Geschichten:In Ihrem Schatten - Aus heiterem Himmel
Pfalz Gerbaldsberg, Anfang Peraine 1037 BF:
Der Pfalzgraf starrte entgeistert auf das Pergament, dass ein Bote der Kaiserin just überbracht hatte; an der Echtheit des Dokumentes bestand kein Zweifel. Niedergeschlagen, zutiefst erschüttert las er den Brief zum dritten Mal. Dann blickte er auf, sah den Boten an und sprach: »Ihr seid entlassen; eine schriftliche Antwort wird wohl nicht nötig sein. Überbringt lediglich die Nachricht, dass ich dem *Wunsch* Ihrer Kaiserlichen Majestät selbstredend Folge leisten werde.« Er bedeutete dem Boten mit einer Handbewegung, dass er sich entfernen könne; denn seine Schuldigkeit war getan.
‚Schuldigkeit getan…‘, hallten seine Gedanken in seinem Kopf wieder, und begannen, in jenem Schmerzen zu verursachen. Er ließ sich auf den Lehnstuhl fallen, verharrte bewegungslos einige Minuten, eher er den Brief noch einmal las.
‚Entlassen, Unzuverlässig, Mißstände…‘, diese und ähnliche Worte drehten sich in seinem Hirn wie ein Mühlrad und ließen ihn schwindeln. Er konnte sich nicht erklären, wie all das zustande kam; er hatte sich nichts zuschulden lassen kommen. Ebenso unverhofft, wie er vor einigen Jahren überraschend zum Pfalzgrafen auf Gerbaldsberg bestallt worden, war er nun des Amtes enthoben worden, unter fadenscheinigsten Gründen, für die es keine Beweise gab. Doch was sollte er tun. Er hatte keine Wahl, als der kaiserlichen Anweisung Folge zu leisten. Was immer geschehen war, es war geschehen und bestimmte sein Schicksal, doch alles in ihm schrie nur ein Wort: Verrat! Doch auf die Schnelle würden sich Hintergründe nicht aufklären lassen können, und Giselbert war zu besonnen für voreilige Schnellschüsse. ‚Gut Ding will Weile haben und gehörig durchdacht sein‘, so lautete einer seiner Wahlsprüche. Also hieß es nun zunächst, in den sauren Apfel zu beißen – und die Pfalz zu verlassen.
»Ihr reist ab?« Silvano von Hagenau-Ehrenfeldt, der Hofkaplan des Götterfürsten auf der Pfalz, eilte geschäftig über den Hof der Pfalz, wo das Gesinde gerade dabei war, das Hab und Gut der ehedem pfalzgräflichen Familie auf einen Wagen zu verladen. Eine Reisekutsche stand ebenso bereit und wartete darauf, dass Gattin und Kinder einstiegen.
»Ja, Hagenau, und ich fürchte, Ihr werdet dies auch alsbald tun.«
Der Praiospriester ignorierte die übliche von Giselbert vorgenommene Verkürzung seines Nachnamens ohne eine weitere Bemerkung oder einen beleidigten Gesichtsausdruck, wie er es sonst zumeist tat. »Dann ist es also wahr?«
Giselbert straffte sich, holte tief Luft und riss sich dann doch zusammen. »Wenn es schon die Spatzen von den Dächern pfeifen, auf deren Gesang Ihr ja ohnehin so gerne lauscht, dann wird es wohl so sein, ja.«
»Oh.« Silvano antwortere ungewohnt einsilbig. »Das tut mit leid.«
»Dinge kommen, Dinge gehen, so wie es der Herr Praios für recht hält«, erwiderte Giselbert. »Waren dies nicht die Worte aus Einer Eurer Predigten vor einigen Wochen?«
Silvano nickte, fast schuldbewusst. »Entlassen also. Aus welchem Grund, wenn die Frage gestattet ist?«
»Das wüsste ich auch gern. In Ungnade gefallen, so könnte man es wohl sagen, und nach meinem dafürhalten ohne verschulden. Reicht Euch das als Antwort?« Der letzte Satz kam für des bisherigen Pfalzgrafen Verhältnisse eher barsch, doch Silvano bemerkte es kaum.
Der Hofkaplan nickte langsam. »Und was werdet Ihr jetzt tun?«
»Ich weiß es nicht, Hagenau; ich weiß es einfach noch nicht.«
Wieder nickte der Angesprochene.
Giselbert blickte sich um. Aus dem Haupthaus der Pfalz trat seine Gemahlin auf den Hof hinaus; er konnte erkennen, dass ihr die Tränen in den Augen standen. Celissa, ihre Leibdienerin, folgte ihr; sie führte die Kinder an der Hand und war die einzige, die mit ihnen reisen würde. Alles andere würden sie hinter sich lassen, ja lassen müssen.
»Nun denn, es ist an der Zeit. Gehabt Euch wohl, Silvano.« Zum ersten Mal sprach Giselbert den Praiospriester mit seinem Vornamen an.
Dieser nickte wiederum. »Ihr ebenso. Praios mit Euch.« Er schlug das Sonnensymbol als Segenszeichen vor der Brust.
Giselbert reichte ihm die Hand zum Abschied. Dann drehte er sich wortlos um, stieg als letzter in die Kutsche und schloss die Tür.
Langsam fuhren die beiden Fuhrwerke vom Hof. Der Schatten, der weiter oben hinter einem Vorhang in den Hof hinab schielte, beobachtete es mit einem zufriedenen Lächeln.