Geschichten:Leomar und das Ende der Trollherrschaft in den Mittellanden
Conclusio: Leomar und das Ende der Trollherrschaft in den Mittellanden (978 BF verfasst von Hesindian Quandt)
Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes. Überall stößt der sehende Mensch auf Überreste einer Vergangenheit, die er nicht versteht und von der er nicht Teil ist. Die Ruinen von Burgen auf Bergkämmen rufen in einem Menschen kein existentielles Unbehagen hervor, denn er kennt Burgen als Stätten der Zuflucht und des höfischen Lebens.
Ein verwitterter Fels dagegen, an dem ein Unbedachter schulterzuckend vorübergehen mag, kann in einer aufnahmebereiten Seele Erschütterungen hervorrufen und seinen Verstand in den Wahnsinn treiben, wenn er die Oberfläche verlässt und die vielen Unstimmigkeiten eines solchen unscheinbaren Objektes erblickt. Der alltägliche Mensch bemerkt von der Physiognomie allen Werdens, seines eignen und dessen der lebendigen Welt rings um sich, nur den unmittelbar greifbaren Vordergrund. Dem Mineralogen dagegen kann es dann völlig unerklärlich sein, wie ein Basaltstein fern jedes Gebirges oder Vulkans in der Landschaft ohne gleichartigen Nachbarn existieren kann. Egal ob er von einem Troll oder einem Mensch, durch einem Erzelementar oder mit den bloßen Händen, an seine Stelle gebracht worden ist, seine Bewegung war Teil eines planenden und Kultur schaffenden Geistes, dessen Intention sich dem heutigen Beobachter nur in den seltensten Fällen eröffnet.
So hat ein jeder Reisender aus dem pulsierenden Gareth in Richtung der mächtigen Mauern der Löwenburg die unscheinbare Rabenbrücke überquert; vielen Menschen nur ein unscheinbares Objekt auf dem Reisewege, dessen bloße Existenz einen tumben Geist niemals ins Wanken bringen würde. Aber dem Kenner der Architektur, welcher anhand ganz offenkundiger Anhaltspunkte der Bauweise dem Steinobjekt leicht ablesen kann, dass die Zungen der Bauherren der Brücke weder Sprecher einer menschlichen Sprache, des Rogolan oder sogar des Trollischen gewesen sein können, wird der Hauch der Äonen streifen. Denn obgleich er die Funktion der simplen Steinbögen erkennen mag, denn zur Überquerung der Natter ist die Brücke wohl ohne Frage erbaut worden, er kennt die Erschaffer nicht und kann sich nicht sicher sein, dass die Trolle, welche von den Siedlern des fernen Bosparans aus dem silva garethensis vertrieben wurden, ihren Namen kannten. Der bescheidene Mensch hält ein und fragt sich, welche Spuren diese Herrscher der Lande noch hinterlassen haben mögen, deren Zweck und Dasein er nicht einmal erahnt. Denn auch wenn der Hochmut der wahre Herrscher unserer Epoche ist, unser Wissen ist klein und unser Wirken wie nichts auf dem Rücken der erschlagenen Gigantin, aus deren Blut und Fleisch das geschichtslose Sein erwächst.
Es ist daher ein übliches Vorgehen des einfachen Volkes, jene Stätten und Orte, an denen es Überreste vergangener Kulturleistungen, die unerklärbar und unglaublich erscheinen, auf die dunkle Vergangenheit der Trolle zu projizieren, über deren Wirken und Handeln nur noch in Mythen und Legenden berichtet wird. Oftmals ist es von großer Schwierigkeit den Kern bei einer solchen Mythe herauszuschälen und Verdichtung von tatsächlichem Geschehen zu trennen.
So berichten die Legenden des Rondra-Heiligen Leomar von dessen waffenlosen Kampf gegen drei Trollhäuptlinge und die Erschlagung eines Riesens in der Nähe von Gareth, welches einer anderen Legende zufolge durch den Flug eines Wunderspeeres des Belen-Horas, welcher sich selber auf Grund seiner Erfolge zum Gotte hatte ausrufen lassen, gegründet worden sei. Wenige Monde später, so berichten übereinstimmend mehrere Chronisten aus der Zeit der frühen Friedenskaiser, deren Schriften in Kuslik aufbewahrt werden, »stiegen herab von den Zacken die Trolle und sie erschlugen die Menschen in groszer Zahl, in Gareth aber hielten die von dem Wirken der Sterne beschworenen Ogres ein vieltägiges Gelage wonach von der Siedlung keine Seele mehr auf Dere weilte. Die Provinz Gareth ist seitdem zerschlagen und es lebt dort mehr nicht ein einziger Mensch, wo nur noch Trolle und Orken (1) herrschen«.
