Geschichten:Kabale und Hiebe - Die Entscheidung
Baronie Haselhain, Herrschaft Laskanshain, Gut Laskanshain, Rondra 1035 BF
Mah’met Bassala’ur und Fu’ran, der Sohn seines Nachbarn Seitschek, gingen in eisigem Schweigen nur wenige Schritte voneinander entfernt in Richtung des Gutshofes, wobei der Jüngere dem Älteren den Vortritt liess. Mit einigen Abstand folgten tuschelnd viele der Dorfbewohner, denn das Gerücht, dass die Vögtin in diesem jahrzehntelangen Streit entscheiden wollte, hatte schon vor dem Mittag die Runde im Dorf gemacht. Die Sonne stand schon tief und warf lange Schatten über das Land.
Leider war es Mah’met nicht gelungen, an Seitschek heranzukommen, um ihn zu einen Trunk zu überreden und dazu zu bringen, mit zur Vögtin zu kommen. Bei seinem Besuch auf dem Hof, war er von Fu’ran abgefertigt worden, und als er versucht hatte, mit Seitschek durch das Fenster zu sprechen, war ein Bediensteter mit einem Knüppel vom Hof gekommen und hatte ihm unmissverständlich klar gemacht, zu verschwinden. Es wäre eine zu grosse Schande gewesen, sich von einem Leibeigenen verprügeln zu lassen, so war er schliesslich abgezogen.
Ebensowenig froh wie Mahmet war Fu’ran. Nicht genug damit, dass sein Nachbar über die Vögtin versuchte, sich der Bäume seines Grossvaters zu bemächtigen, nein er hatte auch gehört, dass diese unwissende Raulsche das Ansinnen seines gierigen Nachbarn für gerecht hielt! Sein Grossvater wollte sich diese Farce nicht mehr antun und ein wenig verstand er die Enttäuschung des alten Mannes, doch er selbst würde ganz sicher darum kämpfen, das Eigentum seiner Familie zu erhalten. Niemand sollte ihm Feigheit vorwerfen, wie sie es hinter vorgehaltener Hand von seinem Vater tuschelten!
Das Tor des Gutshofes stand offen und Barad’ur winkte die Besucher hastig herein. „Willkommen, edler Herr Mah'met, willkommen, Enkel des Seitschek. Es ist alles bereit.“
Auf dem Hof wartete bereits die Vögtin. Mahmet Bassala’ur hatte trotz Barad’urs Ankündigung so etwas nach heute morgen erwartet, doch Fu’ran stellte staunend fest, dass nichts, aber auch gar nichts hier „bereit“ schien und auf einen wichtigen Akt hindeutete. Mitten auf dem Hof war ein Kreis aus Sand gestreut, doch sonst sah der Hof aus wie immer. Wollte die Raulsche die beiden Parteien etwa in den Garten bitten, um die Sache zu besprechen? Doch nein, sie machte keinerlei Anstalten dazu. Sie nickte ihnen nur grüssend zu „Machmet Bassalur.“, „Furan.“ und winkte Ashia, die den beiden Besuchern einen Becher mit Saft reichte.
Die hielten ihren Trunk gerade in der Hand, als die anderen Dorfbewohner ans Tor kamen und Barad’ur laut protestierte, dass das doch nicht ginge, sie könnten doch nicht einfach hereinkommen, davon hätte die Vöcktin nicht gesagt.
Ashia, inzwischen ein wenig geübt im Umgang mit der neuen Herrin, eilte zum Tor und tat, als würde sie die Ursache des Auflaufs ergründen wollen, als wäre es nicht völlig normal, dass alle dort auftauchten, wo es etwas zu sehen gab. Noch mehr, waren doch Rechtssprüche eine öffentliche Angelegenheit! So beschwichtigte sie den aufgeregten Barad’ur mit einem Augenaufschlag und die wartenden Männer mit einem Lächeln und versprach, die Vögtin zu informieren, auf dass sie sie hereinbitten würde.
