Geschichten:Mit unserem guten Namen - Der gute Kaiser Answin
Steinfelde, 30. Tsa 1035 BF
Selbst der in der letzten Nacht gefallene Neuschnee konnte den miserablen Zustand des Dorfes am Rande des Feidewalds nicht verdecken. An etlichen Hofstellen ragten statt Giebeln nur noch verkohlte Balken gen Himmel. Auf das Bellen der abgemagerten Köter zeigten sich einige verhärmte Gestalten, die den Ankömmlingen stumm den Weg zum Anwesen des Junkers zeigten, als diese nach dem Ritter von Steinfelde fragten. Auch hier waren die Spuren der Verwüstung und Verwahrlosung offensichtlich. Das Herrenhaus erschien nurmehr als Ruine mit notdürftig geflicktem Dach und rußgeschwärzten Fensteröffnungen. Gleichwohl kündete ein dünner Rauchfaden aus dem Schornstein davon, dass hier noch jemand wohnte.
Der junge Abasch kletterte vom Bock des Karrens, befahl seinen Begleitern, im Hof zu warten und trat ein. Die gespannte Schlunder Kurbel nahm er mit. Sicher war sicher. Er fand Praiodan von Steinfelde allein in der Küche mit dem Rücken zum Herd an einem schweren Eichentisch gegenüber der Tür sitzend. Das Feuer war nicht groß genug, den Raum zu erwärmen, dennoch hatte der Ritter sein Wams halb aufgeknöpft. Vor sich hatte er eine Bierkanne sowie einen geleerten Humpen stehen und stieß immer wieder an den Griff eines Essmessers, das mit der Klinge in der Tischplatte steckte. Beim Eintreten des Zwergs hob er den Kopf und stierte ihn eine Weile an, bevor er etwas schleppend fragte: „Wer seid ihr und was wollt ihr?“ Der Ritter von Steinfelde war offensichtlich angetrunken – und das schon am Vormittag.
„Abasch von der Kohlkochersippe. Ich bin gekommen, die Schuld einzutreiben, die ihr in Wandleth habt“, er holte die Schuldverschreibung hervor und legte sie auf den Tisch.
„Ihr kommt zu früh. Die Frist ist doch noch gar nicht um. Rahja war abgemacht“, wandte Praiodan ein, und zog das Messer aus dem Tisch.
Doch der Zwerg schüttelte den Kopf: „Die Frist ist hinfällig geworden, die Schuld ist sofort zu begleichen.“
„Das könnt Ihr nicht machen. Das ist nicht recht.“
Abasch zuckte die Schultern: „Ich habe strikte Anweisungen.“
„Ich habe aber kein Geld hier“, versuchte es der Ritter erneut.
„Glücklicherweise geben wir uns auch mit Sachwerten zufrieden. Vieh, Saatgut, Euer Rüstzeug...“, zählte der Zwerg auf, „Es wird sich schon noch etwas finden lassen.“
„Gibt es keinen anderen Weg?“
„Ich fürchte nein. Ich kann ja nicht jeden wie den Adalbert von Hirschenrode anheuern, dass er mich beim Schuldeneintreiben unterstützt, um die eigenen zu begleichen.“
„Und wenn ich mich weigere?“ fragte Praiodan, sich an der Tischkante abstützend und nach vorne beugend.
Der finstere Blick und der drohende Unterton gefielen Abasch gar nicht. Schon der vorige Schuldner – der Baerfolder – hatte Scherereien gemacht. Darum hob er nun seine Armbrust in Richtung des Ritters: „Es gibt immer Wege, den gerechtfertigten Forderungen... Nachdruck zu verleihen.“
„Ach, so sieht das aus. Jetzt darf man mich bereits innerhalb meines eigenen Heims bedrohen.“ Der Steinfelder lehnte sich zurück.
„Formal gesehen ist es gar nicht Euer Heim, solange Ihr Eure Schulden nicht beglichen habt. Immerhin ist es die Sicherheit, die Ihr für den Kredit hinterlegt habt. Also.“ Der Angroscho winkte mit der Armbrust. Doch zu seiner Verwunderung schüttelte der Ritter den Kopf und begann grinsend in sich hinein zu glucksen: „Er hatte einfach recht, der gute Kaiser Answin.“
„Wie meinen?“ irritiert ließ der Angroscho die Armbrust ein wenig sinken. Hatte der Mensch gerade den Verstand verloren?
„Zwerge... Zwerge gehören unter die Erde. So oder so.“ Die Trunkenheit war auf einmal aus Praiodans Stimme verschwunden, als er polternd den Tisch nach vorn umwarf. Statt der Brust des Ritters durchschlug der abgefeuerte Bolzen nur die Tischplatte. Sofort stürzte der Steinfelder dem zurückweichenden Angroscho nach, packte ihn bei seinem sorgfältig geflochtenen Bart, riss diesen nach oben und rammte die Messerklinge bis zum Heft in die bleiche Kehle darunter.
Das Lebensfeuer des Gesandten aus Wandleth erlosch in dem Maße, wie die rote Lache um den zu Boden Gesunkenen herum größer wurde. Praiodan selbst hatte auch einiges abbekommen, Wams, Hemd und Gesicht waren blutbefleckt. Aber das kümmerte ihn nicht, als er hinaus in den Hof trat. Erschrocken wichen die wartenden Soldknechte vor ihm zurück und zogen ihre Waffen. „Was hat das zu bedeuten, Steinfelde?“ fragte Adalbert von Hirschenrode. „Wo ist der Zwerg?“
„Interessiert Ihr Euch wirklich für einen Schlunder Zwerg, Hirschenrode? Oder nur dafür, wie Ihr möglichst billig Eure Schulden loswerdet?“ knurrte der Ritter.
„Als ob ich eine Wahl gehabt hätte, Steinfelde“, fauchte Adalbert zurück.
Aber ich sag’s Euch dennoch. Räuber, die mich in meinem eigenen Haus bedrohen, bekommen, was ihnen gebührt! Ich schätze, Euer Auftrag hat sich hiermit erledigt. Und jetzt macht, dass ihr fortkommt! Ich habe Euch nicht eingeladen und keine Lust, noch mehr hungrige Mäuler zu stopfen.“
„Ihr werdet am Galgen enden, Steinfelde“, entgegnete der Edle von Oldenhorn. Dann gab er seinen Leuten den Wink zum Aufbruch. Praiodan sah ihnen nach, bis sie hinter der Wegbiegung am Dorfausgang verschwunden waren. Anschließend ging er wieder hinein zu dem Toten und begann, dessen Taschen zu untersuchen. Die zum Vorschein kommenden Schreiben waren allesamt blutverschmiert. Und selbst wenn nicht, hätte er sie nicht lesen können: Sie waren in zwergischen Runen verfasst. Enttäuscht knüllte er die Papiere zusammen und warf sie in den Herd. Immerhin, das Geld, das er bei dem Angroscho gefunden hatte, würde ausreichen für eine neue Milchkuh im Frühjahr – oder ein Fass Branntwein zu Ehren des klugen Kaisers Answin.
Garetien-, Greifenfurt- und Perricum-Con 2012
|
◅ | Holen, was zu holen ist |
|
Ihr ganzer Stolz | ▻ |