Geschichten:Mobilmachung in der Mark Greifenfurt - Eine zufällige Begegnung
Wie jeden Praiostag seit seiner Ankunft in Weihenhorst hatte der Junker auch diesmal den Gottesdienst des Götterfürsten nicht verpasst. Nach kurzem Gespräch mit einem der Priester, verabschiedete Rondrigo sich und ging zu seinem Zelt.
Dort wartete bereits einer seiner Knechte mit dem gesattelten Pferd, denn der Junker pflegte immer einen Ausritt zu unternehmen, nachdem er den Praiosdienst besucht hatte. Er schlug den weißen Mantel zurück und stieg auf sein treues Ross. Ohne ein weiteres Wort gab er dem Pferd die Sporen und trabte los.
An diesem Tag meinte es Praios nicht sonderlich gut mit den Greifenfurtern.
Dicke dunkle Wolken hatten sich am Himmel zu einer dichten Decke zusammen gezogen. Ein frischer Wind blies über das Land und ließ den Junker frösteln.
Sein Ross war jedes Mal für den langen Praiostagsritt dankbar, da es dann endlich den Auslauf bekam, den unter der Woche meistens missen musste.
Er war bereits seit fast einer Stunde unterwegs, als sein Blick an einer einzelnen Person haften blieb.
Rondrigo zügelte sein Pferd und hielt an. Lobend klopfte er dem Pferd den Hals und fixierte den einsamen Wanderer. Offenbar war es eine Frau, denn die Gestalt trug ein schlichtes Kleid, welches sich dennoch von der Tracht einer Bäuerin deutlich unterschied.
In der Ferne grollte Donner und ein gleißender Blitz erhellte das dunkle Wolkenmeer. Mit starkem Schenkeldruck wendete Rondrigo sein Pferd und ritt auf die Frau zu.
Wenige Schritte vor ihr hielt er an.
Sie war noch jung, vielleicht achtzehn oder neunzehn Götterläufe alt. Ihr rotes Haar wurde im Spiel des kalten Windes hin und her geweht. Ihre katzengrünen Augen blickten neugierig zum Junker auf und fixierten ihn. Ihr blasses, aber sehr fein geschnittenes, hübsches Gesicht wurde von zahlreichen Sommersprossen geziert und verlieh ihrem Antlitz einen kecken und frechen Gesichtsausdruck.
Sie trug ein schlichtes, zierloses Kleid aus solide verarbeitetem sauberen Leinenstoff und eine breite Ledertasche an einem Gürtel über der Schulter. Ihre Hände waren filigran und fein, von einem silbernen Ring geschmückt. Keinesfalls die Hände einer einfachen Bäuerin.
„Praios den Gerechten zum Gruße, junges Fräulein.“
Schüchtern knickste sie höflich und sah den Reiter neugierig an. „Peraine zum Gruße edler Herr.“
„Erlaubt mir die Frage, Fräulein. Was tut ihr hier? Und dann auch noch allein?“
Sie klopfte kurz auf ihre Ledertasche. „Ich habe mich nach Kräutern und nützlichen pflanzen umgesehen. Aber leider ist die Gegend hier schon schwer abgegrast. Man findet kaum noch etwas, außer ein wenig Kamille und die eine oder andere frische Tarnele. Gestern fand ich noch ein brauchbares Gulmondblatt. Daraus kann man ja einen vorzüglichen Tee kochen, der die Lebensgeister weckt, auch wenn er ein wenig bitter schmeckt.“
Rondrigo war kein Dummkopf, hatte aber von Pflanzen keine Ahnung. „Wirklich? Das ist ja interessant. Sagt, soll ich Euch vielleicht mit zurück nach Weihenhorst nehmen? Rondras Sendboten verkünden ein schnell heran nahendes Gewitter.“
Leicht errötend sah die junge Frau kurz zu Boden. „Das ist sehr freundlich von Euch, Herr. Gerne, wenn es Euch keine Umstände macht.“
Der Junker lächelte freundlich. „Verzeiht, ich stellte mich noch gar nicht vor. Ich bin Rondrigo von Ahrenstedt, Junker von Breitenhof und Ritter des Ordens zur Bewahrung der praiosgefälligen Ordnung zu Puleth.“
Die junge Frau verneigte sich noch einmal knapp. „Ich bin höchst erfreut, edler Ritter. Mein Name ist Linea von Travesried. Ich kam mit der Tochter des Abts Asgard von Ährenstein hierher. Sie ist eine Geweihte der Herrin Peraine.“
Der Junker reichte der jungen Dame die Hand und zog sie mit einem kräftigen Ruck auf sein Pferd. Dann gab er dem Ross die Sporen, da Rondras Grollen wieder zu hören war und offenbar näher kam.
