Geschichten:Im Sturm - Eine schnelle Reise
Straße von Natzungen nach Feidewald, kurz vor Untersteen , im Laufe des Vormittags, 1. Travia 1030 BF
Ein dumpfes Hämmern erfüllte ihren Schädel. Ehe sie recht zu sich kommen konnte, bahnte sich sauer ihr karges Frühmahl den Weg ihre Kehle hinauf – nein doch irgendwie hinab. Langsam wurde sie sich ihrer Lage bewusst.
Unangenehm drückte der Vorderzwiesel eines Sattels auf ihre Bauchdecke. Eine schwere Hand sicherte sie an der Hüfte, um ein Abgleiten zu verhindern. Sie spürte die Wärme von Schenkeln an ihrem leicht tauben Körper. Ihre Handgelenke waren auf ihrem Rücken fest aneinander gefesselt.
Sie lag bäuchlings vor einem Mann auf dem Rücken eines sanft galoppierenden Pferdes. Ihr Kopf dröhnte im wiegenden Takt des Tieres. Würgend spuckte sie den sauren Mageninhalt aus.
Die breiartige Masse fiel gegen den Steigbügel und den Stiefel des Reiters und von dort zu Boden. Leise stöhnte sie auf und kämpfte gegen ein neuerliches Abgleiten ins Dunkel an.
„Sie scheint halbwegs wach zu sein, Herr“, tönte es von rechts zu ihr herüber. „Mein Schlag scheint ihr doch heftiger zugesetzt zu haben. Sie hat euch grad auf die Stiefel gekotzt.“
Hadrumir fluchte herzhaft über ihr im Sattel. Noch nicht wieder Herr ihrer Sinne durchzuckte sie ein kurzes Gefühl der Schadenfreude. Wieder würgte sie.
Eine harte Hand parierte das Tier zum Schritt durch und zog sie dann aus ihrer Lage und drehte sie – sodass sie nun seitlich vor dem Junker auf seinen Schenkeln zu sitzen kam. Sarkastisch grinsend fasste Hadrumir sichernd mit der Rechten um die Hüfte der schwankenden Frau und übernahm die Zügel in die rechte Faust – mit der linken Hand griff er nach einem Wasserschlauch, der ihm angereicht wurde. Tanira krallte sich mit den Fingern in das Mähnenhaar des Tieres, um ihren Sitz zu sichern. Die rasche Änderung ihrer Position lies sie wieder um das Bewusstsein kämpfen. Kraftlos hang sie mehr als dass sie saß in Hadrumirs Arm. Er hielt ihr den Wasserschlauch an die Lippen, und half ihr sich den Mund auszuspülen und das Wasser am Pferdehals vorbei auszuspucken, bevor er sie dann einen Schluck trinken ließ.
„Ich sagte Euch doch, Ihr werdet den Tempel nicht erreichen. Nun reißt Euch zusammen – wir müssen noch etwas weiterkommen“, sprach er sie dann direkt an, während er den Schlauch zurückreichte. Fast sanft drückte er dann die noch orientierungslose Frau an sich und ließ sein Tier wieder in Galopp fallen. Wieder hüllte der Schleier der Bewusstlosigkeit Tanira ein, als die Gruppe das Tempo forcierte.
Straße von Natzungen nach Feidewald, kurz vor Pulping, Später Mittag, 1. Travia 1030 BF
Sie erwachte alarmiert, weil sich irgendetwas geändert hatte. Tatsächlich hatte die stete Bewegung des Tieres unter ihr aufgehört, welche sie immer wieder gegen die gepanzerte Brust des Mannes im Sattel des Tieres getragen hatte. Sie spürte, wie der Mann vom Pferd stieg, sie dabei aber immer noch stützte, damit sie nicht fallen konnte. Um sich herum hörte sie die anderen Männer, wie sie sich um die Tiere kümmerten und sich lockerten. Sie öffnete vorsichtig die Augen und orientierte sich. Die Gruppe befand sich an einem Waldrand an einer Quelle – ein perfekter Ort für eine Rast.
