Geschichten:Keilholtzer Neuordnung - Golgaris Schwingen über dem Kamm
Burg Keilholtz, 17. Firun 1036 BF, Zur Mitternachtsstunde
Ritter Gawain hatte sein Abendmahl zusammen mit dem Knecht Marbert und dessen Gattin Griselda in der Küche der Burg zu sich genommen. Marbert erwies sich als ähnlich redselig wie der Fels aus dem die Mauern der Burg gefügt waren, doch seine Frau, die als Magd des mürrischen Junkers oft genug zu schweigen und zu leiden hatte, gab dem gutaussehenden Nebachoten in allem gerne Auskunft. So erfuhr der Gast, dass es um die geistige Gesundheit des Patriarchen nicht wohl bestimmt war. Seit er im letzten Götterlauf auf dem Großen Kabinett zu Grambusch weilte, war er wunderlich geworden und erkannte zu Zeiten nicht einmal seine Frau und seinen Sohn. Seiner Tochter, dem Säugling der bei Mittagsmahl in den Fellen vor dem Kamin gelegen hatte, hatte er noch kein einziges Mal Beachtung geschenkt. Irgendetwas musste im Süden vorgefallen sein, dass dem alten Patriarchen seine Kraft und den Lebensmut geraubt hatte.
Angefüllt mit diesen Geschichten war Gawain dann zu Bett gegangen. Seine Bettstatt war groß genug für zwei und hatte gar einen Himmel. Griselda hatte ihm verraten, dass dies das Traviagemach eines Großneffen des alten Junkers und dessen Frau gewesen war, bevor diese vor einigen Götterläufen bei einem Unfall von der Burgmauer hinab in den Tod gestürzt waren. Die strohgefüllte Matratze war lange nicht mehr ausgetauscht worden und roch leicht nach Schimmel. Decken bekam der Gast dagegen reichlich, wenn die meisten auch von Motten angefressen waren. Insgesamt schienen Gawain die vielen Zimmer der Burg für deutlich mehr Bewohner ausgelegt zu sein, doch standen sie alle verlassen und kalter Wind heulte durch manch leeres Fenster. Mit dem beunruhigenden Gedanken an die Geister der Toten schlief der Nebachote schließlich irgendwann ein.
Ein spitzer Schrei ließ Gawain aus seinem unruhigen Schlaf aufschrecken. Hastig sprang er in seine Stiefel. Einen Moment suchte er nach seinem Hemd, doch dann schnappte Gawain sich nur sein Schwert und stürmte mit freiem Oberkörper aus dem kalten Zimmer auf den eisigen Flur. In dem dunklen Gang stieß er beinahe mit Marbert zusammen, der aus der Küche kommend zum Palas hinübereilte.
"Hoher Herr? Kommt schnell! Es kam aus den Gemächern der Herrschaften!" Atemlos hechtete der Knecht weiter. "Geben die Götter...das keine Harpyien...eingefallen sind." Keine Minute später waren sie an der schweren Eichentür angelangt hinter dem sich das Schlafgemach des Junkers befand. Die Tür war verriegelt und außer dem Wimmern eines Kindes war kein Laut zu hören.
"Euär Wohlgeborän? Ist alläs in Ordnung?" Gawain schlug kräftig mit der Faust gegen die Tür und rüttelte an der Klinke. "Euär Wohlgeborän!" Die Augenblicke verstrichen und im Inneren des Zimmers schien sich nichts zu rühren. Der Nebachote wollte gerade anfangen dem harten Holz mit seinem Schwert zu Leibe zu rücken, als der Riegel deutlich hörbar fortgeschoben wurde und die Tür nach innen aufschwang.
"Tretet ein." Edala sprach leise, ohne dabei zu flüstern. Sie war im dünnen Nachgewand und hatte sich ein großes Fell gegen die Kälte über die Schultern geworfen. An ihren Beinen klammerte sich der kleine Gumbald, offensichtlich sehr verstört, und schluchzte leise vor sich hin.
"Was ist dänn passiert." Gawain sah sich im Raum um. Zwei kleine Öllämpchen waren alles was den Raum im Moment beleuchtete und so dauerte es einen Moment, bis er die reglose Gestalt des Junkers zwischen den Fellen auf dem Bett entdeckte.
