Geschichten:Nie Wider Fron und Lehen - Die Pagin
Burg Yossenfels, 7. Travia 1036 BF
Gelangweilt ließ Thyria den geölten Lappen über den Ledersattel gleiten. Sie verstand nicht, warum sie heute erneut diese Arbeit verrichten musste, wo sie erst gestern den Sattel ihres Herren poliert hatte. Aber Helmbrecht von Yossenstein schickte seine Pagin, trotz ihres Einwandes, hinaus zu den Ställen.
Sie war nicht die einzige dort. Auch Lydia befand sich hier und fütterte die Tiere. Sie war nur einige Jahre älter, und Thyria mochte sie. Sie verstand sich mit ihr sehr gut, und sie hatten sich eigenlich immer etwas zu erzählen. Und ab und zu nahm sie sie sogar mit hinaus in die Wälder, wo Lydia mit ihrem Bogen das Abendessen des Burgherren schoß. Thyria genoss diese Stunden in der Natur, wo sie nicht mehr unter der direkten Knute Helmbrechts stand.
Doch heute waren beide in ihren Gedanken versunken. Thyria stierte nur auf den matt glänzenden Sattel, während Lydia den Pferden frischen Hafer gab.
Thyria sann darüber nach, wie wohl das Ende ihrer Pagenzeit gefeiert werden würde. Vermutlich nicht so feierlich, wie sie sich das erträumte. Von Yossenstein hielt nicht viel von dem jüngsten Abkömmling des Ritters von Rond. Genau genommen war ihre Pagenzeit eine reine Pflichterfüllung für beide Seiten. Helmbrecht erfüllte Halgan einen gefallen, um die Freundschaft zwischen den beiden Familien zu erhalten, und Thyria ... naja, sie wollte eigenlich keine Ritterin werden. Dies traute sie sich aber weder ihrem Vater, noch Helmbrecht von Yossenstein zu sagen. Was aber nicht bedeutete, dass sie nicht längst durchschaut wurde.
Schon in den ersten Jahren ihrer Pagenzeit erkannte man bei den Übungen mit dem Holzschwert, dass das blasse Mädchen für den Kampf einfach nicht geschaffen war, also verschob sich das Gros ihrer Pflichten in den demütigen Arbeiten, welche einem Pagen Pflichtbewusstsein und Gehorsamkeit einbläuen sollten. Auf Burg Yossenstein bedeutete dies zum Großteil Drecksarbeit. Die Holzschwertübungen fanden nur noch spärlich alle zwei Wochen statt, worüber Thyria gar nicht so traurig war.
Vermutlich würde bei der Zeremonie einfach nur unfeierlich ihr neues Kurzschwert überreicht und sie wieder nach Hause geschickt werden. Eigentlicht sollte diese Feierlichkeit bereits vor Wochen stattfinden, aber aus, ihr unbekannten Gründen, verschob der Herr von Yossenstein dies immer wieder. Etwas schien vor sich zu gehen auf der Burg ... etwas, in das Thyria nicht eingeweiht wurde, und gerade deswegen ihre Neugier weckte.
Einige neue Gesichter hatten sie in den letzten Monden auf der Burg gesehen. Seitdem wurde sie öfters als sonst üblich, wegen privaten Unterredungen aus dem Saal geschickt. Lydia meinte, dies wären alles Söldnervolk.
Eines dieser neuen Gesichter war Thyria unheimlich, und ausgerechnet dieser Mann hatte sich vor ein paar Tagen scheinbar dauerhaft in der Burg eingerichtet. Er hatte dunkle Haare und Augen, und einen südlichen Teint. Thyria vermutete, dass er aus Almada kam, auch wenn er nicht mit diesem rassigen almadanischen Akzent sprach, den sie so mochte.
Er trug stets einen Panzerhandschuh auf seiner linken Hand. Thyria hatte einmal heimlich beobachtet, wie der Mann, der al´Ceelar gennant wurde, seinen Panzerhandschuh mitsamt Hand abgenommen hatte. Seitdem war er der Pagin sogar noch unheimlicher, und sie versuchte ihm stets aus dem Weg zu gehen.
Dieser Mann schien jedenfalls dem Yossensteiner sehr wichtig zu sein. Sie haben sich oft zurückgezogen um irgendetwas zu Besprechen und Thyria hatte immer den Eindruck, daß sie dabei zu keinem Ergebis kamen. Doch Thyria war weder blind noch taub, und sie bekam gerade genug mit, um zu wissen, daß es um eine Familie im Norden ging.
Das Mädchen versuchte allerdings nicht zu forsch in ihren Erkundungen zu sein, da sie eine harte Strafe fürchtete.
In diesem Moment kündigte etwas Lärm am Burgtor neuen Besuch an. Thyria beschloss, dass ihre Arbeit am Sattel damit beendet war (war sie eigentlich auch gestern schon), und so lugte sie aus dem Stalltor hinaus, um einen Blick auf die Besucher zu erhaschen. Es waren drei Reiter, mit einem rot weißen Banner und einem Stern auf der oberen Hälfte. Thyria hatte das Wappen schonmal gesehen, wusste aber nicht wo. Somit mussten dies Adlige aus der Umgebung sein, welche ihrem Herren einen Besuch abstatten möchten.