Es ist also ein geworfener Speer, der den Siedlern aus Bosparan ihren Weg weist und sie anweist an der Stelle, wo er in den Leib der Urgigantin eindringt, eine Stadt zu gründen, welche nur wenige Monde später von Unwesen zerstört wird. Es ist das Eindringen einer fremden Macht, von einem sich zum Gott ausgerufenen Kaiser angeführt, welcher von Seiten der Urbevölkerung des Landes gewaltiger Widerstand entgegengebracht wird, um am Ende zum völligen Untergang der eindringenden Bevölkerung zu führen. War es der Umstand, dass ein sterblicher Mensch die unglaubliche Vermessenheit zeigte, sich zu einem Gott erheben zu lassen, welcher dieses völlige Scheitern als eine gerechte Strafe der Götter provozierte? Oder war es vielmehr die starke Bindung der ursprünglichen Bevölkerung an das von ihr beherrschte Land, welches ihrem Waffenarm die nötige Kraft verleihen konnte, um die fremden Eindringlinge aus ihrem eigenen Land zu vertreiben? Die Chroniken machen darüber keine Aussage, es finden sich nur indirekte Antworten in den späteren Ereignissen, aber die Heiligenlegende des Leomars Drachenherz eröffnet dem wachen Verstand klare Anhaltspunkte, um dieses Rätsel zu lösen.
Das Auftreten des Heiligen Leomars in der Historie ist an zwei feste Daten geknüpft, welche eine natürliche Umrahmung der Geschichte Gareths während der Trollkriege zu liefern scheint. In den Chroniken von Nebachot wird berichtet, wie aus der Masse ihrer Feinde eine einzelne Person heraussticht, welche die Nebachoten als Leomar Drachenherz benennen, mit seinem legendären Schwert Siebenstreich in der Hand ein Held seines Volkes (2) den Sturm der Bosparaner auf ihre heilige Stadt anführend. Aus den Schriften des Belen-Horas ist bekannt, dass diese entscheidende Schlacht am Darpatbogen in das achte Jahr seiner Herrschaft und das zweite Jahr seiner Göttlichkeit fiel, also genau ein Jahr vor dem Fall der Wehrsiedlung Gareth. Als das zweite feste Datum findet sich das vierte Regierungsjahr des zweiten Seneb-Horas, etwa 860 Jahre vor dem Fall Bosparans, zwölf Götterläufe nach dem Fall Nebachots, als Leomar der von ihm zum Wagenrennen geforderten Göttin Rondra, welche die Bosparaner als tulamidische Gottheit und Schutzherrin von Nebachot nachweislich nicht verehrten, die ihm jedoch als geborener Tulamide sicherlich gut bekannt gewesen sein muss, unterlag und dennoch von ihr als würdiger Besitzer und Führer ihres Donnersturms anerkannt wurde. Der wichtigste Heilige der Rondra-Kirche findet also kurz vor und wenige Zeit nach der ersten Vernichtung Gareths prominente Erwähnung.
Von den aber wahrscheinlich viel wichtigeren Leistungen des Leomars, seinem Kampf mit den Trollhäuptlingen Lackel, Tolpatsch und Rabatz, sowie der Erschlagung eines dem Namen nach nicht weiter benannten Riesen in der Nähe Gareth, sind nur mehr Fragmente bekannt, die sich in der Zeit zu Volksmärchen verdichtet haben und die erst in der Rohalszeit überhaupt wieder als Legenden des Heiligen Leomars identifiziert werden konnten. Was der Volksmund lapidar als Sieg über drei Trolle mit heiteren Namen erzählt, kann nicht viel weniger sein als die Urkatastrophe, welche zum Ende der Herrschaft der Trolle über das Land, über dem sich der Mittwald ausgebreitet hatte, führen musste. Es ist den verschiedenen Chroniken der Friedenskaiser zu entnehmen, dass schon nach etwa 150 Jahren die bosparanischen Siedler an genau jener Stelle, wo die Ogres einen vernichtenden Sieg über die Menschen errungen hatten, Gareth sich zu einer bedeutenden Handelsstadt unter der Horaskrone entwickelt habe.
