Geschichten:Oh, mein gülden Raulsfeld - Nur nicht Alarasruh
Es war ein warmer Tag in diesem Frühling, die Sonne schien, das zarte Frühlingsgrün wechselte in die satteren, sommerlichen Töne, Blumen erblühten, und gerade hier, im Hof des Schlosses Sonnentor, waren die Gärtner bedacht, das Blumenbunt des nahenden Sommers in schönen Beeten und Arrangements bestmöglich zu präsentieren. Da es der geschäftige Vormittag eines Efferdtages war, schufteten zahlreiche Bedienstete auf dem Hof entluden Karren, fertigten die Wasserlieferung ab, vertrieben die Bettler und Hunde, putzten Fenster, harkten Kies und spalteten Holz für die Öfen in der Küche und Waschküche.
Alara von Eberstamm war überrascht, wie viele Personen für den Markvogt an einem so gewöhnlichen Tag arbeiteten. Wenn sie an ihre Hofhaltung im Torhaus des Schlosses Ochsenblut dachte, wundert sie sich einmal mehr, wie ihr Vater dies so viele Jahre hatte aushalten können. ohne daran etwas zu ändern. »Siehst Du, Rondrian, das ist das Schloss des Markvogtes. Ist es nicht prächtig?« Der Junge, etwas über zahn Jahre alt, sehr kräftig gebaut und mit dem dunklen und zottigen Haar seiner Familie versehen, blickte staunend aus der offenen Kutsche, mit der die Burggräfin von Ochsenblut sich nach Gareth hatte bringen lassen. Nur zwei Mann Bedeckung hatten ausreichen müssen.
»Seine Hochwohlgeboren? Findet Ihr in der Scheune, edle Dame«, gab ein livrierter Diener zur Antwort. »Ich führe Euch dorthin.«
›Scheune?‹, dachte Alara, schritt dann aber wacker hinter dem Diener her. ›Hm, Lakaien in herrschaftlicher Livree haben etwas‹, fand die Burggräfin.
Die Scheune befand sich bei anderen Wirtschaftsgebäuden am Rande des Grundstücks, jenseits des Heckenlabyrinths. Es war ein geräumiger Bau aus Holz, flankiert von Stallungen, Werkstätten und Wohnhäusern von Bediensteten. Dass Scheunentor in der Mitte der Langseite stand weit offen, sein Zwillingsstück gegenüber auch, so dass der Frühling unter das Dach wehen konnte. Auf einigen Strohballen saßen Männer und Frauen und sahen zwei weiteren Männern zu, die im Innern der Scheune fochten. Diese trugen wattierte Waffenröcke, Handschuhe und Lederschürze sowie einen Korbhelm vor dem Gesicht. Gefochten wurde mit dem Rapier.
»I werd mit Sicherheit noch zu tuan bekommen«, brummte ein Dicker mit Glatze in breitem Warunker Dialekt und steckte sich etas Kandiertes in den Mund.
»Das glaube ich auch«, gab eine unscheinbare Frau in Magierrobe fröhlich zurück. »Was meinst Du, Calderina, willst Du es nachher auch noch versuchen?«
Die strohblonde Knappin schüttelte träge en Kopf: »Ich glaube nicht, Frau von Stechling. Ritter Kordian wird nachher so sauer sein, das der Markvogt ihn wieder gezwungen hat, mit diesen Dingern zu fechten …«
»Rapiers«, half ein weiterer Mann aus, der hinter Magierin und Knappin stand. Er war elegant, aber zurückhaltend gekleidet, sein dichtes schwarzes Haar bauschte sich auf seinem schmalen Schädel.
»Unsinn, Spalotin«, meldete sich der Dicke erneut, »mog ja sein, dass es in Eurem heiligen Aranien ›Rapjehs‹ heißt, aber des san hier ›Rapiere‹.«
»Sieh an, sieh an, unser Doktor Schimmelgeiß ist unter die Linguisten gegangen«, erwiderte Spalotin schnippisch.
»Eher Langusten, wenn Ihr mich fragt«, schnappte der dicke Doktor und schob sich erneut Kandiertes zwischen die feuchten Lippen.
»Wir haben Besuch«, die Magierin erhob sich. »Hesinde zum Gruße, Hochedelgeboren,«
»Ihr kennt mich?«, fragte Alara überrascht nach.
