Geschichten:Kamele und Karawanen
Firun 1046 BF, Reichsfestung Wogentrutz, Kaiserlich Efferdsträne
Auf der Burg Wogentrutz, hoch über den nebelverhangenen Golf von Perricum mit Blick auf das Perlenmeer, fand sich Elaisha, das schüchterne Mädchen, in einer Welt wieder, die ihr fremd und unheimlich erschien. Sie lebte mir ihren Eltern zuletzt nahe des Hirtendorfes Ehristar an der Gorischen Wüste. Hier im Perricumer Winter war alles anders. Es war kalt, es war feucht. Die Wellen, die über die Brandung brachen ängstigten sie. Der Nebelteppich, der das Wasser bedeckte, sah aus, als würden Gestalten aus der Geisterwelt sie anheim suchen. Hier war nichts so schön, wie in ihrer Heimat.
Ihr Bruder Amaryd hingegen bemühte sich, sich einzuleben. Er lernte fleißig Garethi und schien in der neuen Umgebung abzufinden. Amaryd war aber auch ein paar Jahre älter, und auch wenn er um seine Eltern trauerte, wusste er, dass er das den Schmerz überwinden musste. Seine kleine Schwester trauerte hingegen umso mehr. Elaisha zog sich zurück, versteckte sich in den Schatten ihrer Gemächer, weit weg von den Blicken der anderen. Verborgen in ihrem Schneckenhaus.
Der Reichsvogt Leobrecht von Ochs hatte die beiden Geschwister nach dem tragischen Tod ihrer Eltern aufgenommen. Das war nun bereits mehrere Monde her. Er beobachtete das Mädchen mit einem Blick, der sowohl Sorge als auch Verständnis ausdrückte. Er selbst war noch kein Knappe, als er Vater und Mutter verlor. Das war zwar bereits Jahrzehnte vergangen, doch der Schmerz blieb wie ein Schatten auf seiner Seele. Als Vater von fünf Kindern kannte er die vielen Wege, das Innere junger Menschen zu erreichen. So kam ihm eine Idee.
Er platzierte das Brettspiel „Rote und Weiße Kamele“ auf dem Weg zwischen Elaishas Gemächern und dem Abort. Mit einem strategischen Zug der roten Kameldame begann er das stille Spiel. Tage vergingen, bis Leobrecht bemerkte, dass ein weißes Kamel vorgerückt war – ein stilles Zeichen, dass Elaisha seine Herausforderung angenommen hatte.
Die Partie entwickelte sich langsam, mit bedachten Zügen, die über Tage und Wochen hinweggesetzt wurden. Die Kamele wurden gekonnt zu Karawanen entwickelt und übernahmen die Güter des jeweils anderen Spielers. Es war ein Dialog ohne Worte, ein Austausch von Gedanken und Strategien, der mehr über die Spieler verriet, als Worte es je könnten.
Als die erste Partie endete, war es Elaisha, die das Spiel neu aufbaute. Ihre Finger, die zuvor zögerlich und unsicher gewesen waren, bewegten sich nun mit Entschlossenheit und einem Hauch von Vorfreude. Leobrecht beobachtete sie aus der Ferne, ein mildes Lächeln umspielte seine Lippen. Als Elaisha ihren ersten Zug machte, einen kühnen Vorstoß des weißen Kamels, bemerkte sie den alternden Reichsvogt. Ihre Augen trafen sich, und für einen flüchtigen Moment hielt Satinav gefühlt die Zeit an. Dann huschte Elaisha zurück in ihre Gemächer, leise hinterherwerfend „Y'ach jîmal ahmarân w'abyadûn – was soviel bedeutete „Du ziehst beim Rote und Weiße Kamele Spiel“
Es würde sicher noch Zeit benötigen aber der Reichsvogt und sein Mündel knüpften langsam ein zuversichtliches Band. Eine Kommunikation der etwas anderen Art, übertragen von farbigen Holzkamelen und glitzernden Gütersteinen. Sie redeten immer noch nicht viel miteinander, doch der alte Ochse bemerkte das Mädchen hinter ihrer Zimmertür, wenn er sich dem Spielbrett näherte. Gespannt wartend, welcher nächste Zug auf sie wartete.