Geschichten:Perricumer Ratsgeschichten - Zwei Löwinnen auf der Pirsch

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Weingut Wingarten vor den Toren der Reichsstadt Perricum, Anfang Praios 1037 BF


Die beiden älteren Damen musterten einander, stets lächelnd und mit einer gewissen Grandezza. Man plauderte über dies und jenes. Es hätte ein Plausch unter Nachbarn sein können, ein Austausch über den letzten Jahrgang des Perricumer Weines, doch ging es hierbei um mehr. Ihre Blicke ließen zuweilen erahnen, dass sich hier zwei Löwinnen umkreisten. Welche würde als erste ihre Deckung verlassen? Die beiden Ratsherrinen der Reichsstadt Perricum saßen in ausladenden Sesseln aus feinsten Mohagoni und soeben wurde Ihnen ein spezielles Getränk von den Waldinseln gereicht, Kakao mit Namen. Doch die Löwinnen umkreisten sich immer noch.

Es war schließlich die Hausherrin Pernilla von Zolipantessa die den ersten Vorstoß machte. „Verehrte Ginaya, die erste Ratssitzung des noch jungen und schicksalhaften Götterlaufes steht kurz bevor. Der Rat ist in Aufruhr, der Reichsvogt hat an Macht und Einfluss verloren und schon hört man seine potenziellen Nachfolger mit den Hufen scharren.“

„Sehr wohl, uns stehen stürmische Zeiten bevor.“ Das Oberhaupt der Familie Alxertis verhielt sich abwartend.

„Nun, wie Ihr wisst hat Ratsherr Rutaris den Vorschlag eingebracht, horasische Armbrüster anzuwerben. Ja ist das denn zu fassen? Haben wir hier in Perricum nicht genug fähige Männer und Frauen?“ Die Beirätin schaute auffordernd zu Ginaya von Alxertis.

"Sicher gibt es die. Aber ich meine auch, dass es für die Hiesigen an anderer Stelle weit bessere Verwendung gibt als das Verstümmeltwerden in irgendwelchen Gemetzeln", stimmte Ginaya zu und warf der Gastgeberin einen Blick über das Tässchen aus fein bemaltem Unauer Porzellan zu, "Außerdem scheinen mir die Liebfelder als Fremde gar nicht so schlecht für die ihnen zugedachte Aufgabe zu sein: Sie sind nicht in die Händel zwischen Raulschen ud Nebachoten verstrickt und sie wären entbehrliche städtische Soldaten. Ich bin sogar der Meinung, dass es nicht zu den Zwischenfällen mit der hiesigen Garnison wie letztes Jahr gekommen wäre, wenn wir damals schon über eine stärkere städtische Garde verfügt hätten. Doch natürlich hat das alles seinen Preis. Und da heißt es eben abwägen: Wie sehr soll die Stadtkasse belastet werden, zumal ja auch der Ratsherr Marix für den Ausbau Pelkhafens tief ins Säckel zu greifen gedenkt."

Ginaya stellte ihre Tasse ab: "Aber vielmehr interessieren mich eure Beweggründe für die von euch vorgebrachte Forderung nach Kontrolle der magischen Schulen. In Perricum hat es meiner Kenntnis nach seit der Invasion der Verdammten keinerlei Vorkommnisse gegeben, die zu solch einem Vorstoß Anlass bieten könnten."

„Meine Liebe, natürlich habt Ihr Recht, wir müssen den Blutzoll der unsrigen so gering wie möglich halten und wären es Fußtruppen so wäre ich voll und ganz bei Euch, aber Armbrüster? Die stehen nicht gerade an forderster Front. Zumal das stolzer Herz der Perricumer nicht zu vergessen wäre. Wie sieht das denn bitte aus wenn der Rat vor Perricum reichsfremde Söldner anheuern würde? Versteht mich nicht falsch, mir geht es hier nicht um die Kosten.“ Pernilla von Zolipantessa machte eine abwiegelnde Handbewegung und nahm sich ein Stück feinstes Gebäck bevor sie fortfuhr. „Nun, was den Vorschlag von Marix angeht, so bin ich da noch unentschlossen. Einerseits mag es sinnhaft sein, andererseits bin ich mir nicht sicher ob die Stadtkasse die Anwerbung von horasischen Söldnern UND den Ausbau von Pelkerhafen wird tragen können. Vermutlich müssen wir da Prioritäten setzten. Oder meint Ihr die Stadt kann sich beides leisten?“

"Oh, ich bin sicher, dass sie das könnte. Und obgleich ich bisher dem Vorschlag von Herrn Rutaris zuneigte, verstehe ich Eure Bedenken sehr gut und werde sie mir zu Herzen nehmen."

