Geschichten:Im Wald von Kroandal - Das weiße Auge
Ende Efferd 1042 BF, in den Katakomben des alten Hesindetempels
Madalena studierte seit Wochen die unbekannten Glyphen in den Fluren des Hesindetempels. Mittels Hellsichtszauberei kam sie der Bedeutung der Schriftbilder immer näher.
Hesindian unterdessen fertigte eine Kopie der Chronik an. Er traute sich nicht, das uralte Buch aus der Magierkugel zu nehmen. Zu sehr fürchtete er, es würde zu Staub verfallen.
Iseria Aidalôe von Manlaith untersuchte unterdessen weiter das alte Gemäuer. Sie kroch durch fast eingestürzte Gänge. Die Hesindegeweihte räumte Schutt beiseite, um weitere Gänge begehbar zu machen.
Es war so aufregend, sie spürte in ihrem Innersten die geweihte und magische Kraft die diesem Tempel innewohnte. Welch Relikt aus alten bedeutsamen Zeiten. In einer der Lesesäle konnte sie eine Feder unter einer gewaltigen Staubdecke entdecken – eine selbstschreibende Feder mit ihre Tinte eigenhändig in sich herstellte. Welch wunderbares Artefakt.
Die profanen Gegenstände waren zerstört, doch sie war sich sicher, dieser Tempel beherbergte noch weit mehr. Er stammte noch aus Zeiten, als die Geweihten oft gleichzeitig Magier waren – wie zum Beispiel Argelion Schlangentreu der zu den Magierkriegen lebte.
Sie erreichte eine Stelle, an der riesige Baumauswüchse den weiteren Weg versperrten. Durch die Wurzeln konnte sie ein Schimmern sehen und eine Unterhaltung hören. Fasziniert und allein von ihrer wissensdurstigen Neugier getrieben zwängte sie sich durch die Verästelung.
Ihre Robe verhakte sich dabei und riss an einigen Stellen auf. Wie sie aussah, völlig verdreckt und in zerrissener Kleidung. Iseria konnte darüber hinwegsehen, es gab gerade Wichtigeres als adäquat auszusehen.
Die letzten Wurzeln waren so dicht, dass Iseria nicht weiter hindurch krabbeln konnte. Sie steckte durch das Baumloch ihren Kopf und lugte in den vor ihr liegenden Raum. Ergreifend war der Anblick. Vor ihr offenbarte sich ein weißer Alabasterstein auf einem Dreibein, ein weißes Auge, welches Bilder und Laute in den Raum projizierte. Ein rotes oder schwarzes Auge wäre ihr lieber gewesen, aber einen solchen Sensationsfund mochte sie nicht erwarten.
Als würde sie einem Bühnenstück folgen, schaute sich die Geweihte die dort gezeigten Szenen an. Es zeigt eine Magierin, sie schien auch gleichzeitig Geweihte zu sein, wie sie mit anderen Magiern konferierte. Sie konnte ihren Namen erhaschen - Canyzeth von Silz. Den Namen hörte sie zum ersten Mal, war sie die letzte Tempelvorsteherin? Waren es aufgezeichnete Erinnerungen eines Magierkonvents? Nein, warum würden Zwerge dann neben den Magiern stehen. Es war auf irgendeinem Berg, sie standen um einen blutenden Brunnen, um sie herum schien ein Kampf stattgefunden zu haben. War das eine Erinnerung der Ereignisse auf dem Ruchinsberg während der Magierkriege?
Es fuchste sie ungemein, dass sie nicht weiter durch das Dickicht kriechen konnte. Sie wäre gerne näher an das weiße Auge herangetreten. Sie beschloss erst einmal den Rückweg zu nehmen und sich Schritt für Schritt heranzukämpfen.