»Gewiss, Hochedelgeboren. Ihr seit Alara vom Eberstamm. Wir haben uns schon häufiger im Zedernkabinett gesehen. Ich .. das heißt wir drei begleiten Seine Hochwohlgeboren meistens zu den Sitzungen.«
Schimmelgeiß hatte sich nun genauso erhoben wie die Knappin. Er war flink und erstaunlich beweglich, einer von den agilen Dicken. Seine Verbeugung war sogar elegant. Die Burggräfin begrüßte die anderen gerade, als ein lauter Ruf sie unterbrach, und alle Köpfe sich wandten.
»Himmel, Arsch und Zwirn! Jetzt reicht’s, Herr Graf! Sucht Euch einen anderen, den Ihr Pieksen könnt!« Ritter Kordian warf die Korbmaske wütend in einen Winkel der Scheune und das Rapier in einen anderen. Sein Gesicht war schweißnass, das graue Haar klebte an seinem voluminösen Schädel, der durch die mehrfach gebrochene, breitgeschlagene Nase etwas Grobes hatte. Er hielt sich die linke Armbeuge, Blut war zu sehen. »Oder nehmt endlich wieder ein ordentliches Schwert!«, brüllte er den Markvogt der Kaisermark an. Dieser nahm nun ebenfalls die Maske ab und grinste über das ganze Gesicht. Auch er war schweißgebadet – sie waren eben beide keine jungen Männer mehr.
»Kommt, Ritter Kordian, Ihr habt es selbst gesagt: Möge der Bessere gewinnen!« Er lachte hell auf, was den alten Haudegen offenbar beruhigte. »Schimmelgeiß! Kommt herüber und verbindet diesem Ritter seinen Arm. Und wascht ihm den Mund mit Seife aus – er hat mich angebrüllt!«
»Sehr wohl!« Schimmelgeiß nahm nun seine Tasche und schlenderte zu Ritter Kordian hinüber. »Wenn Herr Graf vielleicht noch ein wenig Rosenwasser erübrigen können? Dann kann ich auch die Flüche noch fortwaschen!« Alle lachten, nur Kordian zog die Brauen zusammen.
»Wir haben Besuch? Ah! Domna Alara! Ich bin entzückt, Euch zu sehen!« Mit unerhörter Galanterie, die in krassem Widerspruch zur uneleganten Fechtkleidung und der ramponierten Frisur des Markvogtes stand, begrüßte er die Burggräfin mit Handkuss. »Was führt Euch zu mir?«
»Ich ... ich wollte nicht stören.«
»Ach, Unsinn. Das ist nur meine treue Meute hier. Ein bisschen in Bewegung bleiben. Und das ist Euer Sohn! Ganz der Großpapa!« Barnhelm gab dem großen Jungen die Hand, der sehr erwachsen zu erscheinen versuchte. Dann winkte er seinem Secretär, der von der auf einem Strohballen wartenden, eisgekühlten Limonade zwei Gläser einschenkte und sie dem Markvogt und der Burggräfin reichte.
»Danke, Spalotin. Worum geht es, Domna Alara? Wollen wir uns setzen? Diese Strohballen hier sind ganz exquisite Sessel – Raulsmärker Fertigung!«
»Ach was?« Die Burggräfin wirkte ziemlich verunsichert, weil sie offenbar nicht wusste, ob der Markvogt einen Scherz gemacht hatte. Sie setzte sich und nahm einen großen Schluck aus dem Glas. Rondrian setzte sich auf denselben Ballen neben seien Mutter, der Markvogt gegenüber.
»Warum sagen die denn Herr Graf zu dir? Ihr bist doch Marktvogt?«, piepste der Bengel.
»Ihr seid, heißt es. Ja, ich bin Markvogt, mein Kleiner, aber ich war auch einmal Graf. Und da die beiden Männer a und die Frau schon so lange bei mir sind, habe ich Ihnen das nicht mehr abgewöhnen können. Und es klingt auch besser als Herr Markvogt, oder?« Rondrian nickte.
