Geschichten:König Bodars Banner - Eslamsgrunder Addendum
Auf der Ruchinsburg, Phex 1035 BF
»Hast du gesehen, was aus Eslamsgrund kommt?« Elea von Ruchin warf mit einer eleganten Bewegung ihren Reitumhang ab und eilte zu ihrem Bruder, um ihn zu umarmen. Lanzeslaus ließ es geschehen. Seine Schwester beschenkte ihn stets mit besonderer Fürsorge, die er sowohl genoss als auch hasste. Auf der einen Seite gab es wenig, was ihn noch erheiterte oder gar fesseln konnte, auf der anderen Seite mochte er kein Mitleid. Und von seinem Selbstmitleid hatte er genug, wahrlich genug.
Lanzeslaus hob den nackten Fuß auf den Tisch und wendete geschickt mit den Zehen die Schriftstücke, die dort ausgebreitet waren. »Du meinst die Forderung aus Eslamsgrund? Die Umschuldung?«
»Genau, Brüderchen, genau die.« Elea goss sich einen Krug kalten Tees ein und setzte sich zu ihrem Bruder, nahm ihm das Dokument aus den Zehen. Elea von Ruchin war eine vollendete Diplomatin. Ihre Tätigkeit für die Krone, ihre Aufgaben am Kaiserhof, ihre Pflichten gegenüber der Kirche hatten sie dazu bestimmt. Und Elea hatte Jahre gehabt zu üben. Sie hatte auch Jahre gehabt, sich an den Anblick ihres Bruders zu gewöhnen und sie musste ihr Verstellungstalent schon lange nicht mehr anwenden, um ihn als normales Familienmitglied zu behandeln. Lanzeslaus mochte als Obrist im Felde in der Schlacht von Gareth seine beiden Arme verloren haben, aber er hatte noch immer sein großes Herz, dessentwegen ihn seine Leute stets geliebt hatten, und er hatte noch seinen Verstand, dessentwegen seien Leute ihm in die Schlacht gefolgt waren. Das Charisma des Lanzeslaus von Ruchin schöpfte sich nicht aus dem Gebrauch zweier Hände. Dennoch litt ihr Bruder an seiner Behinderung sehr. Nur schwer lernte er, noch gute Seiten an diesem Leben zu finden, in dem er auf lächerliche Weise seine Füße zu Händen machen musste und jedes Mal ein groteskes Bild abgab, wenn er einen Becher zwischen die Fußsohlen klemmte und ihn an seine Lippen führte.
Als das Große Kabinett anberaumt wurde, hatte Elea die Idee, ihren Bruder in die Vorbereitungen einzubeziehen: Früher war Lanzeslaus ein Kenner der garetischen Verhältnisse gewesen; kannte die Stärken und Schwächen der Ritter, wusste um die unterschiedlichen Gepflogenheiten der garetischen Grafschaften und war treffsicher in seinem Urteil über Misswirtschaft und Missstände. Elea legte seit Monden ihrem Bruder alles vor, was die garetische Politik betraf, und siehe da: Lanzeslaus erwachte wieder zu einem interessierten Leben! Gierig schien er die Informationen aufzusaugen, die Möglichkeit, seinen wachen Verstand mit wichtigen und komplexen Dingen zu füllen statt ihn mit dem eigenen Leid zu beschäftigen.
»Was hältst du davon, Schwester?« Lanzeslaus blickte sie erwartungsvoll an.
»Ich habe zuerst gefragt«, gab sie lachend zurück.
»Nun gut. Die Forderung ist stattlich: Der Graf fordert das Große Kabinett auf, der Krone zu raten, der Grafschaft Eslamsgrund und dem Grafen alle Schulden abzunehmen, die auf dem Lehen liegen - mit der Begründung, dass die Grafschaft unter den Sonderzahlungen für die vergangenen Kriege, insbesondere für die Herfahrten in die Wildermark, sowie unter den doppelten Zehnten für die Praios-.Kirche und deren Gliederungen stark belastet gewesen sei. Hinzu kommend sei der Grafschaft alle Last aus der almadanischen Sezession aufgebürdet worden. Und schließlich sei Eslamsgrund nur ein Teil der historischen Grafschaft Caldaia und seit darum noch nicht für den Verlust dieser … Amputation … entschädigt worden. Das waren im groben die Forderungen des Eslamsgrunder Addendums, oder?«
»Gut zusammengefasst, Lanzeslaus. Und was meinst du dazu?«
»Ich meine, dass die Eslamsgrunder recht haben. Während das ganze Königreich sich immer nur ansieht, wie die Hartsteener unter den Entwicklungen gelitten haben - allerdings nicht ohne selbst Schuld auf das eigene Konto zu häufen - hat man Eslamgrund völlig vergessen. Denk nur an die Ferkinas und die Oger, die halb Schlundgau verheert haben. Davon spricht keiner! Also, ich glaube, die Eslamsgrunder haben recht.«
»Du würdest also der Krone empfehlen, die Schulden der Grafschaft zu übernehmen?«
»Ja und nein. Ich habe ja nichts zu empfehlen, sondern das Große Kabinett. Aber ich würde der Krone empfehlen, die Schulden zu übernehmen. Allerdings nicht ohne Bedingungen!« Lanzeslaus hob die Brauen, während Elea auffiel, dass Lanzeslaus offenbar die Dinge bestens durchschaute.
»Welche?«, fragte sie.
»Zum ersten muss die Krone die Augen der Kammer nach Eslamsgrund schicken und sauber trennen zwischen den Schulden der Staatsführung und denen privater Lebenshaltung. Sprich: Die Schulden der Grafschaft sollte die Krone entgelten, die Schulden des Grafen hingegen nicht. Zum zweiten - und das ist mindestens genauso entscheidend - muss die Krone die Umschuldung mit politischen Sicherheiten verbinden, beispielsweise einem Caldaia-Memorandum, das die Teilung der Grafschaft entweder ein für allemal juristisch festschreibt oder aber die Vereinigung in Aussicht stellt.«
»Oha - das wäre ja was.«
»Ja. Aber notwendig. Denn siehe, was mit der Erbfolge in Fremmelsfelde für ein Fass aufgemacht wurde. Ich würde beide Arme darauf verwetten, dass die Praios-Kirche hierauf keine einfache Antwort hätte!«
Elea sah ihren Bruder bestürzt an. Hatte er gerade wirklich einen Scherz über seien Behinderung gemacht? Dann stand es um ihn besser, als sie gehofft hatte!
Garetien-, Greifenfurt- und Perricum-Con 2012
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◅ | Ein Plan wird geschmiedet |
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Zwei Hartsteener und eine Kriegssteuer | ▻ |