Geschichten:Im Sturm - Zwei Briefe, eine Forderung
Stadt Natzungen, 21. Efferd 1030 BF
Klirrend zerschellte ein Krug auf dem Boden und dunkle Flüssigkeit verteilte sich über die Holzdielen. „Hochstaplerin? Ich? Und mein Vater nicht mein Vater? Was denkt sich der Kerl?“ In ihrer Aufgewühltheit bemerkte die junge Frau gar nicht, wie sie den Krug vom Tisch wischte, als sie aufsprang und nun ihren Stadtvogt anstarrte.
Der Gerstunger hielt das Pamphlet in der Hand, welches über Nacht an den Häusermauern der Stadt aufgetaucht war. „Ich habe die Büttel angewiesen, jedes Exemplar dieses Schriebs zu entfernen“ bemerkte er ruhig.
„Was soll das noch helfen? Der Schaden ist angerichtet!“ Tanira wandte sich dem Fenster zu und blickte wie so oft in den letzten Tagen über die Stadt. „Wie legitimiert dieser Windischgrütz es, mit dem Titel Baron von Natzungen zu unterzeichnen?“ Sie fuhr wieder herum und ihr Blick bohrte sich in die Augen des Vogts.
Dieser erwiderte ihren Blick leicht lächelnd. „Der Hartsteener wird ihn mit der Baronie belehnt haben.“
„Mit welchem Recht? Die Baronie liegt seit fast 700 Jahren als Lehen auf der Familie Natzungen.“ Langsam setzte sich Tanira wieder hinter den großen Schreibtisch.
„Ich könnte mir denken, dass er Euch nicht als lehnsfähig ansieht. Zum Einen hatte Eure Kusine keine Stellung zu einem der Grafen bezogen und einen Lehenseid geschworen und dann die Umstände eurer Abstammung...“ Der Vogt vollendete den Satz nicht.
Tanira griff zu dem Schriftstück, zerknüllte es und warf es wütend durch den Raum „Umstände meiner Abstammung? Erwähnt das nie wieder in meiner Gegenwart. Meine Mutter mag eine Answinistin gewesen sein. Doch ich bin es nicht! Ich habe dem Reich 6 Jahre treu gedient und an der Seite Rohajas gekämpft. Und meine Mutter war legitim mit Duridan von Wulfensteyr verheiratet, welcher auch mein Vater ist! Solltet Ihr es noch einmal wagen, mich so zu brüskieren, werdet Ihr es bereuen.“ Ihr Blick durchbohrte immer noch den älteren Mann, der ihr gegenüber saß.
„Ich unterstelle Euch mitnichten, eine Anhängerin der Answinisten zu sein, noch zweifele ich an Eurer Abstammung. Ich versuchte Euch nur darzulegen, was der Hartsteener als Begründung für die Einsetzung Bodeberts von Windischgrütz gesehen haben könnte.“
Er verharrte kurz, dann fuhr er fort, da die junge Frau ruhig blieb: „Der Windischgrützer ist übrigens vor einigen Tagen auf dem Anwesen der Weisensteins mit einigem an militärischem Gefolge abgestiegen. Und wie es sich abzeichnet, rückt er mit den Weisensteins auf Natzungen zu.“
Tanira schluckte kurz, schwieg aber, während sich in ihrem Kopf die Gedanken überschlugen. „Ihr werdet Hilfe brauchen, Baronin.“
„Das ist mir selbst klar, Vogt!“ unterbrach sie ihn zornig, dann holte sie Luft und rief laut nach einem Schreiber. Als dieser sich mit seinen Utensilien eingefunden hatte, begann sie zu diktieren. „Schreiber, setzt eine Depesche an jeden der beiden Grafenkandidaten mit folgendem Wortlaut auf:
Als Anrede schreibt Ihr: An euer Hochgeboren und dann den jeweiligen Namen. Sodann schreibt:
Hiermit gebe ich, Tanira von Natzungen, kund, dass ich das schriftlich gegebene Erbe meiner Großkusine Aldare von Natzungen angetreten und das seit 694 Jahren in unserer Familie liegende Lehen der Baronie Natzungen und somit die Baronswürde übernommen habe.
Durch die Unklarheiten, die zu dieser Zeit in der Grafschaft Hartsteen vorherrschen, wird die Baronie Natzungen keinem der beiden Männer, die um die Grafenwürde konkurrieren den Lehenseid leisten.
Sobald das zuständige Reichsgericht in dieser Frage entschieden hat, wird der Lehenseid derer von Natzungen innerhalb weniger Tage vor dem rechtmäßigen Grafen erfolgen.
Ich fordere beide Parteien auf, die Neutralität, die die Baronie in dieser Frage zu wahren sucht, anzuerkennen und von der unrechtmäßigen Lehensvergabe über die Baronie Natzungen abzusehen und so schon erfolgt wieder aufzuheben. Im Falle eines Angriffes auf die Baronie Natzungen behalte ich mir das Recht vor, die Reichsstellen einzuschalten.
Tanira von Natzungen, Baronin zu Natzungen
Gegeben zu Natzungen am 21. Efferd des Jahres 1030 BF.
Legt mir die Schriftstücke zum Siegeln und Unterschreiben vor, sobald Ihr sie fertig habt. Und lasst zwei Boten antreten.“
Tanira atmete tief ein und blickte dann ihren Vogt an. „Ich will nichts hören. Ihr könnt Euch entfernen!“ Eine Handbewegung entließ die beiden Männer.