Geschichten:Nur das Gold und die Familie
Auf einer Straße in Retogau im Peraine 1038
Die edle geschlossene Kutsche mit vergoldeten Beschlägen wurde von sechs wunderschönen Alriksmärker Rössern durch Kaisermark gezogen. Das Dutzend berittener Gardisten in rot und silber, der aufwändig kostümierte Kutscher sowie die beiden in feinen Röcken gewandeten Lakaien, die am Heck der Kutsche standen, ließen den einen oder anderen Beobachter einen Prinz oder eine Prinzessin aus kaiserlichem Hause vermuten.
Statt dessen lag die Herrin des protzigen Zuges mehr, als dass sie saß, ganz und gar unprinzessinnenhaft im Inneren und ließ sich ein paar almadanische Trauben schmecken, die sie sich eigens hatte von dort bringen lassen, da jene aus der Kaisermark und Eslamsgrund ihr zu sauer waren.
Ihr gegenüber saß ihre Tochter, ebenfalls ganz unprinzessinnenhaft, breitbeinig mit breiten muskelbepackten Schultern in dem typischen, wenn auch teurem Leder einer Schwertgesellin, den Anderthalbhänder, ein feines Stück Schmiedekunst aus der Werkstätten Eisingers in edler Scheide hinter die Bank geklemmt.
"Firni, Du weißt ja, warum die Beziehung zu den Dreudwindern so wichtig ist, oder?", sprach die Mutter ihre Tochter an, die ja eigentlich Firntrude hieß.
Gelangweilt spuckte die Angesprochene den teueren Mohakka aus dem Kutschenfenster, "Mutter, hör auf, mir alles immer wieder zu sagen. Dieser Dreudwinder hilft Dir mit Deinen Waffengeschäften über die Grenzen hinweg."
Die Mutter, die man überall als "Bolzen-Walli" kannte, ließ nicht locker: "Und?"
"Und dann können wir an beiden Seiten verdienen - Haffax und Reich. Reicht das? Sind wir hier in der verdammten Praiostags-Schule?", sichtlich genervt nahm die jüngere ihr Schwert und klopfte mit dem Knauf dreimal an die Decke.
Während der Kutscher dem Befehl nachkam und Kutsche und Kolonne zum Halten brachte, funkelte Bolzen-Walli ihre Tochter an: "Was soll das jetzt werden?"
Die jüngere, die sich wohl als einzige dauerhaft ihrer Mutter widersetzen durfte, machte ein schnippisches Gesicht. "Ich werde ein wenig reiten, Weibel Jergensieper kann Dich ja so lange unterhalten. Sieh nur zu, dass er draußen ist, bevor der Dreudwinder reinkommt." Sie machte mit ihren Fingern eine eindeutige Geste, "Du weißt ja, warum die Beziehung zu den Dreudwindern so wichtig ist, oder?"
Firntrude, die sich von ihren Saufkumpanen lieber "Yppolita" nennen ließ (nach der berühmten Amazonenkönigin, nicht nach der Prinzessin!) und es hasste, wenn ihre Mutter schon mit "Firni" anfing, ließ sich zurückfallen. Sie verabscheute die schrecklichen Protzereien ihrer Mutter. Es schien fast, als müsse diese jetzt, wo man ihr die halbe Alriksmark verpfändet hatte, jedem zeigen, dass sie reicher als die Weyringhauser wäre. Auf jeden Fall musste Yppolita nicht zuhören, wie der Jergensieper ihrer Mutter die Reise verkürzte. Als der Abstand groß genug war, sprang sie aus dem Sattel, warf die Zügel achtlos über einen Ast und sprang hinter eine Mauer, die das Feld von der Straße trennt um sich dort in Ruhe zu erleichtern.
Der Prunkzug war bereits hinter dem nächsten Hügel verschwunden und Yppolita trieb das Pferd an, um noch aufzuholen, bevor ihre Mutter auf die Dreudwinder traf, und sie nicht dabei war. Auf dem Hügelkamm angekommen, konnte sie recht weit in das fruchtbare Hügelland Retogaus hineinschauen und erblickte auch die Kutsche, die vor einer kleinen steinernen Brücke zum Stehen gekommen war.
Die übrigen elf Reiter waren bereits über die Brücke, als das Gemetzel los ging: Von unter der Brücke und hinter den Mäuerchen zur linken und rechten des Weges tauchten plötzlich Armbruster auf, die den völlig überraschten Gardisten in den Rücken schossen. Drei von ihnen konnten noch die Säbel ziehen, einer davon sogar noch einem der Mordbuben den Bauch aufschlitzen, dann war der Spuk zu Ende.
Yppolita grinste, als der Weibel mit offenen Nesteln aus der Kutsche sprang. Als er nach vorne stürmte traf ihn der schwere Stiefel des Kutschers ins Gesicht und warf ihn zu Boden. Die Diener hingegen waren abgesprungen und rannten auf Yppolita zu. Beide wurden von mehreren Bolzen aus den nachgeladenen Armbrüsten niedergestreckt.
Waltrude Fuchsberger, die man überall hinter vorgehaltener Hand "Bolzen-Walli" nannte, hatte sich erst um den korrekten Sitz ihrer Kleidung bemüht. Jetzt aber stieg sie - kreidebleich zwar, aber doch gefasst - aus der Kutsche und über den Weibel hinweg. Sie schaute ins Rund der Mordbuben, bis sie den etwas abseits stehenden Glatzkopf erkannte.
"Dreudwinder!", schmale zitternde Lippen versuchten die Fassung zu erhalten. "Wenn Euch nicht einmal mehr das Geschäft heilig ist, was dann?"
Yppolita drehte ihr Pferd. So sehr sie den Tod ihrer Mutter herbeigesehnt hatte, sie musste Bolzen-Walli nicht sterben sehen. Der Verrat lastete bereits schwer genug auf ihrer Seele: Dreudwinder würde die Waffengeschäfte bekommen und Yppolita genug aus dem Vermögen der Mutter, um es im Alrikshainer Stadtpalas der Familie entspannt bis zu ihrem Lebensende zu verpulvern.
Die Bolzen die nacheinander in ihren Rücken einschlugen und deren blutige Spitzen nun aus ihrer Brust ragten, brachten dieses Lebensende überraschend näher und zeigten Yppolita, dass auch sie sich in Dreudwinder geirrt hatte. Während sie aus dem Sattel rutschend hart auf dem Boden aufschlug hörte sie noch die schnarrende Stimme des Glatzkopfs, "Das Gold natürlich. Meine Familie und das Gold. Alles andere ist unwichtig."
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