Geschichten:Krieger des Wassers - Nazmeyas Lächeln

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Auf See vor Mhanerhaven, 30. Rondra 1042 BF

Als Helmbrecht erwachte, fühlte er sich schon deutlich erholt, auch wenn er sich wohl nie an das ewige Schwanken des Bodens unter seinen Füßen und das Knarren der Takelung, wenn eine neue Böe in das Großsegel fuhr, gewöhnen würde. Der junge Ritter erhob sich umständlich aus der Hängematte und trat aus dem schummrigen Dunkel auf Deck hinaus. Die Praiosscheibe stand hoch am Himmel und zu seiner Überraschung segelte die ‚Tjelgos Bart’ schon nah an der Küste entlang. In einiger Entfernung konnte er sogar Mauern und Türme erahnen.

„Ah, hat es Marhiban gefallen, Euch endlich aus seinem Reich freizugeben, Sayid?“, rief ihn eine weibliche Stimme Achterdeck herab an, „Wir befürchteten schon fast, Ihr könntet den Visionen der geflügelten Mutter doch noch endgültig gefolgt sein.“

Helmbrecht drehte sich um und musste erneut blinzeln, nicht nur wegen der Sonne. Was für eine Maid! Nicht in seinen kühnsten Träumen hätte er gedacht, dass solch ein Wesen auf Deren wandeln könnte. Sie kam die schmale Stiege herunter und ihr Anblick verschlug ihm schier die Sprache, was noch am wenigsten an ihrer vornehmen Reisekleidung und dem kostbaren Schmuck lag. Wenn je ein Meister eine Vorlage für ein Bildnis der Göttin Rahja – oder Radscha, wie sie hier sagten – benötigte, hier würde er ohne Zweifel fündig. Die Welt um ihn, die emsige Geschäftigkeit der Matrosen in Vorbereitung auf das Ende der Fahrt, verschwand hinter einem Schleier.

„Mitnichten. So schnell lässt sich ein Hartsteener Ritter nicht unterkriegen“, gab Helmbrecht lahm zurück, dem schlagartig bewusst wurde, in was für unangemessener Kleidung für einen Ritter er eigentlich steckte, während seine eigene noch trocknete.

„Das freut mich“, sie lächelte ihm zu, ob ehrlich oder in leichtem Spott, vermochte er nicht zu erkennen.

„Ich...ich möchte...ich möchte mich bei Euch bedanken“, begann der junge Hartsteener zu stottern, „Ich weiß nicht, wie lange ich in der See treibend noch durchgehalten hätte und es kommt mir immer noch wie ein Wunder vor, dass Ihr mich in der Nacht im Wasser entdecktet. Dafür stehe ich tief in Eurer Schuld. Wenn ich Euch in irgendeiner Sache behilflich oder zu Diensten sein kann, lasst es mich wissen. Aber vor allem“, nahm er sich endlich zusammen, „möchte ich gerne wissen, wem ich mein Leben verdanke.“

Sie lächelte erneut und entblößte dabei zwei Reihen Zähne, makellos wie eine Perlenkette: „Meiner Mutter gefiel es, mich Nazmeya zu nennen. Nazmeya ay Bandur.“

„Domna Nazmeya“, Helmbrecht merkte, dass seine Stimme heiser wurde, „Ihr könnt sicher sein, ich werde nie vergessen, was Ihr für mich getan habt.“

„Dankt nicht mir allein. Meine Schwester Yaira hat Euch in den Karten gesehen und gestern Abend darauf bestanden, dass wir Ausschau nach Euch halten, Sayid. Doch sagt mir: Was verschlägt jemand wie Euch aus Rauls Reich hierher?“

„Ich bin auf der Suche nach jemandem.“

„Oh. Freund oder Feind – oder gar die Liebe?“, ihr kurzes glockenhelles Lachen hallte in den Ohren des Steinfelders wider, der sich irgendwie ertappt fühlte.

„Er heißt Hilbert von Hartsteen und ist ein Verwandter meines Dienstherrn. Ich hatte gehofft, ihn in Khunchom anzutreffen, aber wie ich feststellen musste, war er schon längst nicht mehr da. Immerhin habe ich eine Spur nach ihm ausfindig machen können.“

Helmbrecht begann, von seinen bisherigen Erlebnissen auf der Reise zu erzählen, und taute dabei immer mehr auf. Nazmeya schien ihm als eine aufmerksame Zuhörerin, so dass er schließlich sogar auf den Wirbel zu sprechen kam, den die Schriften des ehemaligen Reichsrichters verursacht hatten. Doch in dem Moment wurde ihm bewusst, dass er vielleicht doch zu viel gesagt hatte und er wechselte das Thema: „Jetzt habe ich so viel von mir erzählt, aber was ist mit Euch? Mit Verlaub, Ihr seht nicht aus wie eine bornische Krämerin. Was hat Euch auf dieses Schiff geführt, Domna Nazmeya?“

„Das Versprechen, dass ich einem guten Freund gab. Wie unsere Reise von Mhanerhaven aus weitergeht, wissen nur die Karten.“

„Die Karten? Ihr spracht vorhin schon einmal davon, aber das verstehe ich nicht.“

„Nein? Dann kommt mit. Meine Schwester kann es Euch zeigen“, lud sie Helmbrecht ein und der folgte, stolpernd wie ein Narr, seiner neuen Bekanntschaft unter Deck zur einzigen richtigen Passagierkajüte an Bord.



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30. Ron 1042 BF spät am Mittag
Nazmeyas Lächeln
Tjelgos Bart


Kapitel 3

Das Kleine Rad
Autor: Steinfelde