Geschichten:Luringans Pfad - Zwischen Ritterehr und Vaterliebe
Ende Rondra 1044 BF, zur Mittagsstunde am Randes des Steinhuder Forstes
„Es ist ein großes Risiko“, meinte der Vairninger.
„Das ist mir bewusst“, gab Adhemar zu. „Dennoch können wir nicht ewig nur tatenlos davon laufen.“
„Die zwölfgöttlichen Kirchen in Kenntnis über die Vorgänge auf Burg Luring zu setzen, halte ich für einen richtigen ersten Schritt“, unterstützte Lechmin ihren Schützling bestimmt. „Beim Adel können wir nie ganz sicher sein wem wir vertrauen können, aber die Geweihtenschaft ist ein guter Anfang.“
„Aber wie wollen wir das anstellen. Wir können schlecht in die Stadt marschieren und es von der Tempeltreppe verkünden.“ Bardo blieb nach wie vor skeptisch.
„Wir dürfen wenn möglich überhaupt nicht auffallen“, mischte sich Ingmar geistesabwesend ein, während er dabei zusah, wie Elvena mit seiner Tochter Alruna unweit auf einem umgestürzten Baumstamm saß und Hoppe-Reiter spielte. Etwas Abseits übte Ilmin mit dem Schwert.
„Das wird tatsächlich nicht leicht.“ Die Schwester des Grafen blickte einmal in die Runde. „Immerhin sind wir vier Ritter und zwei Knappen mit einem kleinen Kind im Schlepp.“
„Noch dazu die Gefahr besteht, dass man Euch und vielleicht sogar Adhemar erkennt“, hakte Bardo erneut ein.
„Das ist ein sehr guter Einwand“, stimmte Ingmar zu. „Ich denke wir sollten es kleiner halten.“
„Was habt Ihr Euch vorgestellt Ritter Ingmar?“
„Ich werde zusammen mit Elvena und Alruna nach Rallingen gehen. Wir geben uns als mittellose Handwerkerfamilie aus dem südlichen Luringen aus, die vor den Kaisermärker Überfällen geflohen sind und den Peraine-Tempel um Hilfe ersuchen.“ Bardos kritischer Blick ließ ihn zu einer Erklärung ansetzen. „Ich stamme gebürtig tatsächlich aus der besagten Gegend und habe in der Schmiede meiner Mutter lange genug ausgeholfen, um die Geschichte im Zweifel gegen ein paar Nachfragen verteidigen zu können. Natürlich müssen wir ohne Rüstzeug und Schwerter gehen und irgendwo noch ein paar ärmliche Kittel auftreiben.“
„Mir behagt es trotzdem nicht, dass Ihr das Leben Eurer Tochter riskieren wollt.“ Der junge Luringer schaute sehr unglücklich rein. „Wenn Ihr als Ritter dies aus freien Stücken tut, so nehme ich diese Hilfe gerne an. Aber ein kleines Kind da hineinzuziehen, halte ich für wenig verantwortungsvoll.“
„Ihr missversteht mich Adhemar“, gab Ingmar mit gequältem Lächeln zurück. „Alruna steckt im Moment mittendrin in dieser gefährlichen Geschichte und ich suche gerade einen Ausweg, um sie wieder sicher zu ihrer Mutter bringen zu können. Wir wissen nicht wie viele Wochen oder Monde wir auf der Flucht vor Rudons Häschern umherirren werden oder wann sie uns wieder auf die Spur kommen. Das letzte Mal war unser Entkommen wahrhaft knapp und gelang allein dank höherer Mächte. Beim nächsten Mal werden wir uns wahrscheinlich nur auf unsere eigene Schnelligkeit und Geschicklichkeit verlassen können.“
Lechmin sah hinüber zu der spielenden Alruna und erkannte das Dilemma des Ritters. „Du würdest wählen müssen! Zwischen deinem ritterlichen Versprechen Adhemar zu beschützen und deiner Pflicht als Vater Leben und Seelenheil deiner Tochter zu beschützen.“
„So ist es. Ich müsste entweder vor Rondra oder vor Travia freveln und mit beidem könnte ich nicht leben. Wenn wir nun einmal in Rallingen sind, um die Geweihten von dem Geschehnissen auf Burg Luring zu unterrichten, will ich die Gelegenheit nutzen für Alruna um den Schutz der Kirche zu bitten, bis meine Botschaft meinen Schwiegervater erreicht hat und er sie nach Randersburg zurückholen kann.“
„Ich verstehe was Ihr zu tun gedenkt“, sprach nun Bardo wieder bedächtig in die Runde. „Doch was wenn jemand euch beobachtet und das Fehlen Alrunas bemerkt, wenn ihr den Markt wieder verlasst?“
„Wir werden einfach bei der Wahrheit bleiben und sagen, dass wir Alruna der Kirche geben, weil wir uns in unserer Situation nicht angemessen um sie kümmern können.“
„Ihr habt es Euch gut durchdacht Ritter Ingmar und ich glaube Ritterin Elvena wird nicht nein sagen, wenn sie Euch bei dieser Aufgabe begleiten soll.“ Adhemar wirkte nicht glücklich, akzeptierte aber das Ergebnis der Diskussion und die Entscheidung des erfahrenen Ritters. „Ihr werdet also die Peraine-Kirche in unserem Namen über Rudons Umtriebe informieren und für Alruna um Kirchenasyl bitten."
„Wir erwarten Euch und Elvena dann später an der Straße gen Hirschfurten. Falls wir uns auf der Straße verpassen sollten, geht weiter bis Rallersfelden und trefft uns im Gasthaus 'An der Blauen Raller'.“ Lechmin ging in Gedanken ihre weitere Fluchtroute durch. „Dort werden wir uns dann entscheiden, ob wir es wagen können weiter auf der Reichsstraße zurück nach Randersburg zu kommen oder ob wir uns lieber südwestlich auf den Karrenwegen durch Waldfang durchschlagen.“
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