Geschichten:Neulich in der Villa Geldana
Die Kutsche erreichte Gareth am späten Nachmittag des 10. Rahjamondes. Es war ein schwüler Tag in der Metropole im Herzen des Reiches gewesen, Praios Auge hatte unerbittlich die Menschen geknechtet, und so erwartete eine große Stadt den kühlen Abend, in freudiger Erwartung der Gaben Phexens und Rahjas. In den Gassen der Altstadt tummelte sich ein buntes Völkergemisch, an den Straßen boten Händler gekühlten Wein, köstliches Bier und allerlei schmackhaftes Süßzeug an.
Hilbert von Hartsteen hatte mit seiner Schwester kaum ein Wort gesprochen, Lydia Yasmina von Hartsteen wirkte verloren in Gedanken, mehr noch als bei ihrer Abreise. Hilbert hatte sie direkt bei seiner Heimfahrt an jenem kleinen Kloster der Hesinde abgeholt, in das sie vor fast einem halben Götterlauf gegangen war, um einen Rat der Götter einzuholen. Aber wie so oft waren die Wörte der Zwölfe undeutbare Rätsel gewesen, und die ehemalige Reichsvögtin hatte Tag zu Tag an Lebendigkeit verloren, bis sie in den letzten Wochen kaum noch etwas vernünftiges getan hatte ausser gedankenverloren in den nahen Wäldern spazieren zu gehen.
'Praios sei gepriesen, dass er dem einfachen Volk die Bildung vorenthält! Nicht auszudenken, was wäre, wenn der Bauer auf dem Feld stundenlang untätig sinnierte ohne sein Feld zu pflügen ...' schoß es dem jungen Vogt durch den Kopf. 'Merken: Keine Nandus-Geweihten in Sertis dulden.'
Inzwischen hatten sie die Alleen erreicht, in denen die Prunkvillen der Adligen und Patriziern standen, schon tauchte ein grauer, wuchtiger Klotz aus pervalscher Zeit, der seit einigen Jahrzwölften durch Efeu abgemildert wurde, die Weyringhaus'sche Villa Geldana.
"Teure Schwester" sprach Hilbert die schöne Frau an, die seine Schwester im letzen halben Jahr geworden war, nachdem die Härte aus ihren Zügen gewichen war, "ich habe Dir bereits gesagt, weswegen wir nach Gareth gefahren sind, aber bisher hast Du noch kein einziges Wort dazu gesagt. Ich möchte nicht, auch im Namen der Familie, dass die ganze Sache scheitert, weil Du eine unpassende Bemerkung machst, die seine Edelhochgeboren stören oder gar kränken könnte."
Lydia Yasmina schaute ihren Bruder lächelnd an, was Hilbert ein wenig aus der Fassung brachte. Anstatt irgendwie zu reagieren lächelte sie ihn an, als ob sie den Verstand verloren hätte. War er damals vielleicht doch zu weit gegangen? Diesen Gedanken schüttelte er jedoch sehr schnell wieder ab.
Sie nickte verstehend und sagte ruhig: "Hilbert, wenn es sein muss, dann werde ich eine gute Ehefrau werden, ganz so wie die mütterliche Herrin TRAvia es möchte."
Hilbert von Hartsteen atmete erleichtert auf. Dann lag es nur noch an seinem Verhandlungsgeschick, die Heirat in trockene Tücher zu bringen. Obwohl er eigentlich nichts forderte, sondern eher zu verschenken hatte. Doch das sollte der Burggraf von der Raulsmark nicht merken.
Die Diener, die das Tor öffneten erkannten in Hilbert den erwarteten Besucher, der sich bereits vor zwei Tagen bei ihrer Herrschaft angekündigt hatte. Mit Respekt empfingen sie den jungen Reichsvogt, ließen die Kutsche abspannen und meldeten pflichtgemäß die Ankunft der beiden Adligen, die sie in einen geschmackvoll eingerichteten Salon führten, in dem sie auf den Burggraf warteten.
