Geschichten:Jäger wider Willen - Teil III
Die Mittagsstunde war angebrochen, als Leubrecht und Alara sich endlich auf den Weg machten. Der Boden wurde wieder trockener und sie kamen besser voran, bis Alara in den Nachmittagsstunden um Halt bat und begann sich umzusehen. Froh darüber dass die nächtliche Begegnung keine bleibenden Schäden bei ihr hinterlassen hatte, ließ Leubrecht seine Späherin gewähren. Mehrfach hatte sie seit ihrem Aufbruch Begegnungen mit einigen Tieren gehabt, dank ihres aufmerksamen tierischen Begleiters waren sie aber stets gewarnt gewesen. Alara hatte einige Eichhörnchen mit rot leuchtenden Augen und äußerst kräftigen Gebiss mit dem Bogen erlegt, noch bevor sie ihnen hatten zu nahe kommen können. Die größte Bedrohung war eine Art Eber gewesen, der Leubrecht mit der Armbrust und letztlich mit der Saufeder Einhalt geboten hatte. Der mächtige Leib des Wesens war bar jeder Behaarung, anstelle dessen war er übersäht mit fingerlangen Stacheln. Schließlich kehrte Alara von ihrer Erkundung zurück. „Ich habe Spuren entdeckt.“ Tat sie sachlich kund, wohl wissend dass es für Leubrecht erst interessant wurde wenn er eine Handlung aus ihren Erkenntnissen ableiten konnte. „Ich war mir anfänglich nicht sicher, aber ich würde sagen es waren Menschen.“ Damit hatte sein Interesse geweckt. „Eine andere Jagdgesellschaft?“ Fragte Leubrecht daraufhin nach, nur um ein verneinendes Kopfschütteln zu erhalten.
Erfahrungsgemäß trieben sich aufrechte Menschen eher selten in einer Umgebung wie dieser herum, also entschlossen sie die Spuren zu verfolgen. Sie wollten sich nicht verraten, so schritten sie mit Bedacht zu Tat. Tatsächlich merkten sie das der Wald langsam ein klein wenig seine Bedrohlichkeit ablegte, aber so recht trauten sie dem Braten dennoch nicht. Sich langsam immer weiter heranschleichend waren sie froh dass die Anwesenheit des Raben ihr Packpferd derart beruhigte. Verborgen im Schatten erreichten sie schließlich eine Lichtung. Umgeben von sumpfigen Grund der von gangbaren Wegen durchzogen war, ragte auf einer kleinen Erhebung ein dunkler Basaltturm auf. Aus der Ferne machte er noch immer einen anständigen Eindruck, auch wenn man das von seinen Bewohnern nicht sagen konnte. Gemeinsam mit seinem Vetter Savertin hatte Leubrecht vor seiner Erhebung zum Reichsritter Haffax-Marodeure gejagt, auch Alara hatte damals zu ihrer Gemeinschaft gehört, somit waren sie nicht ganz unerfahren darin solche Nester auszuheben. Allerdings waren sie damals in der komfortablen Situation gewesen zahlenmäßig nicht derart unterlegen zu sein, auch wenn das Erscheinungsbild dieser Hallunken eine geringe Kampferfahrung verhieß.
In einem offenen Angriff hatten die Räuber in dem Turm einen klaren Vorteil. Der sumpfige Untergrund würde die Angreifer behindern und selbst auf den Wegen würden sie nur verlangsamt vorankommen, somit blieb den Verteidigern ausreichend Gelegenheit die Verteidigung zu organisieren oder sich in den Turm zurückzuziehen. Da die Räuber aber Holz für ein Feuer vor dem Turm aufschichteten, wähnten sie sich offensichtlich in Sicherheit. Eine schmale Treppe führte über eine Rampe zur Tür des dunklen Basaltturms, der sich allen Widrigkeiten zum Trotz noch immer hier erhob. Sein unterer Bereich war Fensterlos, erst in einer Höhe von fünf Schritt gab es – vermutlich in der ersten Etage – Schießscharten zur Verteidigung. Darüber vergrößerte sich die Grundfläche und kleine Fenster ließen Licht ins Innere. An der Außermauer waren zudem Reste eines einstigen Rundganges zu sehen, während das Dach tatsächlich noch intakt aussah. Eine Zeit lang beobachteten sie gemeinsam die Räuber, kamen zu dem Ergebnis das es sich vermutlich Sieben an der Zahl waren und sich vermutlich derzeit niemand im Turm aufhielt. In der misslichen Lage in der Unterzahl zu sein, hatte Alara den Vorschlag unterbreitet sich in einigem Abstand am Lichtungsrand zu postieren und das Gefecht im Fernkampf zu eröffnen. Mit zwei Armbrüsten und einem Bogen könnten sie immerhin drei, eventuell auch vier Räuber ausschalten eh diese begriffen was geschah. Mehr Zeit um weitere Schüsse abgeben zu können, sollte ihnen dabei eine List verschaffen. An Seilen ziehend, die sie an nahen Ästen befestigten, wollten sie nicht nur eine größere Anzahl an Angreifern vortäuschen sondern auch ihre eigene Position verschleiern. Während ihrer Vorbereitungen, immerhin ein sehr schwieriges Unterfangen wenn sie ungesehen bleiben wollten, fiel ihn dabei auf das einer der Bäume große Ähnlichkeit zu jenen Bäumen hatten die den Raben angegriffen hatten – auch er wurde Teil ihrer List.
