Geschichten:IHM zum Wohlgefallen
"Ich denke, es ist an der Zeit, den nächsten Schritt zu machen, mein Kind."
"Euer Vertrauen ehrt mich. Denkt Ihr, dass ich nun soweit bin?
Die ältere der beiden Frauen setzte ein feines Lächeln auf, was sich jedoch nicht auf ihre kühl dreinschauenden Augen übertrug.
"Ja. Du hast die Lektionen, die ich Dir in den letzten Götterläufen vermittelt habe, gut verinnerlicht und umgesetzt. Der Güldene blickt mit Wohlwollen auf Dich. Es ist an der Zeit, weiter voranzuschreiten und in Besitz zu nehmen, was dir zusteht, unserem Herrn zum Wohlgefallen."
"Ich verstehe." erwiderte die Jüngere. "Die Geschäfte meines hochverehrten Familienoberhaupts werden bald eine Führung haben, die die Zügel nicht mehr so schleifen lassen und mit mehr Entschlossenheit und Stärke agieren wird. Und auch in dieser Schwatzbude wird sich bald Einiges ändern."
"Dein Enthusiasmus im Dienste unserer Sache ehrt Dich, aber freue Dich nicht zu früh! Selbst wenn Dir die Tat gelingen und Du damit Deine unverbrüchliche Treue gegenüber dem einzig wahren Gott unter Beweis gestellt haben solltest, bedeutet das noch lange nicht, dass man Dir automatisch auch die Posten Deiner Anverwandten überträgt. Ich hoffe, Dein Plan ist gut."
"Das ist er", erwiderte die ausnehmend hübsche jüngere Dame mit einem sardonischen Lächeln. "Ich weiß, wann ich was wie wo und mit wem zu tun habe. Dokumente kann man fälschen, Zwietracht kann man säen und Wohlwollen kann man sich erkaufen oder erschlafen. Ich habe vor, alle diese Möglichkeiten zu nutzen. Und ich habe Geduld, eine Tugend für deren Erlernen ich Euch sehr dankbar bin, Gebieterin", schloss sie mit deutlichem Respekt in Stimme und Blick.
"Gut, denn gerade diese Eigenschaft ist für unsere weiteren Pläne zum Frommen des Güldenen sehr wichtig. Wir haben Zeit und wir lassen sie für uns arbeiten. Schon viele brillante Planungen scheiterten an der Ungeduld ihrer Schöpfer. Am Ende zählt für unseren Herrn nur das Ergebnis. Ob wir für diese Resultate selbst sorgen oder lediglich den Boden für die nach uns Folgenden bereiten, spielt hierbei keine Rolle. Denn wir handeln schließlich nicht wie all die Anderen aus simplem Streben nach Macht oder Reichtum heraus. Ja, beides begehren auch wir, doch nicht für uns selbst, sondern für etwas Höheres, etwas Größeres als wir es sind. Und wenn wir hierbei Erfolg haben, wird der Blick des Einzigen mit Wohlgefallen auf uns ruhen und wir reich belohnt werden. Nicht mit goldenem Tand oder leeren Titeln, sondern mit wahrhaft wunderbarer Macht; Wunder, wie ich sie Dir bereits zeigte und die Du, wenn Du Dich endgültig bewiesen hast, schon bald selbst vollbringen können wirst."
Mit feierlicher Stimme entgegnete ihr Gegenüber: "Nichts weiter erstrebe ich, als unserem Herrn zu dienen und seine Macht zu mehren. Ich werde ihn und euch nicht enttäuschen, das verspreche ich!"
"Dann ist die Stunde Eurer Bewährung nun gekommen! Wir treffen uns in zwei Monden wieder und ihr werdet mir über eure Fortschritte berichten."
"Da bist Du ja mein Kind!" Ich habe bereits die Kunde über Deinen Erfolg vernommen. Du hast dem Güldenen nunmehr bewiesen, dass Du würdig bist, ihm weiterhin zu dienen und seine Weihe zu empfangen."
"Das, oh das ist wunderbar, Gebieterin!"
"Um Deine Weihe werde ich mich alsbald kümmern. Hier und jetzt fasse bitte für mich in kurzen Worten zusammen, wie Du bereits in knapp zwei Monaten alle Ziele erreichen konntest.
"Oh, das ist schnell erzählt", fuhr die junge Patrizierin mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht fort, "ein langsam wirkendes und nicht nachzuweisendes tödliches Gift für das Oberhaupt meines Hauses, ein Beutel Silber und einen tragischen Unfalltod für ein gefälschtes Testament zu meinem Gunsten, ein Beutel Gold, diverse Versprechungen und zweimal mit den richtigen Leuten schlafen für den Sitz in dieser Runde von Kleingeistern und zu guter Letzt ein paar wohlgestreute Gerüchte und Verleumdungen gegen meine übrige Familie zur Absicherung meines Aufstiegs. Mehr war nicht nötig, um mich zur Gänze meine schmerzlich vermisste Anverwandte beerben zu lassen."
"Ich sehe, mein Vertrauen in Dich war gerechtfertigt und Du hast Dich als sehr gute Schülerin erwiesen. Ich bin stolz auf Dich."
"Danke. Habt Ihr weitere Anweisungen für mich?"
"Derzeit nicht, meine Liebe. Mehre weiter Reichtum und Einfluss Deiner Familie und deren Unternehmungen. Tue was Dir beliebt, solange es nicht den Verdacht der Unerleuchteten erweckt. Doch nun entschuldige mich, ich habe noch andere Verpflichtungen. Ich werde schon bald nach Dir schicken lassen, damit Du die Weihen des Güldenen empfangen kannst."
Ihre Novizin hatte sich ausgesprochen gut gemacht; hoffentlich nicht zu gut, ging es der Alten beim Verlassen des Raumes durch den Kopf ...
"Ich freu´ mich auf unserer Wiedersehen, Gebieterin!"
Die nunmehr zu den ersten Bürgern der Stadt gehörende Frau schien beinahe vor Stolz zu platzen. Zugleich begann sie, sich erste Gedanken über die Zukunft im Dienste des einzig wahren Gottes zu machen, Gedanken, in denen ihre Mentorin nurmehr eine bestenfalls untergeordnete Rolle spielte ...