Geschichten:Im Sturm - Kampf um Natzungen
Stadt Natzungen, der Morgen des 04. Travia 1030 BF
Bodebert fluchte laut. Seit drei Stunden berannten seine Truppen das Stadttor Natzungens und bisher war jeder Versuch seiner Männer gescheitert. Weithin sichtbar war auf dem Stadttor das Banner des Schwingenfelsers provozierend aufgestellt. Bodebert wandte sich an seinen Hauptmann. „Macht diesem Treiben endlich ein Ende! Ich will dieses Tor in der nächsten Stunde in unserer Hand haben. Wie Ihr dies anstellt, ist mir egal! Nehmt es ein!“
„Herr, unsere Ramme wurde beim letzten Ansturm zerstört!“
Odilbert trat hinzu. „Euer Hochgeboren! Es ist schwierig. Wir sollten uns sammeln!“
„Nein, stürmt die Stadt! Und bringt mir diese falsche Schlange!“ Odilbert versuchte erneut zu einer Erwiderung anzusetzen. „Ich will nichts hören!“
„Aber,…“ Bodebert packte seinen Vetter. „Du wirst diesen Angriff anführen! Und wage es ja nicht, mir unter die Augen zu treten, wenn das Tor nicht in unserer Hand ist!“
Odilbert schluckte. „Zu Befehl!“
Hadrumir lächelte grimmig. Bisher war er von seinen Schützen nicht enttäuscht worden und auch die Natzunger Bürgerwehr leistete gute Arbeit. Mit Leitern und einer Ramme hatten es die Grützer Soldaten versucht, doch was von den Schützen nicht erledigt wurde, hatten er und seine Männer unter Kontrolle. Sogar einen kurzen Ausfall zur Zerstörung dieser elendigen Ramme hatte er wagen können. Auf der rechten Flanke hatte er seiner Kusine Danaris das Kommando übergeben, links stand Thronhardt.
Korporal Kalman trat an ihn heran: „Sie kommen wieder mit den Leitern!“
„Sollen Sie doch! Sag den Schützen Bescheid, sie sollen sich zurückziehen! Es wird Zeit, dass wir den Grützer in die Falle locken!“ Hadrumir blickte hinab zu einem Boten. „Bote, sag Hauptmann Raul, dass er sich bereithalten soll. Sobald der Feind in der Stadt ist, müssen seine Reiter bereit sein. Und gib Danaris und Thronhardt Bescheid!“
Der Aufprall war gewaltig. Thronhardt von Schwingenfels kämpfte verbissen gegen den Ansturm an. Gleich an mehreren Stellen waren Leitern an die Mauern angelegt worden. Gerade hieb er einem feindlichen Soldaten den Arm ab, welchen dieser auf die Brüstung gelegt hatte, um die Mauer zu entern, schon wirbelte er herum und trieb einen zweiten Soldaten mit weiten Achten zurück. Es war zwar lange her, dass er das letzte Mal in einer Schlacht gestanden hatte, aber er fühlte sich wieder jung und wie in einem Rausch hielt er den ihm zugeteilten Mauerabschnitt, während immer mehr Soldaten des Feindes auf die Mauer stürmten. Thronhardt hieb verbissen auf den nächsten Gegner ein.
„Thronhardt!“ ertönte der Ruf von unterhalb der Mauer in der Stadt. Es war Hadrumir, sein Neffe. „Rückzug!“
Thronhardt hieb erneut auf seinen Gegner ein. Plötzlich spürte er eine Klinge, welche ihm von hinten zwischen Helm und Kettenhemd über den Hals gezogen wurde. Röchelnd brach Thronhardt zusammen. ’Ich hätte doch Schaller und Bart anlegen sollen, statt diese dämliche Sturmhaube’ dachte er bei sich, als Schwärze ihn umfing.
„NEIN!“ ertönte rechts von ihm ein schriller Ruf. Hadrumir wandte sich um und sah Danaris, welche sich daran machte auf den Wehrgang zu stürmen. Hadrumir verspürte ebenfalls tiefe Wut, jedoch packte er seine Kusine und zog sie mit sich.
