Geschichten:Korwin von - Zwingstein vom weißen Raben
1. Hesinde Burg Zwingstein Zur frühen Mittagstunde
Zuerst sah sie ihn sich sehr genau an, dabei sprach sie mit ihm: “Herr von Orkenwall, ich bin Nurinai ni Rían. Meine Schwester ist Reichsritterin zu Praiosborn. Gewiss erinnert Ihr Euch. Ihr wurdet in der Brache verwundet. Ich werde nach Euch sehen.” Er war fiebrig, kalter Schweiß stand auf seiner Stirn, dabei blass und ohne Bewusstsein war er auch. Und auch wenn die Geweihte das sichtlich sorgte, so versuchte sie Konnar aufzumuntern: “Meine Schwester befand sich in einem ähnlichen Zustand.” Sie nickte und entschied: “Wir machen ihm Wickel mit Donf, die werden das Fieber senken.” Erst dann wandte sie sich seinem Bein zu, löste vorsichtig den Verband und noch bevor sie die Wunde überhaupt sah, konnte sie sie riechen. Faulig roch sie, geradezu verwesend. Da wusste Nurinai, dass es ernster war, als sie gedacht hätte, denn ein gutes Zeichen war dies freilich nicht. Dann hatte sie den Verband gelöst. Die Wunde war nicht nur stark entzündet, sondern sie hatte sich sich kreisrund, dort wo der Stachel eingedrungen zu sein schien, schwarz verfärbt. Und jetzt, da der Verband entfernt war, stank sie noch viel erbärmlicher. Scharf sog die Geweihte die Luft ein: “Nun, mein Herr. Ich muss Euch sagen, es ist ernst, was Ihr ja bereits wisst.” Sie hielt einen Moment inne. “Wir müssen dringend das Fieber senken und die Entzündung bekämpfen. Besonders sorgt mich jedoch, die Wunde selbst. Dies Schwärze…” Sie deutet auf die Wunde, ohne sie dabei anzufassen. “... ist ganz und gar nicht gut. Wenn wir das nicht aufhalten können, wird er sein Bein verlieren, vielleicht sogar sein Leben.” Nurinai wirkte ernst. “Wir brauchen heißes Wasser. Die Wunde muss gereinigt werden.” Sie holte den Donf aus ihrer Tasche und drückte ihn Konnar in die Hand: “Veranlasst bitte, dass man daraus einen starken Sud kocht. Er wird gegen das Fieber helfen.” Hoffte sie zumindest. Sicher konnte sie sich da nicht sein. “Und der Stachel, der in seinem Bein steckte, konnte Ihr ihn gänzlich entfernen? Kann ich ihn mir ansehen?”
Konnar umklammerte den Bündel Donf mit seinen riesigen Pranken und machte stehenden Fußes kehrt. "Jawohl ihrer Gnaden. Ich spurte mich." Die Anspannung von Korwins Begleitern war zum Zerreißen. Die Schuld über den Zustand ihres Freundes und Begleiters stand ihnen förmlich ins Gesicht geschrieben. Balsox ging flux zu dem Tisch und kramte in den Verbänden. Tatsächlich hatte er den Stachel aufgehoben. In den Augen der Geweihten vermutlich das einzige was er wohl richtig gemacht zu haben scheint. Er betrachtete den Stachel. Die Spitze war tiefschwarz, ein Schwarz was er so noch nicht gesehen hatte und so wie er sich die tiefsten Tiefen eines Drachenhortes vorstellte. Er wirkte als wäre er aus mehreren Schichten, gewachsen wie ein Baum. Da traf es ihn wie ein Blitz, ein winziges Stück, dünn wie ein Haar, etwa groß wie ein Fingernagel. Sein Atem stockte. Er reichte der jungen Geweihten den Stachel. "Seht, Peraine hilf, ich glaube es ist etwas abgesplittert."
