Geschichten:König Bodars Banner - Auf ein Bier im Wiesenschlösschen

Wiesenschlösschen, Königsstadt Wandleth, 10. Phex 1035 BF

"So Onkel Ingramm, was ist nun wirklich los?", frech wie immer eröffnete Okoscha das Gespräch mit dem Grafen, "Wenn Du nur mehr Bier gebraucht hättest, hättest Du auch einen Kutscher schicken können."

Okoscha zapfte mit geübter Hand zwei Wiesenschlösschen aus dem frischen Fass und stellte sie zwischen beide auf den Tisch. Der alte Zwerg nahm einen tiefen Schluck, setzte ab und öffnete den Mund um zu sprechen. Dann schüttelte der den Kopf, pfiff und trank weiter. Dieses Spiel wiederholte er so oft, bis das der Krug leer war. Die Braumeisterin kannte ihren Onkel gut genug, um ihn nicht zu unterbrechen. Wenn er die richtigen Worte nur am unteren Ende eines Kruges finden würde, dann war es eben so. Sie nahm den leeren Krug und ging nochmal zum Fass.

Kaum hatte sie ihm den Rücken zugewandt, platzte es aus ihm heraus: "Du wirst mich zum großen Kabinett begleiten, als meine neue Landvögtin von Ingerimmsschlund."

Okoscha schloss den Zapfhahn, drehte sich aber nicht zu Ingramm um. Der alte Junggeselle hatte Probleme in Gegenwart von Zwergenfrauen zu sprechen, auch wenn die Frau seine eigene Nichte war. "Du weißt wahrscheinlich noch nicht, dass wir Grafen zwar das große Kabinett eröffnen und dem Ratsschluss beiwohnen dürfen, aber auf keinen Fall Einfluss auf die Beschlussfindung üben dürfen. Und da habe ich als mein eigener Vasall und Baron von Ingerimmsschlund ein Problem."

Nun drehte sich Okoscha doch zu ihrem Onkel um. In ihrem Gesicht blitzte vor Stolz jenes Lächeln, mit dem sie so schon manchen Zwerg wie Erz in der Schmelze hat schmilzen lassen, "Aber Du hast doch immer gesagt, dass Du deine Länder auch selber regieren könntest und keinen Vogt bräuchtest? Du hast gesagt, wir wären keine von den Großen, unsere Beine stünden fest auf unserem Land und nicht in Steigbügeln oder auf fremden Hofparkett."

Ingramm drehte den frisch gereichten Krug verlegen in den Händen, schaute hinein schien aber keinen Durst zu haben. Okoscha war zu recht besorgt. "Da ist noch etwas. Das alte Geröll hier oben," er klopfte mit der rechten Faust an den Kopf, "scheint sich langsam zu lockern. Ich vergesse einfach immer öfter Dinge." Der alte Graf atmete erleichtert aus - diese Beichte schien ihm sehr schwer gefallen zu sein.

"Du weißt, ich bin mittlerweile zu alt für kleine Zwerge, Deine Mutter ist ja leider zurück zu den Steinen gegangen, so dass Du wohl die nächste Gräfin von Schlund werden wirst. Und da kannst Du das Regieren mit der Baronie Ingerimmsschlund schon ein paar Jahrzehnte üben - und dabei Deinem alten Onkel auf die Finger schauen, wenn mir wieder was entfällt."

Okoscha zuckte mit den kleinen Zwergenschultern, "Ja klar, warum nicht." Die Worte sollten sehr viel lockerer klingen, als die, die dann wirklich aus ihrem Mund quollen. Das war wirklich eine Verantwortung - sie freute sich, aber sie sorgte sich auch.

"Gut. So nun aber zum Kabinett. Es gibt zwei Dinge um die wir uns besonders kümmern müssen, die Rabenbrücke und die Wandlether Stapelrechte", als es zum Geschäftlichen überging, war Ingramm wieder ganze der alte, "Landwehrregimenter werden wir stemmen können, wir haben uns ja nicht gegenseitig die Bauern abgeschlachtet."

Okoscha war immer noch hibbelig über die neue Verantwortung, "Und die geplante Kriegssteuer?"

Der Graf schüttelte den Kopf, "Wenn wir das mit Rabenbrücke und Stapelrechten richtig hinkriegen, brauchen wir uns um die paar Dukaten wirklich nicht sorgen..."

Der alte Graf brachte seine Nichte und neue Landvögtin persönlich zum Tor des Wiesenschlösschsens nachdem sie den Plan für das Kabinett ausgeheckt hatten.

"Onkel Ingramm, woran hast Du eigentlich gemerkt, dass Du vergesslicher wirst?", flüsterte sie bierselig dem Alten ins Ohr.

Die Augen des Grafen wurden schlagartig nüchtern und sehr traurig, "ich suche schon seit einigen Wochen diesen Orden den mir König Barduron verliehen hat. Ohne kann ich schlecht zum Kabinett gehen. Aber ich muss ihn verlegt haben..."