„Härrin“, sprach sie in leisem Ton, als sie wieder bei der Vögtin war, „äs iszt Bra’uch, dass alle chören Rechth. Sind grossä Männer in Dorfh. Sie kommen für wollen chören. Undh Söhne. Für chören und lernen sind chier.“
„Ich bin sicher, sie halten sich alle für furchtbar wichtig“, antwortete ihre Herrin der Ashia, die erleichtert ob dieser vermeintlichen Zustimmung aufatmete. „Also bitte sie herein und lass sie dort zuhören.“ Sie nickte zur Mauer des Hauses hinüber, die schon im Schatten lag, und Ashia beeilte sich, die Bewohner des Dorfes auf den Hof zu bitten.
Die Vögtin Selina Castos wartete, bis alle murmelnd und tuschelnd den Platz gefunden hatten, der ihnen zusagte – oder zustand? Die Söhne standen hinter den Vätern, die Frauen in einer Gruppe etwas abgesondert. Erst dann schritt sie mit ruhigen Schritten zu einem Platz, an dem sie die sinkende Sonne im Rücken hatte und bedeutete den Kontrahenten, sich ihr gegenüber aufzustellen.
„Einen praiosgesegneten Abend, Machmet Bassalaur, Furan, Leute.“ Sie liess den Blick über die Anwesenden gleiten und stellte befriedigt fest, dass die Streithähne im Licht der waagrecht stehenden Sonne blinzelten.
Sie fuhr mit gewichtiger Stimme fort: „Sein Recht verlangt der Bauer Machmett Bassalaur heute, sein Recht vor dem Herrn Praios und den übrigen Elf und vor den Menschen. Sein Recht und sein Eigentum, das ihm sein Nachbar streitig machen will, wie er klagt. Der Herr PRAios weiss um das Recht in dieser Sache. Sein Licht soll die Streitenden heute Abend daran erinnern, dass vor Ihm keine Lüge Bestand hat.“
Mach’met Bassala’ur sträubten sich ganz sachte die Haare im Nacken. Was sollte diese Vorrede? Wusste die Vögtin etwa um seine phexischen Ränke? Brannte das Licht der untergehenden Praiosscheibe nicht viel stärker in seinen Augen als es das tun sollte? Verbrannte ihre Wärme nicht schon seine Wangen? Ach, was sollte dieses schlechte Gewissen! Wer hatte je schon gehört, dass sich der Herr PRAios um solche Kleinigkeiten gekümmert hätte, beruhigte er sich selbst.
„Machmet Bassalur, wiederholt Eure Klage vor allen, auf dass sie wissen, worum es geht“, wandte sich die Vögtin jetzt an ihn. „Und führt Eure Klage in der raulschen Zunge, auf dass ich höre, ob es die gleiche ist, die Ihr heute morgen führtet.“
Der Angesprochene trat vor, strich sein gelbes Gewand glatt und warf sich in Positur: „So höret, Vöcktin, und höret, meine Nachbarn, meine Klage, die ich führe gegen Fu’ran, den Enkel meines verehrten Nachbarn Seitschek, der ein grosser Freund meines Vaters – Boron habe ihn selig – war. Seit mein Vater jung war…“
Ja, das war die gleich Klage, die der Bauer auch am Morgen vorgetragen hatte. Etwas mehr mit Floskeln ausgeschmückt, etwas geläufiger im Gareti, aber der Inhalt war der gleiche: erst der Sohn und jetzt der Enkel seines alten Nachbarn ernteten seit Jahren von seinen Bäumen an der Wegschleife. Die Vögtin beobachtete, wie der junge Mann, der angeklagt wurde, immer zorniger wurde. Er ballte die Fäuste und konnte sich nur schwer zurückhalten, dem Älteren in die Rede zu fallen.
Doch die Leute am Rande, die die Sache beobachteten, behielten fast ausdruckslose Mienen bei. Sicher würde der eine oder andre wissen, was es wirklich mit dem Streit auf sich hatte, sicher würden sie alle mit dem einen oder anderen der Streitenden sympatisieren, doch nichts davon konnte die Raulsche in den Mienen der wartenden Nebachoten lesen.
