Geschichten:Junges Grün - Familientreffen
12. Hesinde 1037 – Lichtenhayn
Feine Schneeflocken tanzten in der sanfte Brise als Celissa auf ihrer Stute den Weg zurück durch das Dorf zum Schloss einschlug. Die Temperaturen waren frostig und eine weiße Decke lag über Lichtenau und den umliegenden Feldern, die zahlreichen Obstbäume wirkten wie mit Zuckerguss überzogen. Bei dem Gedanken musste Celissa unwillkürlich lächeln, sehr zu ihrem Bedauern konnte sie eine gewisse Vorliebe für solch überflüssige Leckereien nicht verhehlen.
Sie hatte die morgendliche Schneepause für einen Ausritt durch ihre Ländereien genutzt um den Kopf wieder klar zu bekommen. Die Grübeleien der letzten Tage hatten ihre Stimmung getrübt und sie hatte gehofft ein wenig Ablenkung und Bewegung würden ihr guttun. Vielleicht sollte sie nachher noch ihre Hauptmann Erick um einen Übungskampf bitten?
Der Winter war nicht gerade Celissas liebste Jahreszeit, die vorherrschende Untätigkeit machte ihr zu schaffen und sie vermisste das frische Grün der Natur welches unter Firuns Gabe verborgen lag.
Doch wie sich herausstellte, sollt sie auf dem Schloss eine wesentlich angenehmere Ablenkung als ein Übungskampf erwarten.
In ihrer Abwesenheit war ihr Onkel Aromir eingetroffen, offenbar wollte er die Angelegenheiten, über die sie brieflich diskutiert hatten, lieber persönlich klären. Und in seiner Begleitung fand sich zur Überraschung aller Lindegard, Celissas jüngere Schwester, über deren Aufenthaltsort man nicht immer im Bilde war, da sie als junge Geweihte der Peraine häufig durch das Land zog und nie sicher war, wann man sie wieder sehen würde.
„Celissa!“ rief sie, als diese die Halle betrat, „Wie schön dich zu sehen! Es ist bestimmt schon eine halbe Ewigkeit her, dass wir uns das letzte Mal trafen.“
„Bei den Göttern kleine Schwester wächst du immer noch? Nun bei Peraines Einfluss auf dich sollte mich das eigentlich nicht wundern“, schmunzelte Celissa und schloss Lindegard in die Arme. „Schön das ihr hier seid, auch Eure Anwesenheit begrüße ich sehr, Onkel“, wandte sie sich nun an Aromir, „ Wir haben einiges zu besprechen, doch wollen wir und jetzt alle erst einmal aufwärmen! Mutter schicke doch bitte nach heißem Gewürzwein, und Ihr folgt mir doch in die Stube.“ Sie legte ihren warmen Mantel ab und führte die Anderen aus der Halle.
Als sie sich alle mit einem dampfenden Becher heißen, gewürzten Quittenweins vor einem prasselnden Feuer niedergelassen hatten, bedeutete Celissa ihrem Onkel als erstes sein Anliegen vorzutragen.
„Du weißt in welch schwerer Lage ich mich befinde, Celissa,“ begann er, „ Ich habe mich auf Zerbelhufens Seite gestellt, und ich bin immer noch der Meinung, dass es richtig war so zu handeln, aber jetzt ist dieser eingeknickt und Raulbrin zeigt eine Stärke, die wir alle Ihm nicht zugetraut hätten. Wobei ich mich frage, wie viel davon der Verdienst von diesem Haldan von Rallersgrund ist.“ Es seufzte schwer und nahm noch einen Schluck von dem Wein.
