Geschichten:Krähenfutter

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Burg Oberhartsteen, Mitte Travia 1033 BF


Schwer hingen die Wolken über dem Land, schwere Regentropfen prasselten auf den menschenleeren Burghof, über den manchmal ein Knecht huschte, eine Ölplane zum Schutz vor dem Nass über den Kopf haltend. Bäche braunen, brackigen Wassers flossen den steilen Pfad zur Burg hinab. An seinem schweren Schreibtisch stand der Burgherr und überflog mit ernster Miene erneut die Zeilen des borongefällig knapp gehaltenen Briefes, den er vor wenigen Tagen erhalten hatte. Ein Klopfen an der Tür ließ ihn in seiner Lektüre innehalten.

„Herein!“

Der grün-weiß livrierte Diener betrat mit einer tiefen Verbeugung das Zimmer.

„Euer Hochwohlgeboren, die Gäste sind eingetroffen.“

„Gut. Er führe sie hinein. Er möge uns dann alleine lassen.“

„Ganz wie Seine Hochwohlgeboren wünscht.“

Der Diener verschwand und kehrte nach kurzer Zeit in Begleitung einer hageren Frau in orangenen Gewändern zurück. Ein Lächeln der Freude machte sich in seinem Gesicht breit und er schritt mit offenen Armen auf die sich sichtlich unbehaglich fühlende Frau zu.

„Meine Teure! Ich kann gar nicht sagen, wie sehr es mich freut, dass du meiner Bitte und Einladung gefolgt bist. Bitte verzeih mir, dass ich mich in letzter Zeit nur so wenig habe um dich kümmern können.“

„Luidor“, antwortete die Mittvierzigerin mit einem verlegenen Lächeln, „da gibt es nichts zu entschuldigen. Was kann eine einfache Ordensfrau schon verlangen von einem Mann, dessen ganze Kraft sich auf die Rückkehr seiner Familie zu ihrer ihr gebührenden Ehre konzentriert. Es kommt mir nur die Aufmerksamkeit zu, die mir gebührt.“

„Nein, sag so etwas nicht. Es sind nur diese schlimmen Zeiten, die mir die Zeit rauben, mich um deinen stets so weisen und hilfreichen Ratschlag zu kümmern. Die Ereignisse überschlagen sich, ganz so wie du es mir einst vorhergesagt hattest. Aber nun brauche ich vor allem anderen deine Hilfe.“

„Wie immer werde ich versuchen zu tun, was ich mit meinen kleinen Fähigkeiten in der Lage bin.“

Ein erneutes Klopfen unterbrach das innige Gespräch und wieder öffnete der Lakai die Tür. In seiner Begleitung betrat ein großer, mürrisch blickender Mann mit leicht abgetragenem Wams das Zimmer. Luidors Miene wurde ernst.

„Die Zwölfe zum Gruß, Junker von Finsterstein.“

Der Angesprochene presste die Lippen zusammen und kniff die Augen zu engen Schlitzen zusammen. „Mein Graf, erlaubt mir mich für Eure großmütige Einladung zu bedanken. Was macht das Traviamuttchen hier, wenn ich fragen darf?“

Unberührt entgegnete Luidor: „Schwester Hesine ist auf meinen ausdrücklichen Wunsch hier und soll sich gemeinsam mit uns um Euer Problem kümmern, welches damit auch das meine ist.“

„Problem? Was denn für’n Problem? Etwa, dass ich mich wie ein räudiger Hund verstecken muss und alle Welt mich für einen feigen Mörder hält? Dass mich dieser schmierige Darpate von Mersingen versucht festzunageln? Ha! Das sind keine Probleme, die mich etwas scheren! Ich bin schon mit ganz anderen Kerlen fertig geworden, da müsst Ihr Euch keine Sorgen machen, Hochwohlgeboren. Wirklich nicht.“

„Nun, ich sehe dies ein wenig anders, wie Ihr Euch sicher denken könnt, Junker“, entgegnete Luidor gelassen.