“Dann steckt wohl noch etwas in der Wunde”, vermutete die Geweihte, “Das erklärt das Fieber und auch die Entzündung.” Sie nickte beschwichtigend und erklärter mit sanfter Stimme: “Ihr habt alles richtig gemacht und Euch nichts vorzuwerfen. Wir werden Eurem Herrn nun helfen. Der Stachel muss heraus. Und dann wird es ihm besser gehen. Ganz bald.” Sie schenkte ihrem Gegenüber ein aufmunterndes Lächeln. “Wir werden warten, bis euer Freund zurückgekehrt ist.” Und während sie aus ihrer Tasche Fläschchen und Tiegelchen herausnahm und sie auf einem kleinen Tischchen aufreihte, zusammen mit einer kleinen Stoffrolle, fragte sie: “Sagt, der Herr von Orkenwall, hat er in der Brache vielleicht einen Traum oder eine Erscheinung, vielleicht sogar eine Vision?” Sie packte Tücher und Verbände aus. “Es gibt einen bestimmten Grund, warum ich danach frage. Ich sagte Eurem Freund bereits, dass meiner werten Schwester, der Reichsritterin zu Praiosborn, ähnliches widerfahren ist. Bei ihr begann alles mit einer Offenbarung des Herrn Boron. Daraufhin verlor sie das Bewusstsein und erlangte es mehrere Tage nicht wieder. Sie hatte hohes Fieber und - so wie Euer Herr - sprach wirren Unsinn. Ist Euch da etwas bekannt?”
"Er war sehr still seit ihn von Vairnigen aus der Brache gerettet hat. Und der Herr deute so etwas an. Er sagte er hätte ihn an einen Baum gelehnt gefunden, mit einer Person sprechend, die jedoch nicht da war. Ich vermag jedoch nicht zu beurteilen was sich zugetragen hat. Dieser verfluchten Gegend traue ich alles zu."
Er wandte sich um, ging zum Kamin und legte ein paar kleine Scheite nach und sprach in Richtung Wand. "Ich bitte euch und bete zum Angrosch und dem Schweigsamen, das sie Korwin zu retten vermögen."
Zur gleichen Zeit stand Konnar in der zwingsteiner Küche bei der Magd. "Seid ihr euch sicher in dem was ihr tut gute Frau? Ein Leben hängt davon ab." Die Magd warf ihm einen bösen aber besänftigenden Blick zu. "Ich bin gewiss keine Hexe, aber einen Sud vermag ich noch zu kochen mein barbarischer Freund. Gebt mir die Tonschale dort im Regal." Und sie deutete in Richtung der Wand. Konnar beeilte sich und reichte ihr die Schale. "Eilt euch, es sollte nicht zu kalt werden. Und schmeißt nichts auf den Boden."
“Mein Herr, die Götter werden Orkenwall beistehen. Wir werden zu ihnen beten. Zum Herrn Boron und auch zur Herrin Etilia. Sie ist nicht nur seine Gemahlin, sondern auch Schutzheilige der Hoffnung. Und es ist die Hoffnung, die wir nicht aufgeben dürfen...” In diesem Moment betrat eine Magd das Zimmer und brachte die Schale heißes Wasser. Konnar hatte sie im Schlepptau. Mit einem freundlichen Nicken bedankte sich die Geweihte und die Magd verschwand wieder. “Kommt”, rief sie nun Balsox und Konnar zu sich, “Wir müssen den Rest des Stachels finden und entfernen, nur dann wird Euer Herr genesen können. Doch zuvor werden wir zu den Göttern beten.” Dazu trat sie an den Bewusstlosen heran, tauchte ihre Finger in Salböl und hielt sie über seine Stirn: “Ewiger, wir bitten Dich: Beschütze Korwin von Orkenwall, halte schützend Deine Hände über ihn und führe ihn in unsere Mitte zurück, auf dass er erst dann zu Dir gehe, wenn seine Zeit gekommen und Du Golgari bereits ausgesandt hast.” Sie hielt einen Moment inne, Konnar und Balsox schlossen die Augen. Sie spürten den kühlen Windhauch der durchs Fenster zog. Es war als hörten sie ein leises Wispern des Windes. “Heilige Etilia, steht uns bei, schenke uns Hoffnung, lasse uns nicht verzagen und schütze auch Du Korwinn von Orkenwall. Darum bitten wir Dich.” Dann begann sie schweigend die Stirn des Reichsritters zu salben und stimmte ein stilles Gebet an: ‘Herr über Tod und Schlaf. Steh uns bei. Halte uns und führe uns. Und schenkte ihm Schlaf, auf dass er genese und bald wieder zu uns zurückkehre, so seine Zeit noch nicht gekommen ist.’ Sie schwieg noch eine geraume Zeit. Ließ die Stille auf sich wirken. Dann lächelte sie Korwins Begleiter an: “Wir können beginnen.”