„Lass mich los, du Scheißkerl!“
„Danaris, er ist tot! Du kannst ihm nicht helfen!“ Danaris wand sich heftig in seinem Griff. „Wir müssen weg hier! Nun komm schon!“
Während er versuchte, seine Kusine vom Geschehen wegzuziehen, konnte er einen Blick auf den Kämpen auf dem Wehrgang erblicken, welcher seinen Onkel getötet hatte – Odilbert von Windischgrütz. Er zeigte mit der Spitze des Dolches nun genau auf Hadrumir und Danaris. Hadrumir verstand und sein Blick wurde nur noch grimmiger. ’Ich bin der nächste? Darüber werden wir noch reden!’ Er zog Danaris mit sich und machte sich an den Rückzug.
Unterstadt Natzungen, eine halbe Stunde nach dem Tod von Thronhardt von Schwingenfels
Tanira hatte die letzten Stunden damit verbracht, den Nachschub innerhalb der Stadt sicherzustellen. Pfeile und Bolzen mussten zur Stadtmauer gelangen, Verletzte von dort hinweg zu den Heilern. Sicher und routiniert leitete sie diese Planungen und gab ihre Befehle, als ein Bürger heran gerannt kam und atemlos hervorstieß: „Der Junker Schwingenfels ist gefallen – aber der Plan scheint auf zu gehen, Euer Hochgeboren.“
Tanira erbleichte. ’Hadrumir gefallen?’ schoss es ihr durch den Kopf. Einen Moment wirkte sie hoffungslos – doch dann drangen ihr die nächsten Worte des Bürgers in die Gedanken. ’Der Plan geht auf?’ verwirrt schüttelte sie den Kopf und versuchte sich zusammenzureißen. „Bringt mir mein Pferd – ich muss zum Marktplatz.“ Im Herumwirbeln und dem Greifen nach ihrem Schwert fiel ihr Blick auf den in der Nähe stehenden Leomar von Gerstungen, der erleichtert, ja fast glücklich aussah. Sie runzelte die Stirn, nahm sich jedoch nicht die Zeit, ihn zur Rede zu stellen, und eilte weiter zu ihrem Pferd, um in Richtung Marktplatz zu reiten.
Leogon von Weisenstein wirkte zufrieden, als er das Stadttor Natzungens passierte. Odilbert von Windischgrütz kam auf ihn zu gestürzt. „Wo ist mein Vetter?“
„Euer Wohlgeboren, er ist immer noch im Lager!“
„Hat er denn nicht vernommen, was vor sich geht?“
Der Windischgrützer wartete die Antwort nicht ab. „Ich werde ihn selbst aufsuchen. Ihr habt das Kommando! Nehmt die Straßen ein!“
Mit diesen Worten stürmte der Windischgrützer weiter. Leogon schaute zu den Soldaten und gab die entsprechenden Befehle weiter. ’Wir haben die Stadt genommen’, schoss es Leogon durch den Kopf. Dann stürmte er vor. Doch schon bald musste er feststellen, dass die Straßen von den Natzungern erbittert verteidigt wurden. Leogon gab weitere Befehle und warf sich ins Getümmel der Schlacht.
Edorian von Wulfensteyr wirkte unruhig. Mit seinen Waldläufern hatte er sich auf den Dächern Natzungens verteilt. Pfeil um Pfeil wurde in die heranstürmenden Massen an feindlichen Söldner geschossen. Eigentlich hätten die eigenen Truppen schon lange seinen Posten passieren müssen. Insbesondere suchte er immer noch verzweifelt nach dem Banner des Schwingenfelsers. ’Irgendetwas läuft hier schief’, dachte Edorian bei sich. Wieder legte er einen Pfeil auf und zielte auf einen feindlichen Reiter.
Hadrumir von Schwingenfels stand mitten im Getümmel. Sein Plan war in Gefahr, das bemerkte er sofort. Die Soldaten hatten sich in viel zu viele Scharmützel verstricken lassen. Eine Ordnung in den Schlachtreihen war schon lange nicht mehr zu erkennen. Seine Kusine neben ihm wirkte lethargisch und abwesend. Hadrumir fluchte innerlich. ’Wenn wir nicht bald die Ordnung wieder herstellen, dann kann der Grützer ungehindert in die Stadt eindringen.’