"Golgari ist gekommen und wieder gegangen und hat die Seele meines Gemahl mit sich genommen." Die Stimme der jungen Frau klang sehr gefasst, fast unterkühlt. "Marbert, sei so gut und hole Griselda. Die Kinder sollen den Rest der Nacht bei euch in der Küche schlafen. Danach wirst du deinem Herren einen letzten Dienst erweisen und ihn hinunter in die Gewölbe bringen. Dort wird sein Körper ruhen bis Herr Firun den Boronsanger wieder aus seinem eisigen Griff entlässt und wir ihn angemessen begraben können. Ritter Gawain," wand sie sich an den noch immer mit gezogenem Schwerte erstarrten Nebachoten zu, "bitte habt die Güte und geht Marbert zur Hand. Mein Gemahl nahm euch in Travias Namen in seiner Halle auf, nun seid ihm bitte in Borons Namen zu Diensten."
"Natierlich Hohä Damä." Der Ritter der Mark steckte eilig das Schwert weg und ging zum Bett hinüber, während der Knecht eilig die Treppen wieder hinunter lief um seine Frau zu holen. Der Junker lag mit weit aufgerissenen Augen da, das Gesicht erstarrt zu einer Grimasse des Schmerzes. "Was ist dänn ieberhaupt passiert?"
"Der Schlag hat ihn getroffen wie mir scheint." Wieder war Edalas Stimme sachlich und kühl. "Er war nicht mehr jung und in den letzten Monden hat sein Geist ihn mehr und mehr verlassen. So gesehen war es wahrhaft gnädig vom Herrn Boron ihn nun zu sich zu holen." Vorsichtig löste sie sich aus dem ängstlichen Griff ihres Sohnes und ging zu einer schweren alten Wäschetruhe neben dem Bett. Sie wuchtete den massigen Deckel hoch und holte nach wenigen Augenblicken ein großes Laken hervor. Als sie zu Gawain aufblickte, der noch immer halbnackt in dem kalten Zimmer stand und wartete, zögerte sie nur kurz und griff dann ein weiteres Mal in die Truhe. „Ritter Gawain, bitte nehmt dies hier.“ In ihrer Stimme schwang ein Hauch fürsorglicher Wärme mit. „Die Herrin Travia wird es nicht gerne sehen, wenn ich meinen Gast erfrieren lasse.“ Mit diesen Worten reichte sie dem Nebachoten einen schweren Fellmantel, dem man auf den ersten Blick ansah, dass er zwar mit wenig handwirklichem Geschick, dafür aber umso gewissenhafter genäht worden war.
„Seid bedankt, Euär Wohlgeborän.“ Gawain war nicht entgangen, dass die neue Herrin der Burg soeben sein Gastrecht erneuert hatte. Sie würde ihn also nicht postwendend zurück in den Schnee schicken, was ihn sehr erleichterte.
Edala breitet das Tuch sorgfältig neben ihrem toten Gemahl und bedeutete dem Ritter dann, den noch warmen Leichnam darauf zu rollen. Die fiel Gawain trotz der störenden Felle recht leicht, da der Junker in den letzten Monden zunehmender geistiger Umnachtung rapide abgemagert war. Gerade als sie die Decke über Bogumil zugeschlagen hatten, kam Marbert mit seiner Frau zurück. Die Magd ging sogleich zu dem verängstigt Gumbald, der noch immer wimmernd in einer Ecke am Kamin stand.
„Griselda, bring Gumbald in die Küche. Sorge dafür, dass der Junge noch etwas isst und dann bleibe im Schlaf bei ihm. Ich nehme Arwen mit hinunter.“ Die Magd zögerte keinen Moment der mit harter Stimme gegebenen Anweisung zu folgen und Gumbald ging mit verstörtem Blick aber ohne Widerwillen mit ihr. „Marbert, wir sind soweit. Der Junker kann hinunter ins Gewölbe. Ritter Gawain wird dir dabei behilflich sein. Edler Herr“, wand sie sich an den Letztgenannten. Ihr Befehlston verschwand und ihre eben noch harten Züge wurden vor kaum verhohlener Sorge deutlich weicher. „Ich würde es begrüßen, wenn Ihr den Rest des Winters auf Burg Keilholtz bleiben würdet. Marbert ist kein Krieger und wie ihr seht, sind hier sonst nur noch zwei schwache Weiber und zwei kleine Kinder, die weder sich noch die Mauern gegen Schwarzpelze oder anderes Getier verteidigen können. Im Frühjahr werde ich wohl beim Baron um ein paar Soldaten bitten müssen, doch bis dahin wäre Euer starker Schwertarm mehr als willkommen. Bitte denkt darüber nach und sagt mir morgen wie Ihr Euch entschieden habt.“
Nach diesen Worten ging sie zur Wiege und hob das schlafende Mädchen mitsamt seiner Decken und Felle heraus. Sie drückte das kleine Bündel behutsam an sich und schritt nach einem letzten ausdruckslosen Blick auf den eingewickelten Leichnam des Junkers zur Tür hinaus.