Kaum hatteBassala’ur geendet, stiess Fu’ran auf nebachotisch aus: „Das ist eine infame Lüge!“ Empörte Ausrufe der lauschenden Männer, erschrockene der Frauen.
Mah’met fuhr herum und hob die Hand, um den jungen Mann für diese Beschuldigung zu strafen, doch ein entschiedenes „Halt!“ der Vögtin liess ihn innehalten.
Wie konnte er sich nur so vergessen, schalt sich Mah’met. Machte diese Reaktion nicht seinen ganzen Eindruck zunichte? Doch rasch siegte die Hoffnung über diesen mutlosen Gedanken: Gewiss wurde seine wütende Geste als Demonstration empörter Rechtschaffenheit gewertet werden, wenn er sie nur so darzustellen wusste! In durch und durch reumütiger Pose wandte er sich wieder seiner Richterin zu: „Bitte entschuldickt, Frau Vöcktin. Ist gerächte Zorn gegangen mit mir. Aber Fu’ran ist jung und ungestüm, wird gute Mann und Kämpfer. Bitte entschuldickt auch ihn.“
Fu’ran hingegen sah nicht so aus, als würde er auf eine Entschuldigung durch wen auch immer Wert legen. Als Mah’met Bassala’ur ihn zu schlagen drohte, hatte er eine Kampfposition eingenommen, und auch jetzt war er immer noch kampfbereit. Fast wirkte es, als bedaure er, dass es doch nicht zum Kampf kam. Selina Castos nickte Mah’met Bassala’ur grossmütig zu: „Es ist verziehen“, ohne zuzugeben, dass sie den genauen Grund des Aufruhrs nicht verstanden hatte.
Dann sprach sie zu dem jungen Beklagten: „Furan, nun schildert Ihr, was es mit den Bäumen auf sich hat.“ Zögernd gab der Bursche seine kämpferische Pose auf und trat nun seinerseits vor, die gegen die sinkende Sonne zusammengekniffenen Augen auf die Vögtin gerichtet.
„Ich bin Fu’ran, Sohn des Bes’ran“, hier hatte er die Stimme herausfordernd gehoben, „und Enkel des Seitschek. In seinem Namen bin ich hier, denn mein Grossvater sagte, er ertrüge es nicht, diesem Betrüger noch einmal gegenüber zu stehen, wo er und der Vater dieses Mannes gute Freund gewesen waren. Ich würde seinem Beispiel folgen, doch der Hunger meiner kleinen Brüder zwingt mich, für unser Recht und Eigentum zu streiten.“
Jetzt fiel Selina auf, was sie an der Rede des jungen Mannes seit den ersten Worten so irritiert hatte – er sprach das Garetische geläufig und fast akzentfrei und er jonglierte nicht mit blumigen Formulierungen wie der Ältere.
„Was wo verbrieft sein mag, das weiss ich nicht. Doch ich weiss, dass ich schon als kleiner Bub mit meinem Grossvater bei der Ernte war, und mein Grossvater und sein Nachbar ernteten einträchtig nebeneinander – beide auf der dorfseitigen Seite des Weges, doch jeder von anderen Bäumen. Und mein Grossvater ermahnte mich stets, von welchen Bäumen ich Früchte nehmen durfte und von welchen nicht. Als ich gross genug war, allein in den Hain zu gehen, wurden die Grenzbäume markiert, damit ich genau wusste, wo ich ernten durfte und wo nicht, denn mein Grossvater ist ein höflicher Mann und er legte grossen Wert darauf, mit seinem Nachbarn in gutem Einvernehmen zu leben. Nur deswegen sagte er auch nichts und mein Vater nur sehr wenig, als der edle Herr Mahmet begann, unser Obst zu ernten. Und seht, wären unsre Bäume nur auf der anderen Wegseite, wie es der …ehrenwerte Herr Mahmet behauptet, so wäre das alles gar nicht nötig gewesen, denn der Weg ist eine Grenze, die sogar ein Kind erkennt. Nicht zuletzt werden die Ältesten des Dorfes meine Worte bezeugen können.“
Suchend wandte er seine Augen zu den wartenden Dörflern und musste enttäuscht erkennen, dass niemand seine Worte bezeugen würde. Stumm und scheinbar teilnahmslos standen sie da, sie, die sonst mit leidenschaftlichen, gar erbitterten Worten die nichtigsten Angelegenheiten ihrer Dorfgenossen diskutieren konnten. Allerdings, so meinte er aus den abwartenden Mienen und lauernden Blicken ablesen zu können, würde auch niemand die Worte seines Widersachers Mahmet bezeugen wollen. Das war ihm ein kleiner Trost.
