Geschichten:Nicht mit leeren Händen - Das Auge des Fuchses
Am Reisenden Kaiserhof, einige Tage später, zur abendlichen Phexensstunde
Eigentlich durfte sie nicht hier sein - zumindest nicht allein, nicht unbeaufsichtigt. Aber was war schon ein Verbot? In den Augen des Fuchses doch nichts anderes als eine Herausforderung, es möglichst gewitzt zu umgehen. Also war sie jetzt hier.
Elea ließ die Münze zwischen ihren Fingern tanzen. Ab und zu blitzte das Silber mit dem Zeichen des Fuchses auf, als spiegelte es das Licht des Vollmondes wider - hier in dieser fensterlosen Kammer. Die Münze war nicht einfach nur ein Silbertaler. Auf ihr lag ein Segen, gewirkt von gleich drei Hochgeweihten aus den Garether Tempeln im Beisein handverlesener Mondschatten und verschwiegener Gefolgsleute. Wenn die Zahlmeisterin damit die Gunst ihres Gottes erbat, dann sprach sie nicht für sich allein - dann hatte sie all diese Stimmen hinter sich.
Sie legte die Münze auf das Auge des Morgens. In Gedanken stellte sie ihrem Herrn die allseitigen Vorteile des gewünschten Handels dar. Und sie sprach nicht allein.
Im Licht der Münze erwachte das Auge. Elea schrieb auf, was sie sah. Bald waren es nicht mehr ihre Augen, die betrachteten; ihr Geist, der Worte formte; ihre Finger, die sie niederschrieben. Bald war sie nur noch die Botin, flossen die Bilder ohne Umwege in die Botschaft.
Als sie wieder zu sich kam, waren von draußen schon die Geräusche eines erwachenden Hofes zu hören. Es würde nicht ganz so einfach sein, diese Kammer genauso ungesehen zu verlassen wie sie zu betreten. Aber warum sollte es auch einfach sein? Vor Elea lagen Briefumschläge, alle gesiegelt mit einem grauen Fuchskopf. Manche Umschläge waren dünn und enthielten wohl nur ein einziges Blatt. Andere waren dicker, als würde sich unter dem Siegel noch ein weiteres verschlossenes Schriftstück verbergen. In wieder anderen ließen sich gar kleine Gegenstände ertasten.
Jeder Brief trug, säuberlich beschriftet mit einer grauen Tinte, in der silberne Sprenkel glitzerten, einen Namen:
Und darunter, bei jedem dieser Briefe gleich, ein Zeichen. Es war ein geschachtes Rechteck von dreimal drei Feldern, nicht unähnlich dem Wappen des Kor-Kultes, doch nicht in Rot und Schwarz, sondern in hellem und dunklem Grau gehalten. Vor diesem Hintergrund zeichnete sich die Tinte deutlich ab, denn in jedem Feld stand genau ein Wort:
Die Botschaft soll
Mond und Fuchs
wie Silber künden
“Dank dir, Herr Phex”, murmelte Elea. “Sie gehen nicht mit leeren Händen.”