„Du hast es offenbar richtig gemacht, Nichte, und dich aus dem Streit weitgehend rausgehalten. Ich hoffe ich kann jetzt auf deine Unterstützung zählen, wenn ich vor dem Baron Abbitte leiste.“ Bei diesen Worten sah er ihr fest in die Augen und erwartete offenbar eine Antwort, daher lächelte sie ihm aufmunternd zu und erklärte: „Ich habe dir ja bereits geschrieben, dass ich der Meinung bin, dass du diesen Weg gehen solltest und ich sichere dir jedwede Hilfe zu. Erlan habe ich bereits an den Hof geschickt, er soll die Wogen glätten und dafür sorgen, dass wir etwas wohlwollender aufgenommen werden, wenn wir selbst dort erscheinen.“ Celissa sah Aromir leicht fragend an, „Du wirst doch mit mir zum Baron reiten um ihn persönlich um Verzeihung zu bitten, oder?“
„Genau darum bin ich hier. Danke, dass du mich begleitest, das war für mich nicht selbstverständlich, es ist ja nicht dein Problem!“ – „Familie geht in solchen Dingen immer vor, natürlich werde ich für dich tun was ich kann.“ Warm lächelte er sie an und sagte dann lachend: „Irgendwas muss meine störrische Schwester bei deiner Erziehung doch richtig gemacht haben!“ Irmgunde schnaubte bei den Worten etwas unfein durch die Nase, sagte aber nichts. Lindegard aber lachte herzhaft und warf dann ein: „Nun das passt ja ganz wunderbar für mich! Darf ich euch zum Hof des Barons begleiten und wirst du mich vorstellen Schwester?“ Celissa runzelte leicht verwirrt die Stirn, „Was möchtest du denn am Hof von Raulbrin?“ fragte sie.
„Ich habe ein Anliegen, meine Kirche betreffend, bei welchem ich ihn um Hilfe bitten möchte. Man sagte mir er wäre ein sehr götterfürchtiger Mann und Peraine in dieser Gegend besonders geschätzt.“
Und so berichtete Lindegard ihrer Familie von ihren Plänen, ein Kloster für die Kriegsversehrten zu gründen, in dem sie noch etwas Sinnvolles mit ihrem Leben anfangen konnten. Diese Idee fand allgemeine Zustimmung auch wenn sowohl Aromir als auch Celissa anmerkten, dass für dieses Unterfangen einiges an Geld benötigt werden würde, sowie ein geeigneter Standort. Genau den letzten Punkt wolle sie eben mit dem Baron von Rallerspfort besprechen, daher würde sie die anderen beiden gerne nach Burg Rotkrähenborn begleiten.
„Da fällt mir noch etwas anderes ein“, bemerkte Aromir, „Junker Alandro bat mich darum seinen Sohn an den Hof zu bringen, er soll dort Page werden.“
„Seinen Sohn? Ich dachte der wäre etwas… nun wie soll ich es ausdrücken, nicht so sehr mit den Gaben der Herrin Hesinde gesegnet?“ warf Celissa ein. Ihre Mutter warf ihr einen strengen Blick zu, doch Aromir nickte leicht gequält.
„In der Tat, der kleine Jariel ist etwas sonderbar, redet nicht viel, mit Fremden gar nicht. Offenbar hofft Alandro, dass ihm ein neuer Ort und vielleicht auch die Trennung von seiner überaus fürsorglichen Mutter guttun wird. Auf jeden Fall könnten wir den Kleinen direkt mitnehmen, wenn wir uns dorthin begeben.“ Dabei sah er Lindegard hoffnungsvoll an, offenbar erwartete er, dass sie ihm die Last, einen kleinen, etwas seltsamen Jungen mitnehmen zu müssen erleichtern würde. Diese lächelte zustimmend, denn sie mochte Kinder schon immer gerne, aber Celissa verdrehte leicht genervt die Augen. „Auch das noch! Nun gut wenn es denn der Wunsch von Alandro ist, kann man daran wohl nichts ändern, auch wenn mir der Umweg nicht gerade zusagt.“
Den Rest des Abends verbrachten sie mit angenehmeren Gesprächen und schließlich zog sich ein jeder mit seinen eigenen Gedanken auf sein Zimmer zurück. Celissa stand noch eine Weile am Fenster und betrachtete die feinen Eiskristalle auf dem Glas und wälzte unterschiedliche Gedanken bevor sie sich schlafen legte.