"Oldebor, was habt Ihr Euch da nur wieder ausgedacht!" Arvo Lovgold von Weyringhaus-Herlogan schritt erregt durch das Zimmer. Eben erst hatte sein Vetter ihm eröffnet, dass "er es sich sehr gut vorstellen könnte, wenn er, der Oberst der Raulsmärker Garde, mit einer Hartsteen den Traviabund eingehen würde". In seinen Ohren klang das, als ob es auf sein Einverständniss überhaupt nicht mehr ankäme, als ob Oldebor diesmal eine ernste Liason vorhabe. Er kannte die besagte Person, Lydia Yasmina von Hartsteen gut, denn immerhin war er auf der Akademie zu Wehrheim einer ihrer Ausbilder gewesen. Sie war spät, nach ihrem Ritterschlag (denn alle Hartsteens erhalten ihre kämpferische Ausbildung im Knappentum), an die Akademie gekommen, um Taktik und Kriegskunst zu lernen. Sie hatte sich sehr gut gemacht, und nach der Akademie eine vielversprechende Offierskarriere begonnen, bis sie die Nachfolge ihres Vaters in Sertis übernommen hatte. Das war vor fast fünf Jahren gewesen, seitdem hatte er sie aus den Augen verloren, hatte aber gehört, dass sie ihre Pflichten gut erfüllt habe. Das letzte Mal hatte er von ihr gehört, als am Hof zu Gareth das Gerücht aufgekommen war, dass sie geistig verwirrt geworden war und ihrem jüngeren Bruder die Amtsgeschäfte übereignet hatte. Er konnte derartiges zwar nicht glauben, aber er hatte in seinem bald sechzig Jahre dauerndem Leben bereits viel gesehen, was er vorher nicht hatte glauben mögen.
"Und warum sollte ich mit einer ehemaligen Schülerin den Traviabund eingehen? Wie Ihr wißt, lebe ich glücklich und bescheiden allein. Um es frei heraus zu sagen, werter Vetter, mich zieht nur sehr wenig zu einer solchen Liaison!"
Oldebor schaute mit seiner gewohnt lässigen und ruhigen Art seinem aufbrausenden Vetter ins Gesicht. "Geschätzter Arvo, natürlich möchte ich nicht über Euren Kopf hinweg entscheiden, immerhin seid Ihr ja auch alt genug, um selbst eine passende Frau für Euch zu finden." Der Burggraf genoss es offensichtlich seinen Cousin ein wenig zu foppen, zudem er die Spitzen in den Worten Oldebors überhaupt nicht wahrnahm. "Und der kleine Vorfall auf dem letzten Konvent ist natürlich auch längst vergessen."
Der alternde Junggeselle stutzte. Denn so unsensibel er gegen die Intrigen und Hofspielchen des Reiches er auch sein mochte, diesen Affront verstand selbst er. Nur zu gut errinnerte er sich an den hochroten Kopf Oldebors und dem weißen Marmorgesicht von Luring. Und an die Flammen, die einen weiten Rock hochzüngelten. "So also." brachte er kurz und keuchend hervor.
"Wie ich hörte, weilt der junge Hartsteen unten im Salon und wartet mit seiner Schwester. Ich möchte die beiden doch nur ungern warten lassen. Hättest Du nicht Lust, uns beim Abendessen Gesellschaft zu leisten?"
Wenige Zeit später betraten der Burgraf und der Oberst der Raulsmärker Garde den luxuriös eingerichteten Wartesalon. Während der Letztere arg verdrossen aussah, grüßte der Erstere den jungen Reichsvogt nahezu freudestrahlend. Und während er sich noch auf das herzlichste für die freundlichen Geburtstagsgrüße bedankte, geleitete er seine Gäste zielstrebig in den Speisesaal.
"Die Götter zum Gruße", rief Oldebor in fröhlichem Tonfall, als er den Salon betrat. "Doch sagt, welches rahjagleiche Geschöpf habt Ihr da nur mitgebracht? Schaut sie Euch nur an, werter Vetter. Ihr erlaubt mir, Euch einander vorzustellen: Arvo von Weyringhaus-Herlogan, Oberst der Raulsmärker Garde, Magister emeritus der Wehrheimer Akademie für Strategie und Taktik, Veteran der Ogerschlacht und mein lieber Vetter ..."