Die bald nahende Dämmerung hatte sie zur Eile getrieben, zugleich aber auch die Räuber abgelenkt. Diese hatten inzwischen ihr Feuer entzündet und damit begonnen Fleisch darüber zu braten. Kräftige Züge aus ihren Schläuchen nehmend waren sie in ausgelassener Stimmung und begannen schnell sich gegenseitig mit ihren Prahlereien übertrumpfen zu wollen. „Wie der Alte gebettelt hat. Nein bitte nicht, nehmt mir nicht die Brosche, sie ist doch alles was ich von meiner Frau noch habe.“ Höhnte einer von ihnen und sprach dabei mit übertrieben verängstigter Stimme, während seine Kumpanen dreckig lachten. „UND DIE KLEINE LETZTENS!“ Setzte ein anderer, besonders verdreckter Mann hinzu. „Wie ich dir rangenommen habe.“ Das wie stellte er dabei sehr anschaulich nach, sodass jegliche Fantasie überflüssig war. Sich noch immer in Gedanken an seiner Tat ergötzend, nahm bereits der nächste den Staffelstab auf. „Aber ihre Mutter wusste sich besser zu benehmen.“
Diese prahlerisch vorgetragenen Verbrechen mit anhörend trafen Leubrecht und Alara ihre letzten Vorbereitungen. Prüften nochmals Armbrust und Bogen und bezogen letztlich ihre vorbereiteten Positionen. Mit einem Nicken bestätigten sie sich gegenseitig ihre Bereitschaft, dann eröffnete Leubrecht den Angriff. Mit einem Klicken gab er die Sehne frei, der Bogen schnellte vor und beschleunigte den Bolzen. Schnurrgrade zog er seine Bahn. Seitlich in die Brust des Mannes eindringend, der eben noch gelästert hatte einen alten Mann beraubt zu haben, sackte dieser aufstöhnend in sich zusammen. Der von Alara abgefeuerte Pfeil fand sein Ziel im Gesäß des Mannes, der noch immer darbot wie er ‚die Kleine‘ rangenommen hatte und ließ diesen schmerzerfüllt Aufschreien. Noch Lachten die Kumpanen, das Aufstöhnen des ersten nicht einmal bemerkend, da schoss auch schon ein zweiter Pfeil in die Gruppe und traf einen feisten Glatzkopf mitten in die Brust. Abrupt erstarb das und die Räuber begannen sich nach ihren Angreifern umzusehen, sich bewegende Äste erregten ihre Aufmerksamkeit und die ersten drei stürmten sofort los. Inzwischen hatte Leubrecht die zweite Armbrust zur Hand genommen und legte wieder an, während Alara bereits den dritten Pfeil auf den Weg brachte. Der Getroffene schlug daraufhin hart auf den Boden auf und stand nicht mehr auf. Einen Augenblick lang legte Leubrecht an, dann ließ er den zweiten Bolzen von der Sehne schnellen. Die Armbrust bereits zur Seite legend verfolgte er noch wie sein Geschoss einem soeben aufsehenden Mann mit besonders wild, verfilzten Bart in den Oberschenken eindrang und dieser zurück sank. Dann waren die beiden Männer am Rand der Lichtung angekommen. Ein kleiner, rattengesichter Mann mit schiefen Zähnen war auf ihre List hereingefallen und wollte soeben zwischen den Ästen des Baumes hindurchspringen als ihn ein dicker Ast mitten ins Gesicht schlug. Hart getroffen ging er zu Boden. Gleichzeitig beendete ein zweiter Pfeil das Leben des feisten Glatzkopfes, dieser war aufgesprungen und hatte den Pfeil in seiner Brust abgebrochen. Bevor er jedoch losstürmen konnte, war er auch in den Hals getroffen worden. Schwert und Schild fest gepackt trat Leubrecht dem zweiten Mann entgegen, ein großer kräftiger Kerl der ihn mit einem zahnlosen Lächeln feixend angrinste. Mit einem schweren Kriegsbeil ausholend schlug er unvermittelt auf Leubrecht ein, hackte als sei dieser ein Baum den es zu fällen galt. Die Angriffe mit seinem Schild blockend, schepperte es ein ums andere Mal wenn das Beil auf den Metallbeschlag des Schildes traf. Der Ritter aber hatte keine Zeit darauf zu warten bis der Räuber müde wurde. Den Angriff mit dem Schild ablenkend, statt blockend, sorgte der Schwung seines Gegners dafür dass dessen Beil in den Boden fuhr. Derart für Leubrechts Attacke entblößt, platzierte dieser einen tödlichen Streich. Von Oben kommend drang der kalte Stahl am Hals ins Fleisch, durchtrennte Adern, Sehnen und kräftige Muskelstränge auf seinem Weg tiefer in den Brustkorb hinein. Bis zum Heft hatte er die Waffe in den Räumer hineingerammt, der tot zu Boden sackte.