Hadrumir packte seine Kusine und zog sie in Richtung der Barrikade. „Na los, mach schon! Steig da rüber! Danaris, bitte!“ Hadrumir wandte sich erneut um und hieb auf einen Soldaten ein. Mit seinen Soldaten hielt er die Straßenbarrikade, aber diese würde Ihnen nichts nutzen. „Wir müssen zum Marktplatz!“ rief er seinen Männern und Frauen zu und erkletterte die Barrikade.
Bodebert von Windischgrütz hörte aufmerksam dem Bericht seines Vetters zu. „Ausgezeichnete Arbeit! Ganz ausgezeichnet!“ Er wandte sich an Raulfried von Blumenau: „Macht Eure Reiter bereit! Ich werde nun in meine Stadt ziehen!“
Odilbert glaubte, sich verhört zu haben. „Euer Hochgeboren! Die Stadt ist mitnichten unser! In den Straßen kämpfen die Natzunger immer noch!“
Bodebert lächelte nur. „Mein lieber Vetter! Dies ist der Grund, weshalb ich die Reiter bei mir haben möchte. Wir werden diesem Geschmeiß den Garaus machen. Knappe! Bring mir meinen Streitkolben!"
Hauptmann Raul Zornbold war mit seinen Reitern in den Rücken der feindlichen Truppen gefallen. Er griff erbarmungslos an und trieb die Soldaten des Feindes immer weiter in die Stadt. ’Lass Ihnen nicht allzu lange Zeit zum Überlegen. Sie dürfen nur einen Lidschlag nachdenken, ob sie sich lieber an den Barrikaden aufreiben lassen oder vor euch fliehen’ Dies waren die Worte seines Kommandanten und Freundes und Raul hatte vor, genau dies in die Tat umzusetzen. Entschlossen trieb er sein Pferd an.
Edorian legte erneut einen Pfeil auf und suchte nach dem nächsten Ziel für sein tödliches Geschoss. Sein Blick fiel auf eine Gestalt mit weißem Umhang. Auf dem Umhang waren deutlich der rote Balken sowie die beiden Eichhörnchen der Familie Weisenstein zu sehen. Edorian überlegte kurz, zielte, wartete und lies dann den Pfeil los. Er durchbohrte die Schulter des Weisensteiners, doch dieser rappelte sich erneut auf.
„Reto! Erschieß ihn!“ rief er einem seiner Männer zu und deutete auf den Weisensteiner. Der so Angesprochene zielte und traf den Feind im Hals.
Als Edorian bemerkte, wie der Weisensteiner getroffen zusammen brach, wandte er sich an den Waldläufer Reto: „Lieber stehend sterben, als auf den Knien überleben!“ Der Schütze lachte hämisch.
Tanira von Natzungen hatte den Marktplatz mittlerweile erreicht. Immer mehr der eigenen Soldaten bezogen Stellung und bereiteten sich auf das Eintreffen der Feinde vor. Von den Schwingenfelsern konnte sie niemanden sehen. Langsam kam Panik in ihr auf. ‚Ist Hadrumir wirklich gefallen? Werden die Schwingen weiterhin Natzungen verteidigen? Und wer übernimmt dann das Kommando?’ Schlagartig wurde Tanira bewusst, dass sie etwas tun musste. „Soldaten! Ihr habt Eure Befehle! Also befolgt sie! Besetzt die Barrikaden! Der Marktplatz muss zu einem Kessel werden!“ sprach sie mit fester Stimme zu den sie umstehenden Männern. Um sie herum entstand Hektik und sie bemerkte, wie sich die Männer und Frauen erneut verteidigungsbereit machten. Tanira lächelte grimmig. ’Ich werde nicht feige sein.’ ging es ihr durch den Kopf
Bodebert von Windischgrütz nickte grimmig, als ihm am Tor zu seiner Stadt Bericht erstattet wurde. „Auf dem Marktplatz hat sich die Natzungerin mit ihren Truppen verschanzt.“
„Und wo ist der Schwingenfelser?“ fragte Bodebert lauernd.
„Wissen wir nicht! In der Stadt herrscht ein solches Chaos, dass keiner mehr den Überblick hat! Vielleicht ist er tot? Vielleicht geflohen?“
Bodebert war sauer. „Auch egal! Ich will dieses Gör haben! Aufsitzen! Wollen wir ihr doch mal klar machen, wer Herr im Hause ist!“
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