Geschichten:Offenbarungen
Fredegard von Hauberach genoss in einer der besten Lokalitäten der Reichsstadt einen vorzüglichen Roten, während sie auf ihre Ziehtochter Janne wartete. Leicht verdrießlich wirkend ließ sie ihren Blick über die an diesem warmen Frühlingsabend gut gefüllte Gaststube schweifen. Soviel sinn- und inhaltsleeres Gerede, furchtbar! Aber zuweilen dennoch ganz unterhaltsam: Eine gelöste Verlobung sowie ein verzweifelter Händler, dem gerade der rettende Kredit verwehrt worden und darob völlig aufgelöst war, sorgten aber für zumindest ein wenig amüsante Abwechslung.
Pünktlich, wie auch nicht anders zu erwarten gewesen war, betrat Janne das Haus, schaute sich kurz um, und ging zielstrebig auf Fredegards Tisch zu, dabei einen Bediensteten, der sie ob ihres vermeintlich recht niedrigen Standes anscheinend hinauszukomplimentieren gedachte, ignorierend.
"Ah, da bist Du ja, mein Kind! Pünktlich wie immer. Es freut mich, dass wir wieder einmal gemeinsam einen Abend verbringen. Ich habe unserer Essen bereits bestellt, sodass wir keine unnötige Zeit verlieren."
"Ich danke für die Einladung, Mutter, auch wenn ich nicht sicher bin, ob das hier die richtige Lokalität für mich ist."
"Ist sie.", erwiderte die Alt-Baronin zu Vellberg trocken. "Nur Narren, wie dieser Bursche gerade, halten sich mit Äußerlichkeiten auf. Ignoriere ihn, wie Du es vorhin tatest, durch entschlossenes Auftreten, der Rest ergibt sich dann meist von selbst. Ansonsten stocken wir halt Deine Garderobe bei nächster Gelegenheit entsprechend auf. Doch genug davon. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, habe ich Dich nicht nur hergebeten, damit wir bei einem guten Essen ein wenig plaudern können, sosehr ich das sonst auch genieße, Janne."
"Oh, jetzt bin ich aber wirklich überrascht", erwiderte das Mädchen mit einem Anflug von Sarkasmus und einem angedeuteten Lächeln. "Gibt es ein Problem, dessen ich mich annehmen soll?"
"Klug mitgedacht, mein Kind, aber nein. Ob es ein Problem gibt, wird sich noch zeigen, aber annehmen werde ich mich dessen dieses Mal persönlich. Ich habe die letzten Nächte Visionen unseres Herrn empfangen und natürlich sofort niedergeschrieben. Lies´ selbst." Die Adlige schob ihrem Schützling eine Notiz mit folgendem Inhalt über den Tisch:
Das Mädchen las die Worte aufmerksam und schob danach das Pergament zurück.
"Ich verstehe. Was für eine große Ehre, dass ER Euch für eine so bedeutende Aufgabe ausgewählt und zum Gefäß seines Willens gemacht hat."
"Dem ich gedenke, gerecht zu werden. Ich will unser beider Zeit hier nicht mit unnützen Details verschwenden. Es genügt, dass ich die Fingerzeige des wahren Götterfürsten mittlerweile weitgehend ein- und zuordnen konnte und aufgrund dessen morgen nach Garetien aufbrechen werde."
"Eurer Wortwahl entnehme ich, dass ich Euch dieses Mal nicht begleiten, sondern hier bleiben soll?" Wenn Janne enttäuscht darüber war, dass Fredegard sie nicht mitzunehmen gedachte, dann verbarg sie es gut.
"So ist es. Erstens würde eine längere Abwesenheit Deine Stellung in Zackenberg unnötig gefährden oder dort zumindest lästige Fragen aufwerfen. Zweitens haben meine Enkelinnen Dich schon nach der bisher kurzen Zeit mit ihnen in ihre Herzen geschlossen. Das sollten wir nicht durch eine mehrwöchige Abwesenheit Deinerseits aufs Spiel setzen. Und Drittens wirst Du Dich während meiner Abwesenheit um unseren Tempel und die Glaubenden kümmern. Dafür brauche ich nicht irgendwen, sondern Dich. Betrachte es als letzte Prüfung vor Deiner Weihe. Und keine Sorge, ich werde Dir nach meiner Rückkehr alles erzählen. Vorerst nur so viel: Ich werde mich nach Königlich Halhof begeben, wo in ein paar Wochen die Kaiserin mit ihrem Gefolge residieren und sich huldigen lassen wird. Bei derlei Zusammenkünften gilt es, freundlich zu lächeln, bedeutungsvoll zu nicken und über schlechte Witze zu lachen, während man zugleich Augen und Ohren offenhält. Das Alles wäre auch was für Dich, weswegen Du mich bei der nächsten solchen Gelegenheit begleiten und dabei einiges Lernen wirst.
Von Halhof wird es wenig später dann hoffentlich weiter in die Ausläufer des Raschtulswalls gehen, wo der Zielort meiner Visionen liegt.
Und lass´ unter uns diese förmlichen Anreden, Janne; Du bist schließlich keine Bauernmagd sondern meine Tochter."
"Oh, d-danke. Ihr-, Du ahnst nicht, wieviel mir dies bedeutet. Ich wünsche Dir jedenfalls alles Gute und den Segen des Güldenen. Und - pass´ auf Dich auf, ja?"
"Na, wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich glatt glauben, Du sorgtest Dich um mich, Janne.", antwortete Fredegard mit einem Anflug von Rührung in der Stimme, während die Angesprochene leicht verlegen zur Seite schaute. "Aber keine Angst, ich kann noch ganz gut selbst auf mich achtgeben. Bevor Du nach Zackenberg zurückreist, habe ich übrigens noch eine kleine Aufgabe für Dich. Du erinnerst Dich noch an diese penetrante Tintenkleckserin von der 'Perricumer Postille', die mir schon seit einiger Zeit eben diese samt Nerven raubt? Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr die ehemalige Baronin fort: "Nimm´ Dich ihrer doch bei Gelegenheit an, ja?"
"Das werde ich, Mutter. Ich habe dazu auch schon ein paar Ideen, die ich schon immer mal ausprobieren wollte.", erwiderte Janne mit einem sardonischen Lächeln.
"Ich sehe schon, unsere Gemeinde ist während meiner Abwesenheit bei Dir in guten Händen", dabei die Hände des Mädchens sanft umschließend. Aber vergiss´ nicht: Kein unnötiges Aufsehen!
Ah, der Braten!"
Die Beiden verbrachten noch die nächsten zwei Stunden in angeregter Unterhaltung und gelöster Stimmung in dem Gasthaus, bevor sie sich herzlich voneinander verabschiedeten, wobei die Adlige beim Hinausgehen ein zerknülltes Pergament in den lodernden Kamin warf.
Am nächsten Morgen machte sich Fredegard zusammen mit einer Dienerin und zwei Söldlingen auf den Weg nach Halhof.