Geschichten:Mit Samthandschuhen (in Mendena) - Die Samthandschuhe
Mendena, 19. Travia 1037 BF
Einige Tage später ging Xandros in der Stadt spazieren. Diesmal nicht in Verkleidung, sondern in der Uniform der Karmothgarde. Die Leute waren freundlich zu ihm, doch Xandros spürte, daß sie Angst vor ihm hatten. Er bemerkte wie einige heimlich verschwanden, als er sich näherte. Ob sie wirklich etwas zu verheimlichen hatten? Oder hatten sie Angst, er könnte sie des Verrats beschuldigen, weil sie ihn nur schief ansahen; und deren Kopf könnte auf einem Speer enden, wie die Köpfe derer, die in der Arena gerichtet wurden und nun auf dem Marktplatz zur Schau gestellt wurden? Ihm ging noch immer nicht das Bild des Vierjährigen aus dem Kopf. Doch das Schlimmste war das Johlen und Toben der Menge gewesen.
Xandros zog den Kopf ein und versuchte sich vor dem kalten Herbstwind zu schützen, das durch die Straßen wehte. Er hatte sich die Tage über gefragt, ob er es noch wagen sollte, nochmals mit Magister Dschafar Kontakt aufzunehmen. Womöglich landete letztendlich auch sein Kopf auf einem Speer, direkt neben die anderen. Doch Xandros schüttelte den Kopf um ihn frei zu bekommen. Er wußte worauf er sich eingelassen hatte, als er den Auftrag angenommen hatte. Er hatte bereits wichtige Informationen nach Gareth schicken können. Er hoffte nur, daß es diese Informationen auch Wert waren. Es mochte vielleicht unklug sein, aber er mußte mit diesem Magier ins Gespräch kommen. Noch heute Nacht würde er in der Akademie einsteigen.
Doch als er zurück zur Burg kam, kam ihm der Zufall zur Hilfe. Sein Hauptmann beauftragte ihn, in eben jene Akademie zu gehen, in das er einbrechen wollte, und einen magischen Gegenstand für ihn abzuholen, das man dort in Auftrag gegeben hatte. Und so stand er wenige Stunden später vor dem Tor zur Villa, in dem diese Magier wohnten und unterrichteten.
Nach seinem Anliegen befragt, wurde er eingelassen. Als er von einem Diener durch das Gebäude geführt wurde, versuchte er einzuschätzen, wo sich Dschafar aufhalten könnte. Vielleicht konnte er sich für einige Minuten davonstehlen und diesem Magier aufsuchen? Vielleicht unmittelbar nachdem er den Gegenstand abgeholt hatte? Und wenn nicht, so wußte er jetzt zumindest wie es drinnen aussah. Das würde einen nächtlichen Besuch deutlich vereinfachen – abgesehen von magischen Fallen, die vielleicht irgendwo verborgen waren.
Schließlich blieb der Diener vor einer Tür stehen, klopfte an und wies Xandros an einzutreten. Dieser Aufforderung kam er auch nach und sein Gegenüber war niemand anderes als Dschafar ibn Shariyar! Xandros schloß die Tür hinter sich.
Der Raum war luxuriös eingerichtet. Es war ein kleiner Salon mit einer Tür, die zweifellos in das Schlafgemach des Magiers führte. Der Kamin brannte und wärmte das Zimmer. Der Tulamide saß auf einem Sessel und hatte vor sich auf einem kleinen Tischchen ein Päckchen, worin sich wohl der fragliche Gegenstand befand.
"Ich soll einen Gegenstand abholen", sagte Xandros und trat näher.
"Ja, natürlich", antwortete Dschafar und stand auf. "Hier ist er, Effendi." Er deutete auf das Päckchen. Xandros nahm es in die Hand. Es war leicht und er konnte nicht erahnen, was sich darin wohl genau befand.
"Meister Dschafar", sagte er schließlich, während er das Päckchen wieder auf das Tischchen zurücklegte und den Magier ansah. "Ich weiß Ihr seit gegen Haffax und steckt in der Klemme, wobei ihr Hilfe benötigt."
Des Magiers Augen wurden immer größer vor Schreck. "Wie kommt Ihr denn darauf, Effendi?", sagte er hastig. "Aber nein, nein, mächtiger Agha, herrlichster unter den Dienern Haffax! Ich versichere Euch: Haffax ist ein großer Mann, auf den alle Götter mit Wohlwollen herab blicken. Ich bin zwar nur der unwürdigste seiner Diener aber mein Herz ist am rechten Fleck und ich würde es nie wagen auch nur in Gedanken gegen unseren Herrn und Gebieter aufzubegeheren."