Thyria müsste nun eigentlich an der Seite ihres Herren sein, um diesem zu Diensten zu sein, doch als sie an sich hinab blickte, seuftze sie genervt. Ihre Hände waren schmnutzig mit der Lederschmiere, so auch ihre Tunika, und bestimmt hatte sie auch den ein oder anderen Schlieren im Gesicht.
So eilte sie schnell in ihre Kammer und bekam das besorgte Stirnrunzeln Lydias somit nicht mehr mit, als diese die Besucher sah. Sie wusch sich rasch und wechselte die Kleider. Ihren Haaren widmete sie wenig Aufmerksamkeit, da sie bereits viel Zeit verloren hatte, um die Schmiere von den Händen zu reiben.
Bestimmt war der Besuch bereits im Thronsaal. Warum musste sie auch diese sinnlose Arbeit machen. Sie ahnte schon, dass der Yossensteiner eine derbe Rüge für sie parat hielt.
Als sie hinab zum Thronsaal eilte, blieb sie überrascht im Gang stehen. Mehrere Wachleute standen vor der Tür zum Saal, und bereiteten sich scheinbar darauf vor, diesen zu stürmen. Der Weibel stand an der Tür und horchte den Stimmen dahinter, welche immer lauter wurden.
Zögernd trat sie näher, und gab den vordersten beiden Wachen den Wink, dass sie eintreten wollte. Einer der beiden schüttelte den Kopf. "Nein, nicht diesmal, kleine Krähe."
Ein Spitzname, den sich der Wachmann, namens Hane, ausgedacht hatte, weil Thyria solch rabenschwarzes Haar hatte und sehr schmächtig war. Vermutlich hatte er es neckisch freundlich gemeint, doch die anderen Wachleute übernahmen den Spitznamen schnell und er verbreitete sich bald in der ganzen Burg ... allerdings eher spöttisch als freundlich.
"Warum? Was geht da vor?", wollte Thyria wissen.
"Das ist nicht deine Angelegenheit, kleine Krähe."
"Aber der Hohe Herr -", setzte Thyria nach, doch Hane unterbrach sie sogleich.
"... erwartet dich nicht. Also verschwinde jetzt!" Er sagte die Worte ruhig, aber Thyria konnte die Dringlichkeit in seinen Augen sehen.
Langsam und argwöhnisch zog sich Thyria den Gang zurück aber behielt das Geschehen im Auge. Die Stimmen hinter der Tür wurden nun sehr laut und zornig.
Als der Burgherr dann nach den Wachen rief, stieß der Weibel die Tür auf und alle stürmten in den Saal, um die Besucher in Gefangene zu verwandeln.
Nachdem man den Dreien die Waffen abgenommen hatte, führte man sie aus dem Saal. Thyria drückte sich in eine Nische um Niemanden im Weg zu sein. In diesem Moment konnte sie einen richtigen Blick auf die Gefangenen erhaschen. Die beiden Männer wirkten recht aufgebracht über die Wendung ihres Besuches. Die üppige Frau ebenfalls, aber man konnte ihr Ansehen, dass sie vesuchte ihre Besorgnis zu überspielen. Trotz aller Empörung leisteten sie kaum Widerstand, da sie vermutlich die Aussichtslosigkeit einer solchen Aktion erkannten.
Thyria trat aus der Nische und blickte den fremden Gefangenen hinterher. Sie fragte sich, was sie wohl verbrochen haben mögen, um als Gefangene zu enden.
Da fiel ihr plötzlich ein, dass sie besser schnell zu ihrem Herren eilen sollte, um sich für ihre Abwesenheit zu entschuldigen. Gerade als sie herumwirbelte, um in den Saal zu laufen, stieß sie mit jemanden zusammen, der hinter sie getreten war. Überrascht blinzelnd fing sie sich wieder und blickte auf. Ihr Blut gefror ihr in den Adern, als sie den unheimlichen Besucher aus dem Süden erblickte. Sein harter Blick traf sie, worauf Thyria eingeschüchtert den Kopf einzog.
Die Pagin erwartete in diesem Moment eine harte Ohrlasche, einen Dolch durch die Brust, eine Verwünschung sondergleichen ... doch der Mann starrte sie einen Augenblick gleichgültig mit seinem kalten Blick an (ein Augenblick, der Thyria wie Stunden vorkam), ehe er sie bei Seite schob und seinen Weg fortsetzte.
Helmbrecht hatte mit triumphierenden Lächeln zu dem Südländer aufgeholt. "Dieser Schritt wäre erledigt! Nun müssen wir nur herausfinden, welches der Vögelchen am besten Zwitschern kann", sagte der Burgherr, während er an Thyria vorbei ging, ohne ihr einen Blick zu würdigen.
"Ich würde die Dicke nehmen", sagte al´Ceelar knapp, und Helmbrecht nickte zustimmend.
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