Geschichten:Lisande und Leomar - Schicksalstag
Lisande und Leomar - Schicksalstag
4. Efferd 1045 BF, Tal der Kaiser, Nachmittags
Die Attacke der Goldenen Lanze hatte sie versprengt. Dem Angriff der schweren Reiterei der Kaiserlichen hatte sie einfach nicht standhalten können, auch wenn sie mit allem ritterlichen Mut gefochten hatte, den sie aufbringen konnte. Am Ende war ihr Pferd vor Panik mit ihr durchgegangen. Immerhin, es war auch seine erste Schlacht gewesen. Erst hier, am Rande eines lichten Wäldchens rund eine Meile entfernt vom Schlachtfeld, hatte Lisande es zum Halten bringen können. Der Kampfeslärm war selbst hier noch zu hören, wenn auch nur noch schwach.
Die junge Ritterin nahm sich einen Moment um zu verschnaufen und zu sich zu kommen. Ihr war klar, dass sie die Schlacht verloren hatten und dass sie mehr Glück gehabt hatte, als viele andere ihrer Waffengefährten, denn sie atmete noch. Die Verletzung die sie davongetragen hatten waren unbedeutend, wenn ihr grüner Wappenrock auch an ein paar Stellen vom Blut dunkel gefärbt war. Ihr Ross hatte auch nur eine oberflächliche Schmarre an der linken Hinterhand, wo der Speer des kaiserlichen Spießträgers entlanggeschabt war.
Näher kommender Hufschlag ließ Lisande aufschrecken und abwehrbereit hob sie das Schwert. Doch schnell erkannte sie, dass es ein einzelnes Tier war, das auf sie zukam, und der Reiter sah ähnlich zerschunden und demoralisiert aus wie sie.
"Leomar! Du bist dem Gemetzel also auch entkommen." Lisande lenkte ihr Pferd neben den Ankömmling, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Schildarm hielt.
"Ja. Irgendwie habe ich es vom Schlachtfeld geschafft. Mein treuer Gefährte hier hat daran sicherlich mehr Anteil als ich selbst." Dabei klopfte er seinem Pferd mit der gesunden Hand dankbar auf den Hals. "Mir scheint, mir hat die Lanze den Knochen samt dem Schild gespalten."
"Ist sonst noch jemand davongekommen? Oder sitzen unsere Gefährten schon alle an Rondras Tafel?" Lisande warf einen bangen Blick an Leomar vorbei den Hügel hinab und versuchte die Bewegungen der ineinander verkeilten Heere zu erkennen. In diesem Moment erscholl ein einzelner Hornstoß über dem Tal der Kaiser und das Klirren der Schwerter erstarb nach und nach.
"Viele sind gefallen. Selbst Myralde. Unsere Freundin hat sich auf der Suche nach Inspiration für ihr neues Heldengedicht zu weit nach vorn gewagt. Ich habe gesehen, wie sie von Pfeilen niedergestreckt wurde, kurz bevor der Blutige Ugo über uns hereinbrach." Mutlos sank sein Kinn auf die Brust und eine einzelne Träne rann ihm über die rechte Wange, als er den Blick wieder hob. "Aber manche kämpften noch. Mag sein, dass sie die Schlacht überstanden haben. Doch dann sind sie nun Gefangene der Kaiserlichen. Man wird sie mit Sicherheit des Hochverrats anklagen, genau wie unseren Prinzen."
Die junge Greifenfurterin schluckte schwer und nickte. Sie wusste, was dies für jeden Einzelnen von ihnen bedeuten konnte. Dann fasste sie einen Entschluss. Sie zog den Dolch, ritt an den nächsten Haselstrauch heran und schnitt zwei lange Zweige ab. Einen reichte sie Leomar, der sie fragend ansah.
"Unsere Freunde und unser Prinz sind in Gefangenschaft, und sie erwartet ein ungewisses Schicksal. Welche Ehre trügen wir in uns, ließen wir sie mit diesem Schicksal allein."
Der Kaisermärker Ritter straffte sich und nahm den Haselzweig in die kraftlose Linke, während er sein Pferd mit der Rechten zurück gen Schlachtfeld lenkte.
"Recht hast du, Lisande. Wir sind so viele Monde gemeinsam geritten und unserem Prinzen zu jeder Ruhmestat gefolgt. Da soll unsere Treue nicht in der Niederlage wanken. Sein Schicksal soll das unsrige sein."