In einer ansonsten völlig abscheulichen, verwerflichen und götterlästerlichen Schrift(3) finden sich Hinweise auf den verlorenen Mythos der unterirdischen Trollfestung Ulschgaroth, in welcher der riesenhaften Troll Tharabasch der Sage nach die Wacht über einen Teil des Tridekarions ausübte. Von namenlosen Wahnsinn geschlagen kam er an die Oberfläche, fand über Ulschgaroth eine menschliche Siedlung um die Blutulme Argareth und wiegelte gemeinsam mit einer schlangenzüngigen Zauberin die Trolle gegen die Menschen auf. Starke Magie nutzend machte er sich die Ogres der umliegenden Gebirge Untertan und schickte sie gegen die Menschen, um sie ohne Ausnahme zu vernichten. Nachdem aber wenige Jahre später der Heilige Leomar die Schamanen der wichtigsten Trollstämme besiegt und getötet hatte, forderte er auch Tharabasch zum Kampf und erschlug den riesigen Troll. Der Verlust des geheimen Wissens der Schamanen löste das Band der Herrschaft der Trolle mit dem Land und erlaubte so erst den Menschen auch über diesen Landstrich zu herrschen.(4)
Parallelen zu den beiden bekannten volkstümlichen Legenden fallen sofort ins Auge, nur dass in diesem Mythos die beiden für sich allein stehenden Ereignisse durch ein verbindendes drittes Glied verbunden werden. Wieder ist es die Stelle, auf welcher sich heute die Metropole und Kaiserstadt Gareth erhebt, die durch übernatürliche Kräfte bezeichnet wird. Es ist dieses Mal nicht eine Aufforderung und Hinweisung auf einen bestimmten Ort, sondern die Auszeichnung eines bestimmten Fundaments, eine unbekannte Trollfestung mit einem in ihr verborgenen furchterregendem Schatz, welche die Menschensiedlung Gareth in den Mittelpunkt rückt. Der in der Tiefe hausende Troll Tharabasch war von den Göttern als würdiger Wächter über das wertvollste Gut ihres Erzfeindes erwählt worden, aber durch die Einwirkung dessen Macht dem Wahnsinn verfallen. Es scheint fast so, als ob ein schleichender Übergang der Herrschaft über den Ort im Zentrum des Kontinentes stattgefunden haben muss. Aus einem Gefängnis für einen Teil der Wesenssubstanz des namenlosen Gottes, in das er durch das Wirken seiner Gegner gefesselt war, die zu seiner Wacht ein exzellentes Exemplar genau jenes kulturschaffenden alten Volkes auserwählt hatten, das durch einen früheren Sündenfall, als die Trolle auf der Seite ihres Erzfeindes gegen die anderen Götter gekämpft hatten und unterlagen, den Göttern gegenüber eine besondere Verpflichtung hatte, entwickelte sich eine Stätte der Macht des Bösen, welche ihrerseits begann Einfluss auf die sie umgebende Welt zu nehmen.
Der Umstand, dass der riesige trollische Wächter ohne große Mühen aus der im Erdreich verborgenen Festung hinauf an die Oberfläche gelangen konnte, gibt den Hinweis darauf, dass eine permanente begehbare Verbindung einen beiderseitigen Zugang grundsätzlich ermöglichte. Da der Sieg der Götter über ihren Erzfeind bereits mehrere Äonen zurückgelegen hat, die Wacht über den Splitter des Tridekarions einem sterblichen Volk überantwortet wurde, liegt es nahe, dass für die wichtigste Aufgabe ihres Volkes aus den Reihen der Besten der Trolle, welche eben nicht die Häuptlinge sind, wie die Volksmärchen es annehmen, sondern die Trollschamanen(5), ein Nachfolgeritual die permanente Wacht über die verborgene Festung gewährleistete. Es liegt nahe anzunehmen, dass die für die Fesselung der Wesenssubstanz benötigte Kraft nicht allein aus der Trollfestung Ulschgaroth allein erwachsen ist, sondern durch besondere Trollstätten an der Oberfläche der Mittellanden.
Das Auftauchen sowohl der bosparanischen Siedler im allgemeinen wie auch des Rondra-Heiligen Leomar im speziellen deuten stark darauf hin, dass die beherrschende Kraft über das Land bereits stark geschwächt und die Herrschaft der Trolle ihren Zenit überschritten hatte. Noch während der sagenhaften Trollkriege, von denen die Historien der Zwerge zu erzählen wissen, werden die als Bergschrate bezeichneten Trolle als mächtige Verbündete der Zwerge gegen die Drachen erwähnt. Dagegen erscheinen die Überreste der Trolle, auf die die Bosparaner bei ihrem Zug in den Mittwald stoßen, wie klägliche und jämmerliche Überreste und Schatten ihrer früheren Macht. Ihre Schwäche findet kaum ein besseres Symbol in dem Hinweis der Volkslegende, dass der Heilige Leomar drei ihrer besten Schamanen mit den bloßen Händen besiegen konnte. Mit dem Ende der wichtigsten Schamanen und ihrer Stämme, welche die Geheimnisse der Herrschaft über das Land kannten und so den Einfluss des Bruchstücks des Tridekarions im Herzen Aventuriens in Bann hielten, entstand eine leere Stelle der Macht, welche die im Aufstieg befindlichen Menschen in ihren Besitz nahmen.