In schnellem Galopp preschte der Reiter über das Land, doch noch bevor man Weihenhorst erreichte, begann es zu regnen.
Rondrigo steuerte einen Hain an, der Schutz vor dem kalten Regen versprach.
„Wir werden uns dort unterstellen, denn er Herr Efferd meint es heute gut mit uns.“
Nachdem beide abgestiegen waren, nahm der Junker seinen Mantel herunter und legte ihn der jungen Dame um die Schultern. „Hier, das sollte Euch warm halten. Dieser Umhang hat mir auch in kalten tobrischen Winternächten gute Dienste geleistet.“
„Dann seid Ihr gar nicht von hier?“ Überrascht und neugierig zugleich zog Linea eine Braue nach oben.
Der Regen wurde stärker und zahllose Tropfen prasselten auf das dichte Blätterdach des Wäldchens. „Nein, meine Familie stammt aus Tobrien. Leider wurden wir zu Beginn der Invasion von unserem Land vertrieben. Ich bin der einzige derer von Ahrenstedt, der noch übrig ist.“ Betroffen seufzte die junge Dame. „Das tut mir aufrichtig leid, aber ich weiß genau, wie Ihr Euch fühlt. Mit meiner Familie erging es mir ähnlich beim Orkensturm. Der Abt nahm mich auf, nachdem ein paar Köhler mich gerettet haben.“
„Da hattet ihr Glück, den Göttern sei Dank. Und was tut Ihr nun hier, Linea?“
„Nun, man meinte ich sollte ein wenig unter Leute kommen und da nahm man mich mit hierher. In wenigen Wochen soll doch ein Kriegsrat hier abgehalten werden, oder nicht?“
„Das ist korrekt. Dies ist auch der Grund, warum ich hier bin.“
„Ich dachte es mir gleich,“ sagte sie mit einem aufgeweckten Lächeln.
Ins Gespräch vertieft bemerkten beide erst eine ganze Weile, nachdem das Gewitter vorüber war, dass es nicht mehr regnete.
„Kommt, Dame Linea. Ich will Euch nach Weihenhorst zurück bringen.“
Beide stiegen wieder auf und ritten gemütlich zur Stadt zurück. Nachdem sie das Tor passiert hatten, hielt der Junker kurz inne. „Mein Magen knurrt ganz beträchtlich. Was haltet Ihr davon, wenn ich Euch zu einem kleinen Mahl in einer der etwas besseren Schenken einlade? Die „Eherne Orkenwehr“ ist ein vorzügliches Gasthaus.“
„Das ist ungemein freundlich von Euch, aber ich denke, dass geziemt sich nicht. Ich es mir nicht einfach auf Eure Kosten gut gehen lassen.“
Rondrigo lächelte versöhnlich. „Ich bitte Euch, mein Fräulein. Ihr würdet mir eine echte Freue bereiten, wenn Ihr die bescheidene Einladung annehmen könntet.“
Sie überlegte einige Herzschläge und schien mit sich zu ringen. Schließlich lenkte sie ein. „Gut, wenn ich Euch damit eine Freude machen kann, dann folge ich Euch gerne.“
Beide betraten die Gaststube der Schenke, wo bereits ein wärmendes Feuer im Kamin prasselte. Mit einem knappen Wink signalisierte der Junker dem Wirt, dass er einen eigenen Tisch brauchen würde. Ugdalf, der Wirt, kannte den Herrn von Breitenhof schon, denn er war in den letzten Wochen ein Stammgast geworden. Eilig brachte eine Magd einen Krug mit Wein und zwei Tonbecher. Sie schenkte ein und knickste dann artig. Rondrigo erhob seinen Becher und neigte den Kopf in einer höflichen Geste. „Auf unsere zufällige Begegnung.“
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