Der Schwingenfelser fasste ihr nun mit beiden Händen an die Hüften und zog sie vom Pferd. Er ließ sie auf seine Schulter gleiten und trug sie zu einem Baumstamm, der in der Nähe lag – dort legte er sie zu Boden und überließ sie dann sich selbst.
Tanira kämpfte wieder mit Schwindelgefühlen und den schmerzenden, mittlerweile verspannten Schultern.
Während die Männer ihre Tiere versorgten, versuchte die junge Frau sich an dem Baumstamm etwas aufzurichten und sich zu setzen.
Immer noch bohrte und hämmerte es in ihrem Kopf, als hätte ein ganzer Clan Ambosszwerge in ihrem Kopf Heimstatt bezogen. Als sie es endlich trotz der hinter dem Rücken gefesselten Händen und dem ungewohnten Gewicht des Kettenhemdes geschafft hatte, sich aufzurichten, schloss sie seufzend die Augen.
„Ihr scheint den Tag ja nicht sehr zu mögen, wenn ihr dauernd die Augen schließt.“
Sie riss die Augen auf und blinzelte in die Sonne, die hinter der Gestalt des Schwingenfelsers stand. Sie wendete den Blick ab, da sie nicht ungeschützt in das gleißende Licht der Praiosscheibe sehen konnte. Hadrumir grinste sarkastisch und ließ sich dann neben ihr auf dem Baumstamm nieder.
„Wie konntet Ihr es wagen?“ zischte sie ihn wütend an. Der Junker grinste nur und nahm einen Schluck aus dem Wasserschlauch, anschließend biss er herzhaft in ein Stück kalten Braten und kaute zufrieden, während er sie wortlos musterte.
Tanira gab ihre fruchtlosen Beschimpfungen nach ein paar Minuten auf, da sie merkte, dass es ihr Gegenüber ungefähr so berührte, als sei er eine Steineiche, an der sie, eine kleine Wildsau, sich kratzte. Außerdem wurde ihr der Mund trocken – sie versuchte sich an dem Stamm bequemer anzulehnen – doch ihre Arme auf dem Rücken behinderten sie zu sehr.
Der Schwingenfelser stellte seinen Proviant zur Seite, griff mit der einen Hand an den Gürtel und mit der anderen an ihre Schulter. Ehe sie protestieren konnte, hatte er sie nach vorne gedrückt und sie fühlte den kalten Stahl seines Dolches an ihren Handgelenken. Mit einem kurzen Schnitt durchtrennte er die Lederriemen, die ihre Gelenke auf den Rücken verbannten. Ebenso überraschend zog er sich dann wieder zurück und widmete sich wieder dem Essen. Die junge Baronin richtete sich wieder auf und nahm die Arme nach vorne – sie rieb sich die Hände, um die Blutzirkulation wieder anzuregen. Dann musterte sie ihr Gegenüber.
„Warum? Warum lasst Ihr Natzungen so in die Hand des Grützers fallen? Was haben Euch die Menschen dort getan?“
„Wie kommt Ihr auf die Idee?“
„Wie sagtet ihr gestern selbst – in drei Tagen ist der Grützer da – nur, dass ich nun nicht da sein werde, um die Verteidigung sicherzustellen! Was soll das Ganze überhaupt?“ Sie blitzte ihn feindlich an.
Hadrumir aß ungerührt weiter und machte keine Anstalten, ihr zu antworten oder sie versorgen zu lassen. Er lies das gute Gefühl, Herr über sie zu sein, auf sich wirken.
Die Natzungerin begann ihren Kopf abzutasten und stöhnte schmerzhaft auf, als sie die Beule auf ihren Hinterkopf untersuchte. Hadrumir fluchte innerlich. ’Raul hat sie zu sehr erwischt – Sie scheint fast nicht denken zu können.’ „Das alles ist nur zu Eurem Besten, ebenso wie es nur zum Besten Natzungens ist. Auch wenn Euch dies bei Eurem dröhnenden Schädel gerade nicht klar ist.“ Er wandte sich leicht von ihr ab – und winkte einem seiner Männer zu: „Bring Tücher und kaltes Wasser, damit sich das Weib den Kopf kühlen kann, sonst kommen wir nie weiter!“ Dann wandte er sich wieder zurück und reichte ihr das Wasser. „Es soll ja nicht heißen, ich hätte Euch nicht versorgen lassen.“ Er sah, wie sie mit ihrem Stolz kämpfte das Wasser anzunehmen und konnte gerade noch ein bewunderndes Lächeln unterdrücken.
