Geschichten:Intrigenspielchen Teil 10
Baron Nimmgalf von Hirschfurten ritt schweren Herzens und völlig in Gedanken versunken am Abend des 15. Rahja 32 Hal durch sein kleines Städtchen, das ihm so viel bedeutete.
Tagsüber war er im Umland unterwegs gewesen, um einige geschäftliche Dinge zu erledigen, schließlich hatte er keinen Vogt und musste seine Baronie selber verwalten, was oftmals viel Zeit in Anspruch nahm. Doch nun waren seine Gedanken von einem einzigen Thema beherrscht: seiner in Kürze anstehenden Hochzeit. Sein Blick fiel auf den Säulenvorbau und das große Portal des Traviatempels, in welchem er in fünf Tagen seine Verlobte ehelichen würde. Er brachte sein Pferd in den Stall der benachbarten Schenke „Travias Einkehr“, wechselte noch ein paar Worte mit dem Stallknecht und lenkte seine Schritte dann rasch zum Tempel. Dort angekommen kniete er in der Tempelhalle, in der auch andere Gläubige anwesend waren, kurz nieder zum stummen Gebet. Dann wurde er von der Geweihten Mutter Traviata freundlich in Empfang genommen.
„In letzter Zeit sieht man dich selten hier im Hause der gütigen Mutter Travia, mein Sohn.“ Ihr Tonfall war leicht vorwurfsvoll. „Aber stets bist Du bei uns herzlich willkommen. Was kann ich für Dich tun?“
Er kannte die ältere Frau schon seit seiner Kindheit und wäre nie auf die Idee gekommen, zu verlangen, dass sie ihn seinem Stande entsprechend anzureden habe. Sie und ihr Gemahl leiteten den Tempel seit seiner Errichtung vor fast zwei Jahren unter Mithilfe von drei Novizen. Seitdem waren bereits viele auswärtige Besucher hier zu Gast, um die Nähe der gütigen Mutter zu suchen und die moderne Tempelarchitektur zu bewundern. Keine Frage, der Tempel war eine wahre Bereicherung der kleinen Stadt. Nimmgalf blickte die Frau an:„Mutter, Ihr wisst, dass ich in wenigen Tagen meine Verlobte ehelichen werde. Aber...“ Er zögerte.
„Komm mit, mein Sohn. Wenn Du etwas auf dem Herzen hast, sollten wir besser unter vier Augen darüber reden.“ Die Frau führte ihn in die Sakristei und gebot ihm, Platz zu nehmen. „Nun sprich mein Sohn, was bedrückt dich?“
„Es ist wegen meiner Verlobten Simiona. Ich... ich liebe sie über alles und ich kann es gar nicht erwarten, endlich mit ihr den Traviabund zu schließen.“
„Aber das ist doch wunderbar. Ich freue mich für Dich, dass Du dir deine Gemahlin nicht, wie es im Adel üblich ist, aus politischen Gründen, sondern aus Liebe auserwählt hast. Etwas Schöneres kann man sich doch kaum wünschen.“
„Ja schon, aber...“, er stockte “ich weiß trotzdem nicht, ob ich das Richtige tue.“
Mutter Traviata zog die Augenbrauen hoch: „Aber was ist es, das Dich zweifeln lässt?“
„In der letzten Zeit sind so viele Dinge geschehen... merkwürdige Zufälle, geheimnisvolle Vorgänge, rätselhafte Ereignisse...fast schon scheinen sich meine Probleme kaum dass sie entstanden sind immer wie von alleine zu lösen. Und irgendwie ich habe das Gefühl, dass Simiona stets mehr damit zu tun hat, als sie zugibt. Bitte versteht mich nicht falsch, ich respektiere ihre Privatsphäre, und gestehe ihr auch gerne zu, dass sie ein paar kleine Geheimnisse hat, aber dennoch verlange ich von ihr Ehrlichkeit und Vertrauen.“
„Du glaubst, sie betrügt dich?“
„Nein, bestimmt nicht. Ich weiß, dass sie mich liebt, aber eben nicht so wie ich sie. Nicht so aufrichtig, anders halt, es ist schwer zu erklären. Und dann die Sache mit dem Vogt...“
„Oh ja, ich hörte davon. Wirklich sehr traurig die ganze Sache.“
Nimmgalf sah sie traurig an. „Mutter, ich habe den Verdacht, dass sie an seinem Tod nicht so ganz unschuldig ist.“
Mutter Traviata machte große Augen. „Weißt Du auch, was Du da sagst?“
„Ich kann es nicht beweisen, und eigentlich ist der Gedanke auch völlig absurd, aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sie von seinem Ableben am meisten profitiert hat. Schließlich hat er sie als Universalerbin eingesetzt – und er war wirklich sehr reich. Ich will sie nicht zu unrecht beschuldigen, aber ein bisschen merkwürdig finde ich die Sache schon. Dennoch kann das alles auch ein Zufall sein. Ich bin momentan hin und her gerissen. Am liebsten würde ich die Hochzeit verschieben, aber ich erwarte schon in drei Tagen die ersten Gäste. Außerdem wird es vorher noch ein Turnier geben, zu dem ich alle meine Brüder von den Pfortenrittern und andere Adelsleut geladen habe.“
„Mein Sohn, ich kann deine Sorgen verstehen. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass sie unbegründet sind. Ich hatte bisher stets den Eindruck, dass sie ein ganz reizender und liebevoller Mensch ist, obwohl ich sie noch nie hier im Tempel sah. Aber um Dich zu beruhigen, werde ich die hohe Dame zu einem Gespräch zu mir bitten. Dabei wird sich klären, ob sie etwas Schlimmes verbirgt, oder ein gutes Herz besitzt. Wenn sich Letzteres herausstellt, wovon ich überzeugt bin, kannst du sie reinen Gewissens ehelichen. Vertraue mir. Ich werde Dir die Entscheidung erleichtern.“
„Habt Dank, Mutter Traviata. Ich weiß, ich kann mich stets auf Euch verlassen. Hier nehmt dies als Dank für Eure Hilfe.“ Damit überreichte er ihr einen Beutel mit zehn Dukaten.
“Travias Segen auf Deinen Wegen mein Sohn.“ Nimmgalf verließ den Tempel.
Was er nicht bemerkte war der Schatten, der sich im Dunkeln von der Tempelwand entfernte. Zufälligerweise genau von da, wo die Sakristei ihr Fensterchen hatte...