„Aus Eurem Munde spricht die Weisheit Hesindes“. Pernilla lächelte verschmitzt. „Ich bin sicher Ihr werdet dabei im Blick haben, wer mit Euren Stimmverhalten seinen Einfluss ausbauen kann. Angenommen Ihr gäbet Eure Stimme dem Vorschlag von Rutaris, so würde sich sein Einfluss, aber auch der der Ratsherren Falswegen, Quintian-Hohenfels und Marix enorm steigern – mehr als es euch zu Gute kommen würde. Ich weiß nicht ob es in Eurem Sinne wäre, die anderen Ratsherren auf solch breiter Front Unterstützung zukommen zu lassen. Bei dem Vorschlag von Marix – so sehr ich auch persönlich nichts von dem Mann halte – würdet Ihr den Einflussgewinn der anderen Ratsherren kleiner halten und den Euren größer...“ Die Beirätin nahm einen Schluck aus ihrer Tasse.

„Ja die magischen Schulen, auch hier gebe ich Euch Recht, Verehrteste, die letzten Vorfälle an den magischen Institutionen liegen schon länger zurück, doch befindet sich unsere Heimatstadt an einer strategisch sehr wichtigen Lage. Man kann nicht vorsichtig genug sein.“ Die Stadträtin zog ihre Augenbrauen hoch. „Wie ihr wisst war und ist meine Familie ein großer Fördere der Künste, aber es gilt jedwedes Risiko zu minimieren – und es dürfte für den Stadtrat durchaus vorteilhaft sein ein Auge auf seine ihm untergebenen Institutionen zu haben.“

"Sind sie ihm denn in dem Sinne untergeben? Die Zauberkünstler haben ihre Angelegenheiten bisher stets zu einem großen Teil unter sich geregelt. Sie unterstehen direkt der Reichsgewalt und das ist gut so - ich fürchte sonst ein wahres Kompetenzenwirrwarr und die überflüssige Bindung von Kräften und Aufmerksamkeit. Im übrigen vertraue ich voll und ganz auf die Fähigkeiten der Kirchen, insbesondere die des Götterfürsten. Vielleicht mögt Ihr es darum so wie ich in der Angelegenheit der Söldner halten und überdenkt Eure Position in Bezug auf die Kontrolle der magischen Schulen noch einmal."

„Nun, Euch zu Liebe werde ich noch mal in mich gehen, doch kann ich nichts versprechen. Bin ich doch tief im Inneren meines Herzens davon überzeugt, dass dem Rat in dieser Angelegenheit durchaus Mitbestimmungsrecht zugesprochen werden sollte. Aber wir werden sehen...“Die alternde Adlige konnte von dem Gebäck einfach nicht lassen.

„Da habt Ihr recht. Und es gibt noch andere Dinge, die unsere Aufmerksamkeit lohnen. Ich denke, ich gehe nicht fehl in der Annahme, dass ihr die von Efferdmut Spicking vorgeschlagene Armenspeisung in Pelkerstein als ein erstrebenswertes Werk der Milde und Wohltätigkeit betrachtet?"

„Ja, welch selbstlose Geste. Als ich davon hörte wurde mir wahrlich warm ums Herz.“ Pernilla war sichtlich gerührt und Ginaya konnte erkennen, dass diese Gefühlsregung aufrichtig war.

"Für die Bedürftigen in Pelkerstein wäre das ein Zeichen, dass sich der Stadtrat um die Belange des kleinen Mannes bemüht. Denn ein unzähmbarer Mob kann genauso verheerend sein wie ein verdorbener Zauberkünstler. Natürlich würde es mich einiges kosten, aber ich könnte mir vorstellen, den Vorschlag Spickings im Rat und darüber hinaus zu unterstützen, auch in der Form von Getreidelieferungen. Darum geht sehr genau in Euch, ob Ihr wegen der Magier wirklich solch einen Aufwand betreiben wollt."

