Geschichten:Plitzenbergs Fallen - Gefallen
„… Stört eine Ogerhochzeit nicht, ist die Moral von der Geschicht!“ Ich lege die Laute zur Seite und grinse fröhlich. ich erinnere mich gern, wie ich mich Ugos Marschallsqueste angeschlossen habe, aus alter Verbundenheit, und dann beinahe in einem ogrischen Kochtopf geendet hätte. Kinder sind das beste Publikum – das habe ich schon immer gefunden. Lechmin strahlt mich mit leuchtenden Augen an, und Ederlinde wischt sich übermütige Lachtränen aus den Augenwinkeln. Sie hat es genossen, ihre ernste Seite vergessen zu dürfen, wieder Kind sein zu dürfen. Für ihre gerade erst 19 Jahre ist sie eigentlich schon viel zu erwachsen. Ihr Bruder hingegen ist schon zwanzig, aber freut sich diebisch über das Lied, schlägt vergnügt auf die Schenkel und ruft: „Nochmal! Nochmal!“
Ich schüttele nachsichtig den Kopf: „Ein anderes Mal, Kinder. Euer Vater wollte noch mit mir sprechen, Außerdem soll ich heute Abend noch dem ganzen Hof vorsingen, und wenn ich jetzt zu viel singe, klinge ich nachher wie Meister Awarißt, wenn der Ofen schlecht zieht!“
„Schade“, mault Drego, aber erhebt sich dann sofort, um zu seinen Freunden zu gehen – lauter Knappen seines Alters wie etwa der forsche Brinwulf von Hirschfurten, Irmhelde von Nuzell oder Barnemunds eigene Knappin Breda von Hartsteen, die sein Freund Rondredt, Bredas Vater, ihm anvertraut hat. Ederlinde folgt ihrem Bruder nach einer Anstandsminute. Sie will sich die Bande um Drego ebenfalls ansehen - immerhin haben Brinwulf und Tresbert von Luring ein Auge auf sie geworfen.
Lechmin bleibt bei mir, krabbelt auf meinen Schoß und schnurrt wie ein Kätzchen. „Ich will gar keine Oger-Geschichte, Onkel Barnemund, ich hätte gerne eine Geschichte mit Pferden.“
Eben will ich anfangen, mir eine Geschichte über Forglanz auszudenken, das Ross von Graf Danos, als Adhemar von Halmenwerth in die Turmkammer kam, einer meiner ältesten Freunde. Er ist jetzt Schwertmeister auf Burg Luring und unter den Rittern eine lebende Legende – wie der Graf selbst, der sich mittlerweile lieber mit „Ritter Danos“ ansprechen lässt als mit seinem Titel.
„Barnemund, kommst du? Ritter Danos bittet dich zu ihm.“
„Natürlich“. Ich schiebe das Mädchen von meinen Knien, packe nur eben meine Laute ein und greife mir mein Schwert – vor Danos darf ein Ritter nicht ohne sein Schwert erscheinen, es sei denn sie wären beide im Bad und wollten nackt sein.
Danos erwartet uns im Hof der Burg, wo ein halbes Dutzend gesattelte Pferde warten. Das Gesicht des Grafen ist geschwollen, wo ihn der Schild des Barons Zornbrecht von Rallerspfort getroffen hat, als dieser im letzten Lanzengang des Luringer Turniers gegen den Grafen und Turniersieger Danos verloren hat.
„Barnemund, ich danke dir“, begrüßt mich der Graf leicht nuschelnd, dessen Bart die ersten grauen Strähnen zeigt. Aber habe ich nicht auch schon graue Schläfen? Letzthin hat jemand auf einer kleinen Burg einige meiner Lieder vorgetragen, nicht ahnend, dass ich anwesend gewesen bin, und den Dichter „Barnemund vom Blitzenden Berg“ als einen greisen Ritter bezeichnet. Ha! Soweit ist es noch lange nicht! Ich bin doch gerade erst von einem echten Abenteuer aus dem Raschtulswall zurückgekehrt!
Mit großer Geste weist Danos auf eine alte Ritterin. Ich schätze sie auf etwa 60 Götterläufe. Sie wirkt gleichwohl rüstig und voll Spannung. Das Ritterdasein hält jung und schwungvoll, wie Danos zu sagen pflegt. Ich stutze innerlich: Irgendwann würde ich einmal diese ganzen Sprüche von Danos aufschreiben müssen. Ich kann ja über das Ritterliche gar nicht mehr reden, ohne Danos zu zitieren; schrecklich. Ich weiß aber auch, dass ich das nie getan habe, diese Niederschrift.
