Geschichten:Immer zu zweit
Nach ein paar Monaten erreichte ein weiterer Brief des Junkers Helmbrecht von Rosshagen die Burg Trollhammer
Euer Hochgeboren,
Ich bin nun etwa einen halben Götterlauf auf dieser Insel, und inzwischen habe ich so einiges hier gesehen. Während mich einiges davon grübelnd und staunend zurücklässt, bereitet mir manch anderes auch Sorgen.
Zunächst einmal zu Radulf. Euer Sohn scheint sich hier sehr zum Positiven zu entwickeln. Sein neuer Schwertvater ist ein exzellenter Ritter, der sich Zeit für seine Schützlinge nimmt, wann immer es ihm seine mannigfaltigen Aufgaben ermöglichen. Denn er führt sehr häufig schriftliche Korrespondenz und verschickt Briefe in alle Teile des Reiches. Mit seinem Knappenbruder Answin von Rabenmund hat sich Radulf inzwischen gut angefreundet, auch wenn dieser knapp drei Götterläufe älter ist als er selbst. Doch der junge Mann profitiert sehr davon, von einen schon fortgeschrittenen Knappen lernen zu können. Der junge Answin hat somit durchaus eine Vorbildfunktion für Euren Sohn, die er auch gewissenhaft erfüllt. Die beiden verbringen viel Zeit zusammen, und es hilft Radulf sehr, hier einen guten beinahe gleichaltrigen Freund gefunden zu haben.
Die Maraskanische Lebensart ist der unseren jedoch sehr fremd. Und sie scheinen ein recht gottloses Volk zu sein, denn obwohl die Stadt um ein Vielfaches größer ist als Samlor oder gar Luring, gibt es hier gerade mal einen kleinen Efferdtempel am Hafen, wo zumeist nur die auswärtigen Seefahrer einkehren. Ein alter Praiostempel nahe des Königspalastes stammt noch aus der Zeit der Priesterkaiser und ist schon seit langem nicht mehr in Betrieb, nein schlimmer - er wird bisweilen von den Hiesigen als Markthalle genutzt. Stattdessen gibt es hier aber einen "Tempel der Zwillinge", in dem zwei seltsame Zwillingsgötzen verehrt werden, die sie hier "Rur" und "Gror" nennen. Hielt ich dies zunächst für heidnische Götter, wurde mir später erklärt, dass diese den "Weltendiskus", also die Welt auf der wir alle leben, immer hin und her werfen, und für die Dauer des Fluges die Zwölfgötter, die sie hier die "Zwölfgeschwister" nennen, als Beschützer des Diskusses eingesetzt haben. Es sei also auch ein Teil unserer Glaubenswelt. Die Zwölfe als Diener von zwei höheren Gottheiten? Na wenn das keine Ketzterei ist, dann aber zumindest Häresie.
Ich versuche Radulf so gut es geht von diesem maraskanischen Irrglauben fern zu halten. Doch das gestaltet sich als recht schwierig, da man mit der Göttlichen Zweiheit und ihren Vielfachen (also Vier, Acht, Sechzehn, usw) in nahezu allen Lebensbereichen konfrontiert wird. So haben sie zum Beispiel eine Zwillingsbrücke über den Roab gebaut, das ist ein Fluss, der die Stadt in einen Nord und einen Südteil trennt. Doch anstatt die beiden Brücken in einigem Abstand zueinander zu bauen, stehen sie direkt nebeneinander. Den Sinn dahinter konnte mir bislang noch keiner so recht plausibel machen.
Doch hier gibt es auch bemerkenswerte Dinge wie eine Buchdruck-Maschine mit beweglichen Lettern, die erst vor Kurzem hier erfunden wurde. Damit ist es mit recht geringem Aufwand möglich, dutzende oder gar hunderte von Blättern zu bedrucken. Und davon wird auch rege Gebrauch gemacht. Es vergeht kaum ein Tag an dem nicht wieder neue Flugzettel in der Satdt verteilt werden, um Neuigkeiten anzukündigen, egal wie unbedeutend sie auch sein mögen.
Der Maraskaner an sich ist dabei ja durchaus recht mitteilsam, auch wenn man Fremden gegenüber recht wenig aufgeschlossen ist. Und das kann ganz schön anstrengend sein, egal ob beim Gang auf den Markt oder in der Taverne, überall hat man das Gefühl geradezu von Neuigkeiten überschüttet zu werden. Das nennt man hier "Kladj", und so klingt es auch sehr oft.
Und gerade zur Zeit überschlagen sich die Grüchte und Spekulationen. Denn der maraskanische König Harlijim I. ist vor Kurzem erst zurückgetreten und hat seinen Adoptivsohn Frumold II. als seinen Nachfolger ernannt. Über seine Gründe hüllt er sich aber noch in Schweigen. Es gibt Vermutungen, dass er heimlich neben Frumold weiter die Geschicke der Insel lenken will, also hätten sie damit ein Königsduett. Auch Prinz Reto konnte sich da noch keinen Reim drauf machen, anscheinend kennt er seinen Schwiegervater doch nicht so gut, wie er zunächst dachte. Er war ja kurzfristig mit Harlijins Tochter Rohaja Damaris vermählt, doch leider starb sie bei der Geburt seines Sohnes Hal. Apropos Hal, Reto scheint den Jungen von allen schädlichen Einflüssen fern halten zu wollen, und läßt ihn daher an einem geheimen Ort erziehen. Wir haben den Jungen, er müsste jetzt sechs oder sieben Götterläufe alt sein, bisher noch nicht einmal zu Gesicht bekommen. Ich kann den Prinzen aber gut verstehen, bei all den - pardon - Verrückten auf der Insel hier, kann man gar nicht vorsichtig genug sein.
Das soll es aber nun erstmal gewesen sein.
Schöne Grüße in die Heimat und die Zwölfe mit Euch!
Helmbrecht von Rosshagen, Junker zu Marano