„Klar. Sonst hättet Ihr mich ja nicht aus dem Busch getrommelt und in einer verhangenen Kutsche zu Euch in den Schlund gekarrt, verzeiht meine Worte. Aber ehrlich, was hab ich denn falsch gemacht? Ist doch wunderbar für Euch gelaufen, dass ich das Boronschnittchen vor dem Erbsenzähler aus Feidewald gerettet habe. Sollte man ’ne Tradition draus machen, dass man die Braut vor ihrer Hochzeit entführt, damit sie keinen Schaden nimmt.“

„Junker, ich bin Euch natürlich für Euren Eifer dankbar und weiß einen treuen Vasallen zu schätzen, der seinem Herren unbedingt zu Diensten sein will. Aber auch wenn ich der vereitelten Hochzeit keine Träne nachweine, so seit Ihr doch zu weit gegangen eine unschuldige Person, eine Jungfer aus einem hochadligen Hause, mit welchem wir keine Fehde führen, zu entführen und ihr Leben in Gefahr zu bringen.“ Luidors Stimme blieb sanft und freundlich, wenn auch bestimmt.

„Manchmal muss man bereit sein, Opfer zu bringen, um ein höheres Ziel zu erreichen“, entgegnete der Junker mit vorsichtigem Trotz. Es gefiel ihm sichtlich nicht, wie ein kleiner Junge belehrt zu werden.

„Ein echter Ritter sollte zu jeder Zeit über die Verhältnismäßigkeit...“, setzte Luidor an, wurde aber scharf von Anselm unterbrochen.

„Wollt Ihr damit sagen, ich sei kein echter Ritter? Auch wenn Ihr mein Graf seid und ich Euch die Treue geschworen habe, so warne ich Euch doch!“

„Aber, aber, meine Herren!“

Schwester Hesine hatte schweigend dem Disput zwischen den beiden gelauscht und trat nun einen Schritt nach vorne, die Arme beschwichtigend erhoben.

„Niemand zweifelt an Eurer Aufrichtigkeit, Junker von Finsterstein, am wenigstens wohl Graf Luidor. Ich sehe, Ihr seid ein impulsiver Mensch, aber ich sehe auch, ihr tragt Euer Herz am rechten Fleck. Was geschehen ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, aber Ihr könnt verhindern, dass sich die Sache zum Schlimmeren wendet. Ihr habt die Ehre der Familie Mersingen verletzt, und aus verletztem Ehrgefühl entwächst nur selten etwas Gutes, sondern meistens weitere Verletzungen, Hass und Tod. Wenn Ihr als aufrechter Ritter für Eure Taten einsteht, wahre Sühne zeigt und bereit seid, die angemessenen Konsequenzen zu tragen, dann könnt Ihr verhindern, dass eine Fehde zwischen den beiden Häusern Hartsteen und Mersingen aufbricht, die nur wieder weitere Menschenleben kosten würde. Nehmt Euer Schicksal im Vertrauen auf die Götter in die Hand, und sühnt Eure Tat. Wenn Ihr es erlaubt, dann werde ich Euch begleiten und unter meinen persönlichen Schutz stellen.“

Die beiden Männer schauten die zierliche Ordensschwester erstaunt an. In Anselms Gesicht arbeitete es, sichtlich hatten ihn die Worte der Traviaschwester bewegt, aber etwas in ihm schien gegen seinen Willen anzukämpfen. Der raubeinige Ritter, der in den letzten Jahren keinerlei Skrupel gehabt hatte sich am Eigentum der Bauern und Städter der südlichen Wildermark zu bereichern und den man nördlich des Dergels furchtvoll als Raubritter vom Finsterstein genannt hatte, zeigte Unsicherheit.

„Junker Anselm, es ist in Eurer Hand, die Familienehre der Gnisterholms wieder herzustellen“, sagte der Graf von Hartsteen mit einer kühlen Stimme.

Einen Moment hielt Anselm inne, dann nickte er. „Ich habe immer mein Schicksal in den eigenen Händen gehalten und ich bin es leid mich wie ein Tier verkriechen zu müssen. Euer Gnaden, ich begebe mich in Eure Hände und vertraue auf Eure Hilfe.“

„Und ich werde Euch nicht enttäuschen“, erwiderte die Ordensschwester feierlich.

Beim Verlassen des Zimmers dankte der Graf von Hartsteen der Schwester Travias. Hesine von Mersingen drehte sich um und schaute ihrem früheren Ehemann kühl in die Augen.

„Ich tue dies nicht für Euch. Ich tue es für meine Familie.“

Ohne ein weiteres Wort zu sagen oder die Antwort des Hartsteeners abzuwarten, folgte sie Anselm von Gnisterholm.