Wie anders soll man sich den sichtbaren Verfall der wichtigsten Trollstätten erklären, von denen aus die mächtigen Schrate einst ihre viele Jahrtausende alte Herrschaft ausüben konnten. Jene Orte, die noch heute als Steinkreise, Hünengräber oder Trollburgen in den Märchen des einfachen Volkes eine bedeutende Rolle spielen, waren immer auch Stätten der Herrschaft über das Land. Man findet daher wohl auch so viele Überreste der Trolle an genau jenen Orten, welche auch in unserer Zeit die Herrschaftssitze des Adels beherbergen. Unzählige Burgen wurden auf den Fundamenten von uralten Trollfestungen errichtet, von deren Existenz manchmal nur noch die gigantischen Steinbrocken der Fundamente Aufschluss geben. Es scheint fast, als ob die Bindung des Adels an das von ihnen beherrschte Land, nicht einem von den Zwölfen gegebenen Anspruch entstammte, sondern einfach weil sie die Plätze ihrer Vorgänger eingenommen haben, von denen sie nichts wissen und über die die Geschichte den Mantel des Vergessens geworfen worden ist.
- (1) Es sei ins Gedächtnis gerufen, dass mit »Orken« für viele Gelehrte Yaquiriens der damaligen Zeit ausnahmslos alle nichtmenschlichen Völker des Nordens bezeichnet worden wurden und es sich nachweislich um einen weitergefassteren Begriff handelte, als er in unserer heutigen Zeit verwendet wird, fasst doch der wenig beachtete Chronist Quintus von Kuslik in seiner Beschreibung der Provinz Gareth alle Völker wie Zwerge, Elfen und Goblins als »Orken« zusammen.
- (2) Leomar entstammt den Legenden zufolge aus der tulamidischen Stadt Baburin und soll von geringer Geburt gewesen sein. Es mag sich daher bei der historischen Person Leomar durchaus um einen abtrünnigen Söldner gehandelt haben, welcher am Anfang seiner kämpferischen Karriere im Sold der Feinde seines Mutterlandes gestanden hat.
- (3) Nachlass des verrückten Landroyans. In einem an einem sicheren Ort verborgenen Notizbuch notierten die Diener der Heiligen Noiona, welche mit der Seelsorge der verrückten Hartsteener Hesinde-Geweihten Landroyan beauftragt waren, verschiedene wunderliche Gedanken und aberwitzige Theorien ihres Patienten, welche seinen offenkundigen Wahnsinn bezeugen. Der Geweihte war nach dem Diebstahl der Hartsteener Grafenkrone verschwunden und erst nach einigen Jahren in völliger geistiger Umnachtung wieder aufgetaucht, blind nicht nur mit seinen Augen sondern auch mit seiner Seele. Die Aufzeichnungen des Wahnsinnigen müssen daher mit gebotener Vorsicht behandelt werden, allerdings sprechen einige Umstände, welche durch genauere Forschung noch bestätigt werden müssen, für die teilweise Korrektheit einzelner von ihm als »Urmythen« beschriebenen vergessener Geschichten wie die Mythen von Ulschgaroth und dem Geschwisterpaar Lapis und Arvum von Saljeth.
- (4) Es verwundert deswegen auch nur wenig, dass mit seinem Trollhammer eines der wichtigsten Reliquien dieses Heiligen in Gareth zu finden ist, der Stätte seines wichtigen Wirkens. Noch heute kann diese wahrhaft gigantische Waffe von Auserwählten bewundert werden, wenn auch nicht im Tempel zur letzten Wehr der Heiligen Ardare, sondern im Pentagontempel der Hesinde, dessen Erbauung in die Rohalszeit fällt.
- (5) Es steht anzunehmen, dass auch der in den Hartsteener Volksmärchen als guter Erdgeist beschriebene »Kahle Schirch«, nach dem auch die höchste Erhebung des Feidewaldes seinen Namen trägt, keinen einzelnen individuellen Troll bezeichnete, sondern den für die Herrschaft über diesen Teil des Mittwaldes verantwortlichen Trollschamanen.
◅ | Wie der Kahle Schirch den hartherzigen Grafen Hartsteen in eine Gnitze verwandelte |
|