„Das ist Ritterin Racalla.“ Danos hat Mühe mit der Artikulation, die Schwellung hat seine Lippe auf das Doppelte vergrößert. „Sie wird uns begleiten, wenn ich in das Gnadenthal reite.“
„Ach ja, der jährliche Ritt in Gnadenthal“, antworte ich. Ich bin noch nie dabei gewesen, obschon ich zu Danos‘ engsten Freunden gehöre. Nun jedoch geht es los, die Ritter sitzen auf: Danos und Racalla, ich und der lange Odo, die Hausritter Ansbart und Wellmar sowie die Knappen Valtoron und Rondradan.
Der Weg führt von Burg Luringen herab gen Nordwesten zum Basiliskenforst, einem alten Rest des uralten Reichsforstes, an dessen Rand auch meine eigene Burg, die zugige Ruine Ginsterhort steht. Doch verlassen wir nach etwa eineinhalb Stunden den Weg nach Ginsterhort und halten direkt auf den Wald zu. Am Rande ist er licht und luftig, doch weiß ich vom Wald neben meiner Burg, dass recht bald ein so dichtes Unterholz vorherrscht, dass man nur mit Mühen vorwärts kommt, mit Pferden schon gar nicht. Danos führt uns Ritter sicher in den Wald bis zu einer Lichtung, wo ein einzelner Mann auf uns wartet.
Ein Ritter ohne Wappenrock, aber in polierter Rüstung, mit hochgeklapptem Visier und aufrechter Haltung. Ich ziehe überrascht die Augen hoch, als ich den Ritter erkenne: Es ist Perval von Luring-Gareth, den ich seit Jahren schon nicht mehr gesehen habe. Ehedem ein bekannter Turnierritter, ein beinahe besungener Held, ist es still um ihn geworden, und ich habe schlicht vergessen, dass es ihn gegeben hat!
Perval hebt grüßend die Rechte: „Willkommen, o König der Ritter, im Gnadenthal. Er, dessen Hüter wir sind, erwartet dein Kommen. Er, den wir schützen und bewachen, regt sich und windet sich. Ihr kommt zur rechten Zeit.“
Ich wundere sich über das Gesagte, als ich wie die anderen absteige. Ich sehe, dass Danos Odo bedeutet, mit den Rittern hier zu warten. Dann aber winkt er Racalla und mir zu: Kommt mit!
Ich deute noch einmal fragend auf mich, aber Danos lächelt mich schief an, so gut wie es mit der Schwellung eben geht „Ja, komm, Barnemund. Das Gnadenthal dürfen nur wenige Auserwählte betreten, aber Ritterin Racalla hier wird den Hütern beitreten und auf Burg Gnadenthal einziehen. Und du darfst heute auch mit.“ Er hat mittlerweile meinen Arm ergriffen und zieht mich fast hinein ins Dickicht. Ein schmaler Duchlass führt durch die dornenbewehrten Zweige des Unterholzes, so dass wir gut vorankommen. Perval geht voran, dann komme ich, dann Danos, dann Racalla.
Endlich höre ich das Plätschern eines Baches. Und ein Grollen. Oder ein Rumpeln? Die Erde scheint zu zittern. Ich drehe mich zu Danos um, schaue ihn fragend an. Hm?
„Darum bist du dabei, Barnemund. Es ist Hochsommer, und ER wird erwachen, wenn ich ihm als Hüter des Gnadenthals nicht sein Schlaflied vorspiele.“
„Er?“
„Das wirst du dann sehen.“ Danos nestelt im Gehen eine kleine silberne Flöte hervor, die an einer Schnur um seinen Hals hängt. „Siehst du die hier, Barnemund?“
„natürlich. Was ist das?“
„Das ist Ventiabelyth. Ich trage sie immer bei mir. Und ich muss sie spielen, damit er nicht aufwacht.“
„Aha“, brumme ich. Ich habe keine Ahnung, was ich hier soll. Ich sage es auch.
„Du musst mir einen Gefallen tun, Barnemund. Du kannst doch eine Melodie nachspielen, wenn du sie gehört hast?“
„Jaaa…“
„Gut, ich werde dir gleich eine Melodie vorsummen. Und du musst sie auf der Flöte nachspielen. Exakt so, wie ich sie dir vorgesummt habe.“
„Den Gefallen tu ich dir gerne, Danos. Mit deiner Lippe kannst du unmöglich Flöte spielen.“
„Eben.“
„Und wenn ich den Ton nicht treffe?“
„Du musst“, antwortet Danos mit blitzendem Auge. „Sonst wacht er auf und verwüstet die Goldene Au!“
Ich habe das Gefühl zu fallen und mir wird schwarz vor Augen.