Geschichten:In Amt und Würden - Auflösungserscheinungen

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Reichsstadt Hartsteen, 1. Praios 1041 BF, morgens

Hell wie der Regenbogen der jungen Göttin waren die bunten Sonnenstrahlen, die durch die Butzenglasscheiben des Ratssaales fielen und auf dem Holzparkett heitere Muster malten. Nach der drückenden Schwüle der letzte Tage war ein lauer Wind aufgekommen und hauchte dem neuen Jahr frisches Leben ein. Vom Ratsplatz unterhalb der geöffneten Fenster hinauf wehten die lebendigen und heiteren Stimmen der Stadt, voller spürbarer Vorfreude auf das bevorstehende Fest der Sommersonnenwende, zu dessen Höhepunkt zur Mittagsstunde ein feierlicher Praiosdienst stattfinden würde.

So ausgelassen die Stimmung an diesem Tage in der Stadt auch war, so schlecht war sie bei den im Ratssaal versammelten Herren und Damen. In mehreren Grüppchen verteilt flüsterten und tuschelten die Herrschaften, und so manches verärgertes Gesicht schaute auf die geschlossene Tür.

»Wer hat diesen Lumpensohn und Hochstapler eigentlich in die Stadt eingelassen?«, empörte sich laut Isweine Dragenwacht, die Waffenherrin der Stadt. »Ich hoffe sehr, dass es sich nur um einen üblen Scherz handelt.«

Nicht wenige Herrschaften pflichteten ihr bei – darunter auch einige, die dergleichen nur selten taten. Zu klar in Erinnerung hatten nicht wenige von ihnen das Bild, wie erst vor wenigen Monden zwei Mitglieder der Sippe des neuen Ratsmeisters als überführte Verschwörer auf dem Ratsplatz ihr verräterisches Haupt verloren hatten.

Das laute Gemurmel verstummte schlagartig, als die Saaltür von einem Diener geöffnet wurde. Alle Blicke fielen auf die nun eintretende Figur, die in einem feingeschnittenen schwarzen Rock gekleidet und einer Urkundenmappe den Raum betrat. Ein entspanntes Lächeln umspielte die Mundwinkel, die von einem schwarz gefärbten Ziegenbart umrandet waren. Das leicht ergraute Haar trug er streng nach hinten gekämmt und auf seiner Nasenspitze einen Zwicker mit goldenem Gestell.

»Im Namen der heiligen Zwölfe begrüße ich die hohen Herren und Damen«, warf er in den Raum und schritt zu dem an der Stirnseite des Saales stehenden Tisch.

Eisige Stille und verächtliche Blicke begleitete ihn.

»So, Herrschaften«, sprach er die noch immer stehenden Ratsleute an, als er sich auf den schweren Holzstuhl des Ratsmeisters gesetzt hatte, »ich glaube zwar nicht, dass ich der Vorstellung bedarf, aber für diejenigen, die ihr trotz allem bedürfen, will ich dies schnell erledigen. Mein Name ist Ludemar von Schroeckh und diese Urkunde hier weist mich als den neuen Ratsmeister dieser wunderschönen und reichen Stadt aus.«

Ein älterer, leicht gebeugt gehender Ratsherr trat an den Tisch heran, räusperte sich und antwortete: »Bei allem Respekt, guter Herr Schroeckh, aber uns alle deucht dies sehr überraschend und ungewöhnlich. Erst im Rahja hatte der Rat einen einstimmig gefassten Entschluss des Rates an die Kaiserin überreicht, in der wir den hoch verdienten Hauptmann der Reichsstadt, Orestes von Hartsteen, der Krone als würdigen Ratsmeister ans Herz anempfohlen haben. Wir hatten erwartet, dass von der Krone, wie es die gute Sitte und Tradition ist, dieser Einstimmigkeit entsprochen würde. Ihr seht uns irritiert und nach Erklärungen bedürftig.«

Das Lächeln auf den Lippen des jungen Schroeckhs wurde breiter. »Verzeiht, Meister Goldacker, aber die korrekte Anrede an den von der Krone bestellten Ratsmeister der Stadt lautet Euer Hochgeboren und ich bitte um Verständnis, wenn ich auf diese Formalität mit Nachdruck großen Wert lege. Aber, tatsächlich, habe ich eine nicht unwichtige Mitteilung der Kaiserkrone vergessen, die ich nun sogleich nachholen werde. Wartet einen kurzen Augenblick, ich hole nur kurz das entsprechende Dokument aus meiner Mappe hervor.«

Mit einer lässigen Bewegung zog Ludemar von Schroeckh ein weiteres Dokument hervor, an dem ebenfalls ein großes kaiserliches Siegel herabbaumelte. Mit einem vorsichtigen Klopfen glättete er das Papier und setzte mit einem leichten Räuspern an.