Geschrei zerriss die Luft, erfüllt von blanker Angst. Alles blieb stehen, verharrte und verfolgte voll Entsetzten den Überlebenskampf des Rattengesichts. Wurzeln hatten sich um seine Beine geschlungen und wickelten sich immer um seinen Körper. Der Räuber wand sich, kam jedoch nicht frei. Stattdessen zogen sich die Wurzeln immer fester zusammen, pressten ihm die Arme an den Körper und zusehends die Luft auf dem Leib. Mangels Luft kamen die Schreie nur noch stoßweise, dann ein trockenes Knacken, gefolgt von Endgültigkeit verkündigender Stille. Für Alara und Leubrecht das Signal sich der verbliebenden Räuber anzunehmen. Soeben traten sie auf die Lichtung, die Schwerter gezückt und Kampfbereit, als Leubrecht stehen blieb. Oben im Turm hatte sich etwas bewegt! An einem Fenster stand eine blassleuchtende Gestand und blickte mit flackenden Augen auf ihn herab, ein Mann in einer altertümlichen Magierrobe, mit einem Stab in der Rechten. Wie um eine unausgesprochene Frage zu beantworten nickte er wohlwollend, ganz so als wolle er das Leubrecht fortfuhr. Alara hatte von alledem nichts bemerkt und war weiter vorgerückt. Der Mann der durch ihren Treffer gestützt war, lag mit dem Gesicht in einer Pfütze. Sicherheitshalber trieb sie ihm das Schwert in den Leib, doch scheinbar war er bereits ertrunken. Fünf der Räuber waren Tod, übrig waren nur noch die beiden Männer die damit geprahlt hatten Mutter und Tochter geschändet zu haben. Dem Einen, ein typischer Fünffingeralrik, steckte noch immer Alaras Pfeils im Hintern, dem Anderen, ein besonders ungepflegter Geselle mit verfilzten Bart, ein Bolzen in der Hüfte. Eine Flucht war ausgeschlossen, könnten sie Rennen, hätten sie diese bereits angetreten, stattdessen griffen sie ihre Säbel fester und gingen zu einem verzweifelten letzten Angriff über. Nach zwei gelungenen Riposten beendete Leubrecht seinen Kampf durch einen geschickt platzierten Stich, Alara hingegen fügte ihrem Gegner mehrere unschöne Schnittwunden zu die dessen Leben ein Ende setzten.
Nachdem sie gemeinsam im Inneren des Turms nachgeguckt hatte und davon überzeugt waren alle Räuber erledigt zu haben, machte sich Leubrecht auf den Weg um ihr Packpferd zu holen. Dabei blickte er erneut zum Turmfenster, den Geist aber sah er nicht erneut. Auf seinem Rückweg führte er das Pferd direkt in den Turm, während Alara die noch nutzbaren Bolzen und Pfeile einsammelte. Gemeinsam machten sie sich anschließend daran die Leichen etwas Abseits in einer flachen Grube zu verscharren, vom Rattengesicht und dem zahnlosen Kerl, den Leubrecht niedergestreckt hatte, gab es jedoch keine Spur mehr. Das reichlich vorhandene Feuerholz nutzend, entzündete Alara ein behagliches Feuer im Turm und begann damit ein Abendessen zuzubereiten, während der Reichsritter die Tür mit einem dicken Riegel vor die Tür legte und sich anschließend begann umzusehen. Steinerne Stufen führten an der gegenüberliegenden Wand entlang in die erste Etage, endeten jedoch im Nichts sodass der Raum außergewöhnlich hoch wirkte. Der Schein der untergehenden Praiosscheibe fiel durch die Schießscharten ins Innere, ebenso wie ihr warmes Licht aus dem Treppenabgang der obersten Etage eindrang. Ansonsten hatten die Erbauer den Innenraum großzügig und offen gelassen, während spätere Bewohner die Trümmer der Zwischendecke genutzt hatten im einen schmalen Abgang zuzuschütten. In einer Ecke hatten die Räuber ihr Feuerholz gestapelt, in einer anderen ihre Beute. Da die Zubereitung des Essens noch etwas Zeit in Anspruch nehmen würde begann Leubrecht damit die Beute durchzugehen. Vieles war inzwischen wertloser Müll, dennoch gab es auch einige wertvolle Stücke darunter. In einer Truhe hatten die Räuber Münzen und Schmuckstücke gesammelt. Die Waffen hingegen waren, abgesehen von zwei, drei prächtigen Langschwertern, allesamt von minderer Qualität und sei es nur weil sie zu lang dem direkten Einfluss der Brache ausgesetzt worden waren. Verborgen unter einem Stapel von Kisten war Leubrecht auf eine Sammlung von Briefen gestoßen, noch immer ungeöffnet hatte seit ihrem Verfassen niemand mehr gelesen was in ihnen niedergeschrieben worden war. Neugierig geworden ließ er sich neben dem Feuer nieder und begann sie zu lesen.
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