Sie waren allein hier um zu sehen, wie sich diese Raulsche schlagen würde, auf sich gestellt. Würde sie die alten Gesetze achten? Und, so meinte Fu’ran zu wissen, ihr Urteil über die Vögtin würde auch ihr Urteil über die Herrin des Dorfes sein, die diese Vögtin eingesetzt hatte. Mah’met Bassala’ur war zufrieden mit der Rede seines Widersachers. Sie hatte längst nicht das rhetorische Niveau seiner Klage, und auch das Auftreten des jungen Mannes fiel einfach gegen das seine ab. Natürlich, wenn sich die Vögtin die Mühe machte, die Dorfbewohner zu befragen – doch es würden sich auch Stimmen finden lassen, die für ihn sprachen, Kara’toum zum Beispiel, der ihm eine hübsche Stange Geld schuldete.
Selina Castos sah ebenfalls zu den wartenden Dörflern hinüber. Sie meinte ruhig auf Fu’rans Aufforderung: „Ja, es gehört sich wohl, Zeugen anzuhören, wenn die Zeugen schon da sind“, und wandte sich an die versammelten Zuschauer: „Nun denn – wer von euch kann den Anspruch eines der beiden Männer bestätigen?“
Die Männer schwiegen, die jungen Burschen und Frauen sowieso. War es, weil sie ihre Aufforderung nicht verstanden hatten? Einige sahen auf den Boden oder betrachteten angelegentlich die gegenüberliegende Stallwand, doch einige begegneten auch ihrem fragenden Blick mit einem nichtssagenden Grinsen und einem abweisenden Ausdruck in den Augen. Sie entdeckte den Stallburschen Alenyo bei den Männern und nickte ihm auffordernd zu: „Übersetze meine Frage.“
Alenyo sagte daraufhin zögernd einige Sätze auf nebachot, doch nur bei wenigen Zuschauern hellten sich die Mienen auf, weil sie nun verstanden hatten, was die Raulsche von ihnen wollte. Aber eine Antwort erhielt sie von niemandem.
Mah’met und Fu’ran starrten ebenfalls zur schweigenden Menge hinüber und Mah’met begriff langsam, was Fu’ran schon wusste: Dass sie beide heute dem Dorf als Köder dienen würden, um die Vögtin zu testen.
Doch Mah’met, gewitzter und mit mehr Lebenserfahrung als Fu’ran gesegnet, meinte, noch mehr zu begreifen: Hier fand auch eine Demonstration der Dörfler gegen die reichsten Familien des Dorfes statt, und die wartende Menge hätte vermutlich gar nichts dagegen einzuwenden, wenn der Vögtin in den Sinn käme, das umstrittene Stück Land mitsamt den Bäumen als Eigentum der Edlen einzuziehen, ganz im Stile selbstherrlicher nebachotischer Herrscher. Das war nun gar nicht in seinem Sinne!