„Ihr könnt es ruhig nehmen – entweder trinkt Ihr freiwillig oder ich lasse es Euch einflössen.“ Seine Stimme klang kalt und unpersönlich und wirklich griff die junge Frau nun zögerlich zu und nahm das Wasser an – er hielt es noch einen Moment länger fest und ließ erst los, nachdem sie ihm offen in die Augen gesehen hatte.
Deutlich lass er in dem Blick die Nachwirkungen des Schlages und erkannte dass er für heute nicht auf sinnvolle Gespräche mit ihr hoffen konnte. Er überließ ihr das Wasser und stand auf um sein Pferd wieder für den Weiterritt fertig zu machen. Die Natzungerin ließ er währenddessen keinen Moment aus den Augen, auch wenn sie zu schwach für eine Flucht erschien. Er hatte wahrlich keine Lust der Frau noch durch den Wald nachjagen zu müssen.
Einer seiner Männer trat wortlos an sie heran und reichte ihr mehr Wasser und ein paar Binden. Sie begann damit, ihren Kopf zu kühlen. Hadrumir ließ ihr noch etwas Zeit, ehe er mit seinem Pferd an der Hand zu ihr trat und ihr die andere Hand entgegenstreckte, um ihr aufzuhelfen.
„Steht auf, wir müssen weiter!“ Die Natzungerin blickte auf und nahm nach kurzem Zögern die Hilfe an.
„Habt ihr ein freies Pferd für mich?“
„Nein, Ihr seit nicht in der Lage zu reiten“ unterband er trocken jede weitere Diskussion. „Ihr werdet weiter mit mir reiten.“ Er würde sich nicht ohne Not das Vergnügen nehmen lassen, sie vor sich zu spüren. ’Wenn ich sie unter anderen Umständen kennen gelernt hätte, dann…’ schoss es ihm durch den Kopf, doch wischte er diesen Gedanken schnellstmöglich beiseite.
Er zog sie in den Stand und ließ sie dann los, um aufzusteigen. Einer seiner Männer trat hinzu, fesselte ihr die Handgelenke vor dem Bauch und hob die junge Frau hinauf zu seinem Vorgesetzten.
Tanira war klug genug einzusehen, dass sie gegen die Männer in ihrem Zustand keine Möglichkeit hatte und jede Anstrengung sie nur unnötig entkräften würde. Sie versuchte sich bequemer zu platzieren – fand aber keine Position in der sie dem engeren Kontakt zu dem Mann hinter ihr entgehen konnte. Hadrumir kümmerte sich nicht darum und legte ihr wieder einen Arm um die Hüfte und zog sie an sich.
„Nutzt die Situation nicht schamlos aus“ protestierte die Natzungerin – wurde aber von Hadrumir nur mit einem sarkastischen Lachen belohnt.
„Schamlos könnte ich werden, wenn euer Kopf wieder klar ist – und ihr die Verzichtserklärung unterschrieben habt – und das werdet Ihr!“ Bei diesen Worten gab er dem Tier die Sporen zu schmecken und sprengte zurück auf die Straße. ’Wahrlich kein abwegiger Gedanke’ schoss es Hadrumir durch den Kopf. ’Wie hatte es Anselm formuliert: Macht mit ihr, was ihr wollt. Wir brauchen sie in jedem Fall aber lebend.’ Er zog die Kleine an sich und sprengte weiter.
Tanira musste wieder gegen das Abgleiten ins Dunkel ankämpfen. Einen Kampf, den sie zwar gewann, der aber ihre gesamte Aufmerksamkeit forderte.
◅ | Ende eines Traumes |
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