»An die Hohen Herren und Damen des Rates der Reichsstadt Hartsteen, und so weiter und so weiter«, las er laut vor, »… machen wir Gebrauch von unserem Recht, wie es niedergelegt ist im Codex Raulis, und entbinden die von der Bürgerschaft mit der Regierung über die Reichstadt beauftragten Herren und Damen von ihrem Mandate und fordern die Bürger der Reichsstadt auf, einen neuen Rat zu erwählen bis zum 21. Rondra dieses Jahres.«

Schroeckh legte das Dokument beiseite und ergänzte: »Da mit der Entlassung des Stadtrates und in Anbetracht des Umstandes, dass es bis dato keinen bestätigten Ratsmeister gibt, hat die Krone die Entscheidung getroffen meine bescheidene Person als kommissarischen Leiter der Stadtgeschäfte im Rang des Ratsmeisters alle anfallenden Entscheidungen zu fällen und den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahlen der Bürgerschaft zu beaufsichtigen.«

Die Mienen der Ratsleute hatten sich während des Vortrags von Ungläubigkeit über Ärger bis zum Zustand des blanken Entsetzens gewandelt.

»Das… das… kann doch unmöglich der Wunsch der Krone sein«, stammelte Efferdane Kleinzicht und schaute hilfsuchend in die fassungslosen Gesichter der sie umstehenden Herrschaften.

»Doch, doch. Genau das ist der ausdrückliche Wunsch Gareths. Die Kaiserin ist der leidigen Hängepartien und der frechen Anmaßungen müde. Wenn der Rat nicht in der Lage ist, sich in einer ordentlichen Zeit zu organisieren und die Amtsgeschäfte im Interesse der Krone zu führen, dann bedarf es einer tiefergehenden Reform der bestehenden Verhältnisse. Wie die Kaiserin weiter ausführt, sind die Sitze der Bürgerschaft der Reichsstadt im Rat auf sechs Personen zu halbieren und dafür dem Klerus der Stadt zwei Ratssitze mit beratender Funktion einzuräumen. Steht weiter unten im Text, wie nachzulesen ist.«

Mit einem aalglatten Lächeln trat der alte Xerber Zandor an Schroeckh heran und fragte: »Sicherlich benötigen Eure Hochgeboren Hilfe bei den Vorbereitungen der Durchführungen dieser Wahl. Mit aller Bescheidenheit biete ich Euch meine treuen Dienste an.«

»Ja, genau, Meister Zandor! Darauf wär ich auch noch zu sprechen gekommen. Als erste wichtige Maßnahme und Amtshandlung gebe ich den Auftrag, die Bürgerliste der Stadt zu prüfen und sicher zu gehen, dass jeder zu Wählen berechtigte Bürger ordnungsgemäß dorten eingeschrieben ist und nicht säumig ist bei der Zahlung der Steuern für die Stadtkasse. Ich beauftrage daher Euch, Meister Zandor, kommissarisch als Kämmerer diese Prüfungen zu übernehmen und mir die geprüfte Liste vorzulegen.«

Mit einem lauten Räuspern machte Siren Goldacker auf sich aufmerksam. »Verzeiht, Hochgeboren, aber wäre nicht meine Person als bisheriger Kämmerer eine weitaus klügere Wahl für diese Aufgabe? Immerhin verfüge ich über mehrere Jahrzehnte Erfahrung in der Führung der Stadtkasse und der Pflege der Bürgerliste.«

Schroeckh schüttelte lächelnd den Kopf: »Nein, aber seid für Euer Angebot bedankt, Meister Goldacker. Ein neuer Anfang bedarf frischem Mute und unverbrauchter Tatenkraft. So, und nun wollen wir alle zusammen hinunter gehen und mit den Bürgern der Stadt dieses wunderbare neue Jahr feiernd begrüßen. Möge es uns nur Gutes bringen!«

Und mit leichtem heiteren Schritt verließ der neue Ratsmeister die konsternierte Versammlung.



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1. Pra 1041 BF zur morgendlichen Phexstunde
Auflösungserscheinungen
Nichts Gutes aus dem Westen


Kapitel 3

Kaltes Blut in warmer Stube
Autor: Hartsteen