„Ich weiß nicht was ich sagen soll“, die Ratsherrin schien innerlich mit sich zu ringen, „aber ich befürchte hier sind mir die Hände gebunden“. Es wirkte so auf Ginaya als ob ihre Gastgeberin gerne anders entschieden hätte, sich aber aus irgendeinen Grund nicht dazu durchringen konnte.

"Das zu hören betrübt mich sehr", Ginaya von Alxertis presste die Lippen aufeinander und für einen Moment herrschte Stille zwischen den zwei Frauen. Doch dann schlich sich ein kleines Lächeln in ihr Gesicht. "Ich glaube, ich könnte wohl dennoch für Spickings Vorschlag votieren. Wenn schon nicht in der Frage der Kontrolle der Magierschulen, könnte ich dann auf Eure Stimme gegen das Ansinnen von Ratsherr Quintian-Hohenfels zählen?

"Das Gemüt der gerade noch in Gedanken mit sich ringenden Ratsherrin erhellte sich wieder etwas. "Verehrte Ginaya, wenn ich Euch schon bezüglich der Magierschulen nicht entgegen kommen konnte, so wir es Euch umso mehr erfreuen, dass ich dem Vorschlag von Ratsherr Quintian-Hohenfels nicht viel abgewinnen kann. Es ist nicht die Zeit für irgendwelche Spielereien mit Steinchen - mögen sie auch noch so alt sein." Pernilla von Zolipantessa lächelte gütig. "Gerne werde ich Euren Beispiel folgen und gegen den Vorschlag stimmen. Wenn dadurch die Armen noch was haben, umso besser."

Die Gastgeberin hatte sich nun wieder gefasst und nahm einen weiteren Schluck aus ihrer Tasse, bevor sie nahezu beiläufig anmerkt: „Aber sagt, brauchen wir wirklich noch einen Schrein des Launenhaften am Darpatufer? Ich bin nicht sicher ob das von Nöten ist, haben wir doch einen wunderschönen Efferd-Tempel.“

"Nun, dabei handelt es sich um ein Projekt, was schon seit längerem das Herz des Reichsvogts bewegt und ich hatte ihm versprochen, dem Rat das Thema noch einmal vorzulegen. Und obgleich die Dinge in den letzten Tagen eine solch unliebsame Wendung genommen haben, fühle ich mich an mein Wort gebunden, dass ich seiner Hochgeboren in einer besseren Stunde so freimütig gab. Der Sache an sich kann ich freilich auch nicht allzuviel abgewinnen, denn die kirchlichen Institutionen sind sehr wohl in der Lage, die geistlichen Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Unter diesen Umständen fühle mich nicht mehr dazu verpflichtet, die Idee auch noch mit meiner Stimme zu unterstützen. Ich hoffe sehr, dass Ihr das genauso halten möget."

„Aus Euch spricht wahrer Edelmut, Verehrteste. In der Bewertung der Sachlage gebe ich Euch vollkommen recht! Ich kann Euch hiermit versichern, dass ich in diesem Falle zu Euren Gunsten entscheiden und ebenfalls nicht für diesen Antrag stimmen werde.“ Und wieder zauberte sich das bekannte Lächeln auf das Antlitz der Beirätin.

"Ich sehe, dass ich mich nicht in Euch geirrt habe und ich freue mich auf eine zukünftige gute Zusammenarbeit mit Euch im Stadtrat", Ginaya erhob sich, "es war mir ein Vergnügen mit Euch zu plaudern."

Ein Diener geleitete Ginaya von Alxertis zur Tür. Als Pernilla schließlich alleine im überaus edel ausgestatteten Salon war, öffnete sich eine der Wandvertäfelungen und Pernillas Tochter Sarina betrat den Raum.

„Du hast dich gut geschlagen, Mutter!“ Selbstverständlich hatte Sarina das Gespräch mit angehört.

„Ach, es ist alles so ermüdend“, erwiderte die nun sichtlich erschöpft wirkende Ratsherrin schwermütig.

„Mutter, du weißt ob deiner Aufgabe!“ Die Stimme der Tochter klang bestimmt und ließ keinen Widerspruch zu.