„Kara’toum“, forderte er darum einen seinen Schuldner auf, „du weißt doch, das das Stück Land und die Bäume mir gehören. Mach den Mund auf und bekunde, was du weißt!“ Zur Sicherheit wiederholte er die Worte auch auf gareti, damit die Vögtin ihn nicht etwa für unhöflich hielt. Der Angesprochene rollte unbehaglich mit den Augen, dass man nur noch das Weisse darin sah, und scharrte mit dem Füssen auf dem staubigen Boden, räusperte sich und begann erst dann zögernd zu sprechen: „Ädlär `ärr Mah’met, verzeih, doch weiss ich nicht, was ich wissen soll. Ich höre dies und ich höre jenes und ich höre, dass die Bäume dir gehören, und ich höre hin und wieder, dass die Bäume dem edlen Seitschek gehören. Ich kenne dich als einen Mann, so ehrlich und freigiebig wie noch jeder Rechtgläubige, aber bei meiner Ehre: ich habe nur gehört, dass diese Bäume dir gehören, ich habe es nie niedergeschrieben gesehen. Und ich kann auch nicht bezeugen, dass nicht stimmt, was der Enkel des Seitschek behauptet. So bitte ich die edle Vöcktin, meine Stimme nicht als Zeuge vor PRAios zu sehen, denn vor dem Götterfürsten will ich mich nicht mit falschem Zeugnis versündigen.“ Zustimmend nickte die Menge, erleichtert murmelnd, da Kara’toum ihnen nun die Argumentation geliefert hatte, die sie brauchten, um sich aus diesem Streit herauszuhalten und trotzdem den Schein betroffener Freunde zu wahren.
Sie ignorierten heute geflissentlich, dass das Grundrecht in diesem Dorf bisher noch immer mündlich überliefert worden war, unabhängig von allen Besitzurkunden, die womöglich irgendwo liegen mochten.
Mah’met schnaubte. Als wenn Kara’toum etwas verstünde, wenn man ihm Geschriebenes unter die Nase hielt! Ha, er würde sein Recht auch so bekommen, auch ohne die Unterstützung dieses Leisetreters. Der sollte nur noch einmal kommen und darum bitten, dass er ihm die Rückzahlungen stunden solle. Dann würde er seinen, Mahmets, gerechten Zorn zu spüren bekommen für diese Niederträchtigkeit heute.
Endlich begriff auch Selina Castos, dass hier etwas nicht stimmen konnte. Dass die Leute durchaus etwas wussten, aber von nichts wissen wollten. Na schön.
Sie reckte sich kämpferisch. Für das, was sie im Sinn hatte, brauchte sie ohnehin keine Zeugen. Zufrieden sah sie, dass die Sonne untergegangen war. Zeit für Teil zwei der Verhandlung.
Pro forma fragte sie die Menge noch einmal: „Nun, gibt es jemanden unter euch Leuten, der mehr weiss als der edle Karatumm?“ Die leibeigene Hausdienerin Ashia räusperte sich verlegen. Man nannte den armen, verschuldeten Kara’toum doch nicht „edel“. Sie würde der Herrin dringend diese feinen Unterschiede beibringen müssen, ehe sie noch mehr peinliche Ausdrücke von sich gab wie zum Beispiel heute morgen das Machmit Basal… Wieder konnte Ashia nicht an sich halten und brach in Lachen aus. Sie täuschte hektisch einen Hustenanfall vor, um ihr hysterisches Lachen zu verbergen und huschte mit vor das Gesicht geschlagenen Händen ins Haus. Viele verwunderte Blicke folgten der jungen Dienerin. Mit einem ungeduldigen „Also?“ zog die Vögtin die Aufmerksamkeit der Anwesenden wieder auf sich, als Ashia veschwunden war, doch eine Antwort bekam sie auch jetzt nicht.
Sie wandte sich an den Grossbauern; „Na schön, edler Machmet Bassalur. Eure Klage hat einiges für sich, doch die Darstellung Eures Widersachers Furan ebenso. Und offensichtlich ist Euer Streit schon so alt, dass sich niemand mehr erinnert, wem das Land wirklich gehört“, fuhr sie mit sarkastischer Betonung fort.
Fu’ran wollte wohl etwas einwerfen, doch er winkte missmutig ab und verkniff es sich – was wollte man von einer Raulschen schon erwarten. Dafür erhob Mah’met Bassala’ur die Stimme und versuchte, auf gut Wetter zu machen: „Ich kann mir gar nicht erklären, was mit meinen Freunden ist. Wir haben so oft darüber gesprochen. Vielleicht scheuen sie sich vor Euch zu sprechen, weil ihre Zunge das Garetische nur ungelenk beherrscht. So ist es doch, nicht wahr?“
Mit einem breiten Lächeln sah er diejenigen an, die er zu seinen Freunden zählte. Kommt schon, beschwor er sie in Gedanken, tut mir den Gefallen und heuchelt wenigstens jetzt Zustimmung. Doch sie taten es nicht. Einer musste sich gerade neu gürten, zwei andre beobachteten eine Krähe, die über den Hof flog, und ein vierter besass gar die Frechheit, ihn verwundert fragend anzusehen.
