Geschichten:In Amt und Würden - Kaltes Blut in warmer Stube
Reichsstadt Hartsteen, Nacht zum 5. Praios 1041 BF
Xerber Zandor stand mit wild zerzausten Haaren und seinem eiligst übergeworfenen Morgenrock in der Wohnstube von Siren Goldacker, der mit eingeschlagenem Schädel in seinem Bett im Nebenzimmer lag. Die Hitze des Raumes war nur teilweise den heißen Tagesstunden des Jahresanfangs geschuldet, denn im Goldackernen Kachelofen – mit teuersten Kusliker Keramikkacheln – brannte ein flackerndes Feuer.
Die erste Amtshandlung des neuen Ratsmeisters der Reichsstadt war die Entlassung des bisherigen Hauptmanns Orestes von Hartsteen gewesen und ihm öffentlich vorgehalten, das Giftattentat auf der Tsatagsfeier seiner Base nicht verhindert zu haben. Von den Ratsleuten, noch immer wie paralysiert von den sie überrollenden Ereignissen, gab es nur zu unwesentliche Proteste und Anmerkungen zum Protokoll. Bereits am Nachmittag des 2. Praios hatte Schroeckh seine neue Hauptfrau Hidda von Sterz vereidigt. Nun standen beide vor dem hitzigen Kachelofen und die neue Hauptfrau der Reichsstadt wischte in aller Seelenruhe die blutige Klinge am Vorhang ab.
»Verzeiht, Eure Hochgeboren«, stammelte Zandor sichtlich überrumpelt, »Ihr habt mich rufen lassen?«
»Ah, Meister Zandor, das ist richtig! Gut das Ihr da seid, das erspart mir den Weg zu Eurem Haus«, nickte der Ratsmeister mit dem leisen Anflug eines kaum sichtbaren Lächelns dem Ankömmling zu, dem sichtlich das Blut in den Adern gefror. »Oh, wegen dem Blut, meint Ihr, so wie bei Goldacker hier? Oh nein, verzeiht, da habt Ihr mich ganz offensichtlich missverstanden!«
Der greise Ratsmeister blickte unsicher im Raum umher und setzte ein schlecht gespieltes Lächeln auf. In seinen Augen stieg langsam echte Angst auf. »Aber was hat das hier zu bedeuten? Ich war auf morgen früh mit Meister Goldacker verabredet, um die Übergabe für die Geschäfte des Kämmerers zu besorgen. Bücher, Aufzeichnung, dieser ganze Verwaltungskram. Und nun – liegt er tot in seinem Bett.«
»Hat sich seiner Verhaftung widersetzt. Ist ihm nicht gut bekommen«, bemerkte die muskulöse Hauptfrau trocken und steckte ihr Schwert wieder in ihre Schwertscheide.
»Sich seiner Verhaftung widersetzt?«, plapperte Zandor nach.
»Genau genommen hat er gesagt: Das könnt Ihr nicht machen«, grinste Schroeckh und wärmte sich seine Hände am Kachelofen.
»Aber, was wird – was wurde ihm denn vorgeworfen?«, Zerber griff kopfschüttelt nach einem Stuhl und ließ sich sichtlich erschöpft nieder.
»Veruntreuung von Geldern der Stadt. Korruption. Verschwörung gegen die Krone«, zählte Hidda von Sterz sichtlich unbeeindruckt die Vorwürfe auf. Sie nickte den beiden Herren zu und ließ die beiden Herren allein in der Wohnstube.
»Und mangelnde Amtsführung«, ergänzte Schroeckh, nachdem die Hauptfrau zur Tür verschwunden war. »Eine Reichsstadt ist doch kein Freudenhaus, da müssen die Finanzen stimmen und ordentlich abgerechnet sein. Aber da erzähle ich Euch ja nichts unbekanntes, schließlich habe ich Euch ja wegen Eurer herausragenden Fähigkeiten zum Kämmerer ernannt.«
»Ja, Hochgeboren«, nickte der Ratsherr steif. »Und habt Ihr Beweise dafür gefunden?«
»Beweise? Oh, ja, genau. Beziehungsweise eben nicht gefunden. Stellt Euch einmal vor, die gesamten Aufzeichnungen über die Bürgerbriefe Hartsteens sind nicht mehr auffindbar. Alle Listen und Vermerkte sind verschwunden, und nun ratet mal, wer diese als letzter in seinem Besitz hatte?«
»Das Archiv im Ratshaus?«
»Nein, da sollten solche wichtigen Dokumente eigentlich sein, oder? Aber nein, Goldacker soll sie zu sich genommen haben, um irgendwelche Spuren zu verwischen. Ziemlich verdächtig, oder? Und dann, wo man eigentlich erwartet sie hier zu finden, keine Spur mehr von ihnen.«
»Keine Spur mehr? Wieso mehr?«, fragte der Ratsherr völlig verwirrt.
»Egal, jedenfalls sind alle Aufzeichnung futsch. Das ist gerade in Anbetracht der anstehenden Ratswahlen doch besonders misslich, findet Ihr nicht auch, Meister Zandor? Da müsst Ihr nun also, als neuer Kämmerer, Euch darum kümmern, dass eine neue Liste erstellt wird. Das ist aber auch eine ärgerliche und anstrengende Arbeit. Wenn die doch nur gut vergütet wäre…«
»Ihr meint, Hochgeboren, dass jeder Bürger der Stadt nun beim Magistrat erscheinen muss, um unter Vorlage seine seines Bürgerbriefes sich in eine neue Liste aller Hartsteener Bürger eintragen zu lassen? Unter Abgabe einer kleinen Bearbeitungsgebühr, versteht sich«, erwachte langsam der Geist des Krämers.
»Und zwei Drittel davon könnte ihr mir dann gerne vorbeibringen. Ihr wollt doch nicht auch einen nächtlichen Besuch abgestattet bekommen, oder?«
»Selbstverständlich, Hochgeboren«, nickte der Alte beflissen. »Aber unter uns, wo sind denn nun die alten Listen. Es wäre doch sehr ärgerlich, wenn die plötzlich wieder auftauchten.«
Schroeckh schwieg und lächelte nur. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, aber er wärmte weiter seine Hände am heißen Kachelofen. Das war nur der Anfang, ging ihm durch den Sinn. Es würde noch viel heißer werden, als dieser warme Ofen.