Geschichten:Kressenburger Stadtgeflüster - Firuns Grimm
Firuns Grimm
Die Kressenburg, Firun 1034 BF
Phexian saß über das alte Rechnungsbuch gebeugt und raufte sich die ergrauten Haare. Eine Geste der wachsenden Sorge, die er sich nur gestattete, wenn er sicher war, dass ihn niemand beobachtete. Es musste ja keiner wissen, dass auch dem selbstsicheren Vogt von Kressenburg ab und an die Probleme über den Kopf zu wachsen schienen. Solange die Menschen und Zwerge darauf vertrauen konnten, dass er alles richten würde, solange trugen sie die Last der täglichen Prüfungen leichter und leisteten bessere Arbeit. Nichtsdestotrotz hatte der Kieselholmer schwer an den Nachrichten zu nagen, die ihn erreichten.
Nach der verregneten Ernte war es ihm gelungen, mit Gerbald von Hexenhain einen Vertrag über die Lieferung günstigen Getreides abzuschließen. Die für Kressenburg so verheerenden Regenfälle, hatten sich westlich der Breite soweit abgeschwächt, dass sie dort der erwartete segensreiche Guss nach heißen Wochen gewesen waren. Hier war es ihm gelungen dem Svellter ein Schnippchen zu schlagen, hatte er doch über einen Freund aus Greifenfurt erfahren, dass der gierige Ratsherr die gute Hexenhainer Ernte komplett hatte aufkaufen wollen. So hatte der heftige Herbstregen Kressenburg zwar noch immer eine Stange Geld gekostet, aber wenigstens hatte er sie nicht gänzlich ruiniert.
Allerdings sah es nun so aus, als wollte Herr Firun vollenden, was seinem Bruder Efferd nicht gelungen war. Schon seit Ende Boron hatte der frostige Atem des Winters Kressenburg fest im Griff und ohne ein Kohlebecken hätte es Phexian keine Viertelstunde in dem zugigen Turmzimmer ausgehalten. Die Bäche waren längst mit einer dicken Eisschicht überzogen, die selbst voll beladene Lastkarren trug, und alle Brunnen, ja selbst die Fischteiche in Kieselbronn waren bis auf den Grund zugefroren. In einigen Weilern waren bereits Menschen erfroren, vor allem Alte und die kleinsten Kinder. ‚Die Erfahrung und die Zukunft der Baronie’, wie Phexian sich in einem traurigen Moment dachte.
Schlimmer noch erging es aber dem Vieh. In Praiostann war mehr als die Hälfte der Schafe erfroren. Zwar wünschte der alte Vogt den erklärten Widersachern seiner Familie selten etwas Gutes, aber dieser Verlust schwächte die gesamte Wirtschaft der Baronie ungemein. Auch auf der Kressenburg war man von der plötzlichen Kälte überrascht worden, so dass in einer Nacht sämtliche Hühner der Burg auf ihren Stangen erfroren waren. Aus allen Dörfern hatte er solche Meldungen erhalten, mal mehr, mal weniger schlimm. Vor dem Winter hatten die Bauern wie immer alle überzähligen und schwachen Tiere geschlachtet, von denen sie wussten, dass sie sie nicht über den Winter bringen würden. Doch nun starben auch die jungen und gesunden Tiere, die im kommenden Frühjahr für neue Kälber, Ferkel und Lämmer hatten sorgen sollen.
Das füllte für den Moment die Speisekammern und versprach ein fettes Frühjahr, doch Phexian graute vor dem nächsten Herbst, wenn es kaum Schlachtvieh geben würde. Man würde Schlachtvieh dazukaufen müssen, mindestens in diesem und wohl auch im nächsten Jahr. Es würde ein paar Götterläufe dauern, bis die eigenen Bestände sich erholt hätten, und er konnte nur hoffen, in Hexenhain oder bei einem der anderen Nachbarn einen ähnlich guten Handel wie mit dem Getreide abschließen zu können. Doch damit wollte der vorsichtige Vogt lieber nicht rechnen und so suchte er bereits jetzt nach Möglichkeiten, die Ersparnisse der Baronie über den Sommer aufzustocken. Dummerweise wartete im Praios noch immer das Traviafest des Barons, das man ebenfalls in einem würdigen Rahmen begehen musste, wollte man die Nachbarn, auf die man jetzt angewiesen war, nicht verprellen.
Ein halbes Stundenglas später war Phexian noch immer zu keiner Lösung gekommen. So ungern er es einsah, aber Gold ließ sich nun einmal nicht von Alveran herabzaubern. Ein stilles Gebet zu Phex sprechend legte er die Schreibfeder beiseite und schloss für einen Moment die müden Augen. Ein lautes Pochen an der Tür, einem Hammer gleich, schreckte ihn auf.
„Ja bitte?“
Sofort wurde geöffnet,. Der Vogt erkannte sogleich, warum das Klopfen die massive Tür zum Wanken gebracht hatte. Drei stämmige Zwerge traten in die Kammer, welche plötzlich viel kleiner erschien, und sammelten sich um das Feuer.
„Väterchen Durac, Euer Gnaden Angarimm, werter Angarosch.“ Müde fuhr sich der alte Mann mit der Hand über das Gesicht, bevor er eine einladende Geste zu den Hockern machte. „Was kann ich für euch tun?“
Durac setzte sich mit einem verschmitzten Lächeln, während seine Söhne mit verschlossenen Mienen neben ihm stehen blieben. „Die Frage ist nicht, was du für uns tun kannst, mein lieber Junge, sondern was wir für Kressenburg tun können.“