»Hochwohlgeboren, folgendes …«
»Barnhelm, Verehrteste. Nur Barnhelm, wir sind doch unter uns.«
»Jawohl, Dom Barnhelm. Also folgendes: Ich bin hier, weil ich Euch fragen wollte, ob Ihr schon einmal das Marktrecht vergeben habt und worauf man da achten muss.«
Der Markvogt wirkte verblüfft: »Gewiss habe ich das. Ihr müsst das mit Urkunde und Zeugen und allem Pipapo erledigen. Um welchen Ort geht es denn?«
»Um Raulsknochen. Die dortige Junkerin hat jetzt schon mehrmals eine Warenschau abgehalten, die wohl so erfolgreich war, dass er jetzt allgemeines marktrecht für den Ort haben möchte.«
»Raulsknochen, soso. Da müsste ich auch mal wieder hin. Wisst Ihr, wenn die Stammbäume stimmen – und dafür haben die Generationen vor mir ganz sicher gesorgt –, dann fließt Raul Blut durch meine Adern! Was für ein Marktrecht will die Junkerin denn haben?«
»Ich weiß nicht, das Marktrecht eben.«
»Ihr könnt ein bestimmtes Marktrecht verleihen, Domna Alara. Beispielsweise nur für bestimmte Waren – Viehzeug etwa – oder nur in bestimmten Intervallen – alle vier Wochen zum Beispiel.«
»Aha. Was meint Ihr, ist denn sinnvoll?«
»Mal sehen – Spalotin! Komm mal her. Mach mir doch mal eine Karte von Ochsenblut und Umgebung hier in den Sand.« Der Secretär tat, wie ihm geheißen, und mit ziemlich sicherer Hand zeichnet er Grenzen, Dörfer und Straßen mit dem Griff eines Silberlöffels in den harten Lehmboden. Er wies auf einzelne Punkte und schrieb Anfangsbuchstaben daneben: »Raulsknochen, Weyring, Bienslach, Ährenfeld, hier Rudes Schild, Schloss Ochsenblut, Wagenhalt. Hier Gareth, da oben Rallerspfort, hier links noch Randersburg.«
Alara war beeindruckt. Der Markvogt wendete sich wieder an sie:
»Seht Ihr, Raulsknochen liegt nicht wirklich günstig für einen Markt. Bienslach wäre günstiger – liegt ja auch an der Reichsstraße zwischen den Märkten Weyring und Randersburg. Andererseits sollen die Bauern und Händler ja bis Weyring fahren und nicht in Bienslach abladen. Gut, Bienslach stört nicht. Was ist mit Ährenfeld?«
»Das gehört dem Junker von Heiterfeld.«
»Hm, Domna Alara. Das ist doch Euer treuester und reichster Vasall, oder? Wust ich’s doch. Ährenfeld liegt sehr günstig mitten in Eurem Lehen, mehrere Wege kreuzen sich hier. Wagenhalt und Rallerspfort mit seinen Märkten sind gleich weit entfernt. Eigentlich wäre Ährenfeld geeigneter. Und Ihr tätet Eurem reichsten und treuesten Vasallen einen Gefallen.«
»Also soll ich Ährenfeld zum Markt erheben? Obwohl der Junker gar nicht gefragt hat?«
»Ihr könnt machen, was Ihr wollt, Domna Alara. Aber ich würde der Junkerin von Raulsknochen das monatliche Marktrecht geben, mir das aber gut bezahlen lassen. Und dem Junker von Heiterfeld würde ich das Recht auf einen Wochenmarkt verleihen. Und mir das auch gut bezahlen lassen.«
»Warum gut bezahlen, Dom Barnhelm?«
»Weil die beiden Junker sehr hohe Einnahmen mit den Märkten erzielen werden: Mehr Handel, mehr Verkehr, mehr Geld. Und Geld kann man immer gebrauchen, oder?«
»Ja, schon. Aber wir haben doch kaum Ausgaben. Schloss Ochsenblut ist praktisch unbewohnbar, das Stadthaus in Elenvina finanziert mein Gatte …«
»Ihr habt gar keine echte Hofhaltung?«
»Nicht so wie Ihr. Eher … nein. Wir haben keinen Hof.«
»Na, seht Ihr! Verkauft nur recht teuer die beiden Marktrechte und baut Euch einfach ein neues Schloss! Nur Alarasruh solltet Ihr es nicht nennen!«
Mit einem ausgelassenen Lachen war das nun also eine entschiedene Sache.
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