des Winters.
Die erste, Holdine von Waidbrod, war die Mutter von Geslaff. Ihr Antlitz, das einst von Würde gezeichnet war, war nun zu Eis erstarrt. Unweit von ihr hing Ehrgirte von Uslenried, eine Verbündete des jüngeren Hauses Streitzig, mit dem die Hasenwaldecks verfeindet waren. Die Fügung des Schicksals hatte sie Seite an Seite in den eiskalten Armen des Winters zurückgelassen. Oder wohl doch eher kalte Menschenhand. Wer vermöchte so eine abscheuliche Tat begangen haben? Räuber? Entflohene Leibeigene? Feinde seiner Familie?
"Mutter... was hat dich hierhergeführt?", flüsterte Geslaff leise, während eine Träne aus seinem rechten Auge herunterkullerte, die sich jedoch recht schnell in einen Eiskristall verwandelte. Der Ritter näherte sich bedächtig den leblosen Körpern, es war, als ob die Winterluft selbst ihre letzten Worte eingefroren hatte. In den Händen von Holdine fand Geslaff einen Brief, vom Frost eingebrannt. Er entfaltete das Pergament und las das Geschriebene. Geslaff starrte auf die Worte, die für ihn wenig Sinn ergaben. Er konnte es kaum fassen. Sein Herz war schwer vor Trauer und Verwirrung. Ehrgirte von Uslenried, die Feindin, hatte gemeinsam mit seiner Mutter den eisigen Tod gefunden.
Die winterliche Stille wurde von einem entfernten Heulen des Windes durchbrochen, während der Ritter von Hasenwaldeck den Pfad zwischen den leblosen Körpern verließ. Er würde mit ein paar Knechten wiederkommen, um die Toten zu bergen. Der eisige Winter brachte Tod und Trauer, doch Geslaff musste einen klaren Kopf bewahren und den Brief seinem Bruder, dem Junker, übergeben. Er würde wissen, was zu tun ist.
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