"Ich weiß, daß du einen Brief von einem Freund bekommen hast, den du im Vollen Humpen hättest aufsuchen sollen." - "Ihr müßt Euch irren, Sahib!" - "Nein, Ihr wart dort. Aber Ihr habt Euren Freund nicht gefunden."
"Bitte Sahib!" Der Magier fiel auf die Knie und unter Tränen, die nun hervorbrachen, flehte er Xandros an: "Ihr habt ja so Recht, Sahib. Ich bin unwürdig! Ich bitte Euch, liefert mich nicht aus. Ich war töricht. Hier", er holte einen Beutel heraus, "nehmt das! Mein ganzes Geld. Nehmt, aber ich bitte Euch, mich zu verschonen."
"Jetzt beruhigt Euch", versuchte ihn Xandros zu beruhigen, aber der Magier drängte ihn wahrlich das Geld anzunehmen. "Nein, Ihr habt so Recht, Sahib. Ich bestehe darauf, oh Großmütiger! Für einen so guten und loyalen, ja der größte unter den Dienern Haffax, ist es nur rechtes, wenn er für seine Arbeit und für seine Langmut, dieses kleine Geschenk eines Unwürdigen, annimmt."
"Ich will Euer Geld nicht, Dschafar!", blaffte ihn Xandros an und der Magier wurde endlich still. "Ich bin Euer Freund, von dem im Brief die Rede war! Und ich bin hier um Euch zu helfen. Also reißt Euch endlich zusammen, in Rondras Namen! Ich habe Fragen."
"Ja, ja natürlich, Sahib."
"Steht erstmal wieder auf und setzt Euch. Gut so."
Der Magier wirkte verängstigt, aber ein Hoffnungsschimmer war in seinem Gesicht zu sehen. "Ihr seid mein Freund?", fragte er nochmals nach.
"Ja. Ich arbeite für das Mittelreich." Xandros wußte, das er hier ein großes Risiko einging und blickte sich um, nur um sich zu vergewissern, daß sie hier alleine waren. "Euer letzter Besuch in der Schenke war lediglich ein Test gewesen, ob ich Euch vertrauen kann. Und offenbar kann ich es. Also, wir haben nicht viel Zeit. Ich möchte, daß Ihr mir einige Fragen beantwortet und anschließend werdet Ihr wieder so tun, als ob ich der einfache Soldat bin, der hier lediglich eine Ware abholt. Verstanden? Gut. Warum arbeitet Ihr für Haffax?"
"Sie haben meine Frau", antwortete Dschafar. "Als wir Elburum besuchten, haben sie mich und meine geliebte Kemillja entführt und wollen nun, daß ich für Haffax und seine Soldaten arbeite und wenn ich es nicht tue werden sie ihr etwas antun."
"Wo befindet sich Eure Frau?"
"Ich weiß es nicht, Sahib", seufzte der Magier. "Angeblich haben sie sie auf Maraskan gebracht." Der Magier holte diverse Briefe aus seiner Tasche und betrachtete diese kummervoll. "Man erlaubt mir einmal im Monat mit ihr zu schreiben, aber ich darf nichts davon erwähnen, was ich hier mache. Ich trage alle Briefe von ihr stets bei mir. Ich hoffe nur, daß sie noch lebt", sagte der Magier schließlich. "Diese Briefe könnten ja auch von jemand anderen geschrieben worden sein. Aber sie ist meine einzige Hoffnung im Leben."
"Habt Ihr Kontakt zum Widerstand?"
"Nein, keine direkten." Der Magier steckte die Briefe wieder weg. "Ich weiß, daß es Rebellen in Keilerau geben soll und ich habe anfangs versucht mit ihnen im Vollen Humpen Kontakt aufzunehmen. Aber bisher ist es mir nicht gelungen."
Hestitha war manchmal im Vollen Humpen gewesen. Hatte sie Kontakt zum Widerstand gehabt?, fragte sich Xandros, aber er stellte bereits seine nächste Frage. "Habt Ihr möglicherweise wichtige Informationen, die das Mittelreich interessieren könnte?"
"Ich weiß nicht recht, was ich da berichten könnte." Der Magier sah wirklich betroffen aus und Xandros hatte den Eindruck, daß er hier wirklich gern geholfen hätte. "Ich werde recht isoliert gehalten", fuhr Dschafar fort, "und habe kaum Einblick in die Arbeit der anderen Magister."
"Habt Ihr bereits eine Fluchtmöglichkeit?"
"Nein. Aber wenn ich von hier fliehen würde, dann nur mit einem Schiff das in den Süden fährt. Der Landweg ist mir zu unsicher. Ich habe von allerlei Ungeheuern und Kriegen gehört. Könnt Ihr mich hier herausbringen?"
"Ja, aber jetzt noch nicht", sagte Xandros. "Diese Sache muß genau geplant werden."