Den zweiten Teil der Vorstellung wollte der Burggraf offensichtlich den Gästen überlassen. Schon jetzt äugte er allerdings dezent zur Seite, um festzustellen, welche Wirkung der Anblick der jungen Dame denn auf seinen Vetter hatte.
Der junge Hartsteener, der eben noch die prunkvollen Portaits diverser Verwandten des Burggrafen bewundert hatte, machte eine tiefe Verbeugung. Seine Schwester saß verträumt auf einem gepolsterten Stuhl und schaute die beiden Raulsmärker interessiert an. Nach den ersten Worten seines Vetters, hörte Arvo diesem kaum mehr weiter zu, und murmelte nur eine kurze, unbedeutende Begrüßungsformel. Stattdessen schaute er auf das Geschöpf, dass in einer weiten, grünen Tunika seine Aufmerksamkeit fesselte. Er erkannte das Gesicht sofort wieder, schließlich hatte er es dutzende von Malen in seinem Hörsaal gesehen, wenn er über Taktik lehrte. Doch nie war ihm aufgefallen, über welch ansehnliche weiblichen Attribute die Hartsteenerin verfügte. Er sah den zierlichen und trainierten Körper zum ersten Mal in Frauenkleidung. Den kecken Blick seines Vetters nahm er gar nicht wahr.
Während der Burggraf seine Gäste zu Tisch führte, plauderte der Reichsvogt ausgiebig von seiner Reise in das Alte Reich. "Und diese gestelzte Höflichkeit, nein, das ist nichts für einen Garetier." Er vermied es, zu sehr ins Detail zu gehen, zum einen, um seinen Gastgeber nicht zu langweilen, aber zum anderen auch, weil er befürchtete bestimmte Einzelheiten, die der Geheimhaltung unterlagen, unbefangen auszuplaudern. Stattdessen brachte Hilbert das Gespräch auf den vergangenen TSAtag des Burggrafen, erkundigte sich nach dessen Gesundheit und versuchte alles, um eine elegante und vorteilhafte Plauderei ins Rollen zu bringen. Um alles in der Welt versuchte er den alten Eindruck verbrämter Eitelkeit, den der Großteil der Hartsteener zu eigen war, zu verwischen und als angenehmer Gesprächspartner zu glänzen.
Nachdem die Bediensteten der Villa die letzten Reste des Obstes, das den krönender Abschluss eines hervoragenden Mahles gesetzt hatte, entfernt hatten, zog man sich in den weitläufigen Garten, das erträglichste an dem pompösen und häßlichen Bau des Burggrafen, zurück. Die erfrischende Kühle des Abends tat nach dem Essen das ihrige, um das Wohlbefinden der Adligen noch zu verbessern. Geharkte Kieselwege schlängelten sich durch gepflegte Beete von verschiedensten Nelkenarten, zu denen der Hausherr genauere Auskunft geben konnte: "Und wenn Ihr hier seht, junger Freund, ein köstliches Arrangement von Levkoje, Glockenblume und Heidennelke. Ihr müßt doch selbst zugeben, dass meine Gärtner herrlich das Wappen derer von Weyringhaus, den goldenen Falken auf blau und rot, mit größter Kunstfertigkeiten gesetzt haben! Noch letzte Woche habe ich der Königin erzählt, welches Eindruck es auf den Staatsrat gemacht hat."
Mit Nicken und einem unverständlichen Gemurmel, was etwa soviel heißen konnte wie: "Tatsächlich, wie herrlich" ging der Hartsteener an der Seite seines Gastgebers die Blumen entlang. Bereits einige Schritt hinter ihnen gingen leise und still der Oberst der Raulsmärker Garde und die ehemalige Vögtin von Sertis, nur zuweilen einen Blick auf die große Schatzkammer des Herren Phex werfend.