Selina Castos lächelte ein dünnes Lächeln. Wahrhaftig, dieser Nebachote kannte sie noch lange nicht, wenn er meinte, mit seinem Geschwafel bei ihr Eindruck zu schinden. „Edler Machmet Bassalur, bemüht Euch jetzt nicht länger. Heute werdet Ihr wohl keine Antworten von Euren Freunden mehr erhalten. Darum sagt mir eines: Wollt Ihr auf meine Entscheidung warten, bis ich Eure Sprache gut genug beherrsche, um Euch alle auf nebachot anzuhören?“ ‚Ganz bestimmt willst du das nicht, am liebsten hättest du schon heute Morgen meine Entscheidung auf deinen Wunsch gesiegelt erhalten’, dachte sie dabei – und so klang ihre Frage auch für den Kläger.
Phexvedammt, das Weib hatte leider Recht. Wenn sie lange genug hier war, um das hiesige Idiom zu verstehen, konnte er alle Hoffnung auf die Bäume fahren lassen. Jetzt musste er versuchen, die Bäume als sein Eigentum bestätigen zu lassen, oder sie würden nie ihm gehören. „Hüterin der Weisheit“, antwortete er deshalb, „ich bin sicher, Ihr seid genug mit Hesindes Gaben gesegnet, um jetzt und hier eine richtige Entscheidung zu fällen, auch wenn meine Freunde einen Fisch zuviel gegessen haben, wie es scheint. Ihr kennt meine Darstellung und die des jungen Fu’ran und Ihr werdet sicher einfach Wahrheit von Lüge, Tatsachen von Behauptungen, Besitz von Anspruch unterscheiden können. Ich bitte Euch, entscheidet heute Abend, sodass wir diese leidige Sache ein für allemal aus der Welt schaffen können, und wieder Recht herrscht in Lassar a Yar’Ammayin.“ Hm, das hatte wirklich gut geklungen, lobte er sich selbst. Allerdings, als er so Zustimmung suchend zur Menge hinüberschielte, nahm er das eine und andre spöttische Grinsen wahr. Sollte er etwa übertrieben haben?
„Nun gut“, meinte die so hochgelobte trocken.
„Da Ihr jetzt meine Entscheidung wollt, sollt Ihr sie haben. Ich kenne Euch und Eure Familien zuwenig, um zu wissen, wessen Anspruch auf das Land berechtigt ist. Der eine versucht, mich mit Schmeicheleien zu bestechen, und der andere versucht, mein Mitleid zu wecken, damit ich ihm die Bäume zuspreche. Wie soll ich wohl entscheiden?“ Sie machte eine Pause und mass die beiden Männer mit einem langen Blick. Mah’met wurde wieder unbehaglich. Würde sie jetzt wirklich selbst die umstrittenen Bäume beanspruchen? Auch Fu’ran machte eine sorgenvolle Miene, vielleicht befürchtete er das gleiche. „Ihr habt lange genug um die Bäume gestritten und Ihr habt heute um meine Gunst gekämpft. Es ist besser, ihr kämpft miteinander um die Bäume, die Ihr beide beansprucht, anstatt andre in Euren Streit zu ziehen.“ Fragende Gesichter waren überall auf dem Hof zu sehen.
„Einen der Herrin RONdra gefälligen Zweikampf werdet Ihr führen, und dem Sieger sollen die Bäume gehören.“ – „Aber…“ Selina Castos schnitt den Einwand mit einer Handbewegung ab: „Ich kenne Euer Temperament und ich habe nicht die Absicht, einen meiner Dörfler ungewollt zu BORon zu schicken. Ihr werdet ohne Waffen kämpfen, wer eine Waffe zieht, hat den Kampf verloren und seinen Anspruch auf die Bäume verwirkt.“