"Könnt Ihr mir auch helfen Kemillja zu finden?", fragte der Magier hoffnungsvoll.
Hier antwortete Xandros nicht sofort. "Wenn sie wirklich auf Maraksan ist, kann ich da nicht viel ausrichten", sagte er schließlich.
"Ja, das habe ich mir schon gedacht ..."
"Wir müssen miteinander kommunizieren können. Kennt Ihr den Tobrischen Hof? Südlich davon steht an einer Mauer eine kleine Statue. Dahinter befindet sich eine kleine Höhlung unter einem losen Stein. Dort werde ich Nachrichten für Euch hinterlegen. Sucht es in regelmäßigen Abständen auf, aber nur wenn Ihr absolut sicher seit, daß Ihr nicht beobachtet werdet. Dort könnt Ihr auch Nachrichten für mich hinterlegen. Gegebenenfalls werde ich Euch aber andere Verstecke zuweisen. Und geht keine unnötigen Risiken ein! Verstanden?"
Der Magier nickte.
"Gut. Das wäre vorerst alles." Xandros nahm das Päckchen wieder in die Hand, weswegen er ursprünglich hierher geschickt wurde. "Was ist das eigentlich für ein Gegenstand, das ich hier abholen soll?", fragte er.
"Nichts von großer Bedeutung, Sahib. Solche Aufträge kommen häufiger vor. Nur ein Amulett mit einem Armatrutz-Cantus, der darauf gelegt ist." Der fragende Blick Xandros´ bedeutete dem Magier weiter auszuholen. "Es liegt ein Zauber darauf, der den Träger so schützt, als ob er eine gute Rüstung trüge, eine magische Rüstung."
"Aha", machte Xandros, doch einer Eingebung folgend stellte er noch eine letzte Frage: "Was hat es eigentlich mit den Samthandschuhen auf sich?" Dschafar blickte auf, er war überrascht solch eine Frage zu hören.
"Bei den Samthandschuhen handelt es sich um meine erste echte Aufgabe, die ich hier thaumaturgisch herstellen sollte, Sahib", begann er zu erklären. "Dieses Paar Handschuhe sind derart geschaffen, daß der rechte Handschuh, der zwar schlicht und nur mit einigen Fäden verschiedener Metalle durchzogen ist, aber ein beliebiges Pergament durch ein Streichen über das Schriftstück dergestalt verwandelt wird, daß ein Pergament gleicher Art mit einem vordefiniertem Inhalt entsteht, während der linke Handschuh, wie sein Gegenpart mit allerlei magischen Metallfäden durchzogen, dazu aber noch prunkvoll mit verschiedenen Edelsteinen verziert, das Schriftstück durch ein erneutes Streichen wieder zurück verwandelt.
Für diese Arbeit habe ich meine gesamte Kunst aufgewendet, unter Zuhilfenahmen von etlichen Zaubertränken und unter dem Wirken der richtigen Sternenkonstellation, und unter der Einbindung meiner eigenen Kraft. Ja, ich möchte sogar meinen, daß diese Verwandlung nahezu perfekt ist." - Dschafar klang doch tatsächlich stolz auf seine Arbeit! - "Nicht einmal durch einfache Analysemagie oder gar der allgemeinen Hellsichtsmagie ist es möglich den wahren Inhalt der Nachricht zu entschlüsseln und selbst eine Rückverwandlung ist nur unter größter Mühe zu bewerkstelligen. Ich nehme an, daß diese Samthandschuhe eine Auftragsarbeit für den Fürstkomtur persönlich waren."
Xandros blickte ihn sprachlos an. "Bedeutet das", brachte er schließlich heraus, "daß sie jegliche Nachrichten verschicken können, ohne daß wir auch nur ahnen können, was darin wirklich steht?!"
"Es gibt eine Möglichkeit, Sahib", hob der Magier seinen Finger und ein Lächeln umspielte seine Lippen. "Von einem großen Zauberer meiner Zunft habe ich einen Zauber gelernt, der es einem ermöglicht einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Diesen Zauber habe ich auf einen fein geschliffenen Diamanten gewebt, mit dem man das Pergament zu dem Zeitpunkt betrachten kann, bevor es verwandelt wurde."
In Xandros Kopf ratterte es, bis er endlich verstanden hatte, was ihm der Magier damit sagen wollte: Er hatte eine Möglichkeit geschaffen, die geheimsten Nachrichten des Fürstkomturs zu lesen; und das überall und jederzeit!!!
"Wo ist dieser Diamant?", fragte er.
"An einem sicheren Ort, Sahib", antwortete der Magier. "Aber ich bin bereit Euch diesen Edelstein zu geben, wenn Ihr mich aus dieser Stadt herausbringt."