"Aber jetzt im Dunklen ist die starke Farbe der Blumen leider nur zu erahnen. Ein wahres Pech. Ihr hattet mir einen interessanten Brief geschrieben, für den ich mich nochmals von Herzen bei Euch bedanken möchte" wechselte Oldebor unvermittelt das Thema des Gesprächs. "Das Angebot empfinden wir als sehr verlockend, und auch mein Vetter Arvo scheint durchaus begeistert zu sein. Wie Ihr ja selbst bemerkt haben möget"
"Nun, ich hatte schon befürchtet, Ihr würdet meinen Vorschlag als zu forsch empfinden. Immerhin handelt es sich ja um den Lehrer und Mentor meiner geliebten Schwester.."
"Ach was" warf Oldebor lächelnd ein, "das stellt überhaupt kein Problem dar. Die Familie Hartsteen ist eine sehr alte und... alte Familie, die das Reich von Gründung an begleitet und geführt hat. Viele berühmte Grafen und Amtsträger des Reiches hat sie vorgebracht. Denkt nur an Euren Urahnen Hlûdewig von Hartsteen, der in der Schlacht auf den Blutfeldern seinen Tod fand. Seinerzeit war er einer der einflußreichsten Herrscher an der Seite des Kaiserhauses. Und auch wenn heute der Stellenwert der Familie nicht mehr der ist, der er mal war" bei diesen Worten verfinsterte sich leicht der Blick Hilberts von Hartsteen, "so ist die Familie doch immernoch eine der ersten im Königreich und der Grafschaft Hartsteen. Noch vor einigen Wochen habe ich bei der Gräfin übrigens einen sehr schönen Abend verlebt, viele bedeutende Vertreter des Reiches waren zu einer kleinen Gesellschaft geladen. Eine sehr auf Stil wertlegende Gräfin, meint Ihr nicht auch?"
Hilbert hustete leise und zuckte die Achseln. "Es tut mir leid, Eure Edelhochgeboren, aber Ihro Hochwohlgeboren hat bereits mehrere meiner Bitten und Anfragen unbeantwortet gelassen, meinen Vater in der Familiengruft beisetzen zu lassen."
"Ach, das sieht der guten, alten Thuronia aber garnicht ähnlich. Vielleicht kann ich ja mal sehen, ob ich etwas für Euren Vater tuen kann."
"Eure Edelhochgeboren, das wäre von äußerster Freundlichkeit!"
"Aber zurück zu Eurem Brief, Don Hilbert, ich schlage vor, dass wir die Heirat der Häuser Hartsteen und Weyringhaus in nächster Zeit bekannt geben. Natürlich müssen noch ein offizieller Heiratsvertrag ausgearbeitet werden und der Festakt geplant werden, aber das werden wir natürlich hier auf Geldana erledigen. Eure Schwester würde damit zu einer Weyringhaus-Hartsteen, ganz den Gepflogenheiten des Zeremoniells. Sagt habt Ihr eine Vorstellung betreffs des Termins?"
"Was haltet Ihr davon im Praios bereits diese Liason zu feiern. Die Jahreszeit ist trefflich für eine schöne Jagd."
"Recht habt Ihr. Ich denke, die Vorbereitungszeit von einem Mond läßt nur eine kleine Feierlichkeit für geladene Gäste zu, und keine ausufernde Feier. Quasi eine Familienfeier im kleinen Rahmen."
Hilbert schaute den Burggrafen sehr zufrieden an: "Sehr gut, das gefällt sehr gut. Eine gute Verbindung, die da entsteht. Die älteste Familie des Reiches mit der größten."
"Eine wirklich nicht sehr aussergewöhliche Verbindung, denn natürlich hat sich die Familie Weyringhaus in der Vergangenheit oft mit der Familie Hartsteen verbunden. Seht es als Auffrischung alter Bande zwischen zwei alten und guten Freunden" endete Oldebor den Spaziergang. "Ich wünsche Euch einen guten und erholsamen Schlaf, und erbringt mir Grüße in das schöne Waldstein, wenn Ihr morgen wieder aufbrecht."
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