Geschichten:Niederes Waidwerk
Man hörte Zweige und Äste brechen. Mit großer Hast näherte er sich und brach dabei wütend durch das Unterholz. Die Treiber hatten ihre liebe Not und große Mühe, ihre Beute in die richtige Richtung zu hetzen. Sie klapperten wild, machten arges Geräusch und riefen recht oft: „Da hinten ist das Schwein!“ Der Forst bei Schwarzenturm war bestens geeignet für die Schweinejagd – das Unterholz meist licht, die Bäche flach, die hübsch verteilten Lichtungen großzügig.
„Olfing, ich höre ihn. Er kommt von Südwest?“
„Jawohl, mein Marschall. Von Südwest. Ich sage es Euch, wenn ich ihn sehe. Hier ist die Armbrust. Die anderen beiden habe ich schon gespannt.“
„Sehr gut“, krächzte Mühlingen. Er saß unbequem, halb stehend auf einem Hocker mit nur einem Bein. Verflixtes Ding! Nur ein Bein – das ist kein rechter Hocker! Er fühlte sich eigentlich genau wie dieser Hocker: Zwar hatte er noch beide Beine, aber die waren zusammen weniger wert als eines. Und dann die Augen! Es war heller Sonnenschein, der Mittag gerade vorbei. Da mochte es noch angehen, die Bäume am Rand der Lichtung zu erkennen. Aber das Schwein? Wenn es rannte? Womöglich direkt auf ihn zu? Olfing war ja da, das wusste er. Und dass der gute Quindan kurz hinter ihm ebenfalls eine Armbrust hatte, wusste er auch. Und dass die Dreizahn noch einen spitzen Saufänger bereit hielt, wusste er auch. Er konnte sich auf diese Hauptleute verlassen, auch und grade bei dieser Sauhatz.
Wieder krachte es im Gehölz. Der Keiler war ganz nah, gleich würde er auf die Lichtung stürzen. Schlau war die Bestie, der Marschall war ihr schon oft auf den Leim gegangen. Aber heute nicht! Nicht heute.
„Da, gleich springt er ins Licht!“, rief Olfing aufgeregt. Seine frischen Hauptmannszeichen glitzerten.
Der Marschall hob die Armbrust und spähte in den Schatten. Da waren verdammt viele Schatten, verdammte Sauerei. Welcher war das Schwein? Da! Der bewegte sich flink. Der Marschall wartete. Wartete. Er war ein geduldiger Jäger. Einer, der kein Risiko einging.
„Schießt!“, rief die Dreizahn, doch der Marschall wartete noch einen Moment.
Dann sauste der Bolzen los und traf.
„Da fällt das Schwein!“, rief Olfing begeistert und reichte dem Marschall die zweite Armbrust, nachdem er die abgeschossene ins Gras hatte fallen lassen. Ächzend erhob er sich und humpelte auf seine Beute zu. Jeder Schritt schmerzte schon beim Zuschauen. Durch die Lücke, die des Marschalls O-Beine ließen, hätte eine ganze Wildschweinfamilie fliehen können. Grausam, dachte der Marschall. Das Alter ist nichts für Feiglinge. Und warum lassen die Götter den Arzt vor dem Patienten gehen? Sein Medicus Usrallah war eines Winterabends einfach eingeschlafen und friedlich ins Jenseits hinübergeschlummert.
Das hier war nicht ganz so friedlich. Der Bolzen hatte nicht gesessen. Zwar spritzte das Blut aus einer Schlagader – das Ende würde kommen, aber nicht so bald. Stöhnend baute sich der Marschall auf und hob die Armbrust, zielte auf das Auge der Bestie. Darinnen sah er das Erkennen.
Der Marschall ließ den Bolzen von der Sehne, der sich tief in den Schädel des Schweins bohrte. Er ließ die Armbrust sinken und betrachtete sein Waidwerk. Dann schüttelte er angewidert den Kopf und spuckte aus: „Ich bin enttäuscht, mein Illo.“
Zu seinen Begleitern rief er: „Lasst ihn den Schweinen liegen – dann ist er bei seinesgleichen.“
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