Geschichten:Rabenhorster Gespräche - Punipan

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„Habt Ihr sie dabei?“ Die Stimme des Sprechers vibrierte vor Aufregung, während der Geweihte sich noch damit abmühte, den prallen Beutel durch die Tür zu manövrieren.

„Ja. Aber Ihr bekommt sie erst, wenn Ihr Euch an unsere Abmachung gehalten habt!“ Vorsichtig stellte der Geweihte den Beutel auf einem Stuhl ab, dann zog er langsam und behutsam Schachteln, Tiegelchen und metallene Formen aus seinem Sack, die er auf dem zwischen ihnen stehenden Tischchen aufbaute. Ganz zum Schluss entnahm er dem Bündel eine kleine Pappschachtel und legte sie außer Reichweite des Gefesselten, der das kleine Päckchen nicht aus den Augen ließ, während ein paar Wassertröpfchen in seine Mundwinkel traten.

„Also gut. Macht mir den einen Arm los und gebt mir einen Löffel, dann können wir anfangen.“

Behutsam löste Cundrîus Ährenstein die Handfessel und reichte dem Mann vor sich einen silbernen Löffel, den er auf ein kleines Samtkissen mit einer Getreidestickerei gelegt hatte. Ein prüfender Blick seines Gegenübers fiel auf die Stickerei, dann überzog ein Lächeln die Wangen des Gefesselten.

„Tante Luzelinde, wenn ich nicht irre. Und der Löffel dürfte zum Familiensilber gehören.“

Cundrîus nickte, während er mit ansah, wie der Mann vorsichtig den Löffel in eine der Formen schob, ein Stück herausstach, den Inhalt auf Augenhöhe hob und erst neugierig betrachtete, um dann die Nase daran zu halten und mit halb geschlossenen Augen den Duft einzusaugen. Plötzlich öffnete sich das eine Auge sehr weit und fasste sein Gegenüber in einen zwingenden Blick, während sich die fleischigen Lippen um den Löffelinhalt schlossen. Ein leichtes Schnaufen ertönte, dann weitete sich die Iris überrascht und der Mund begann eine vorsichtige Kaubewegung. Ein leises Stöhnen aus der Körpermitte wurde mit einem feinen Schmatzen beantwortet, als sich wieder das Auge, fast anklagend, auf Cundrîus richtete.

„Ihr habt Talent.“

Die Bemerkung zauberte ein feines Lächeln auf das Gesicht des Geweihten, doch er schwieg und beobachtete die Reaktionen auf dem Gesicht seines Gegenübers als hinge sein Leben davon ab.

„Ein ganz kleines bisschen roten Pfeffers und eine Prise Arangenschale und es wäre perfekt.“

Cundrîus nickte und schrieb in ein winziges Buch, das er fast verschämt aus der Tasche gezogen hatte und auf dem nun der Blick des Gefangenen missbilligend ruhte.

„Wenn Ihr nicht in der Lage seid, dies im Kopfe zu behalten, wie wollt Ihr dann jemals eine richtige Zunge ausbilden? Rezepte sind etwas für schwache Leute. Der wahre Koch kann mit seinen Sinnen jede noch so feine Nuance wahrnehmen und ist in der Lage, beim ersten Schmecken ein Gericht bis auf die Graneinheiten zu deduzieren. Haltet Euch nicht mit dem Schreiben auf. Trainiert eure Sinne. Eine junge Braut schmeckt am besten, wenn man sie bei Vollmond an einem ganz frühen Morgen bei Taufall geerntet hat. Bedenke dabei, mein Junge, dass der Tod stressfrei erfolgen sollte. Ich empfehle das Kissen. Das ist immer zur Hand und hinterlässt keine Flecken auf dem Bettzeug.“

Cundrîus versuchte, alle Implikationen auszuschalten. Was hatte er alles auf sich genommen, um IHN zu sehen und SEINE Rezepte zu erhalten. Nicht die so ganz Speziellen. Die würde er sicherlich demnächst vernichten. An die Zutaten war nicht heranzukommen und… halt. Dies war nicht sein Vokabular! Seit einiger Zeit schon hatte er fortwährend das Gefühl, als werde er langsam mit einer feinen Schmutzschicht überzogen, die sich ihm in Mund, Nase und Augen legte und einen Teil seiner Wirklichkeit hartnäckig trübte. Aber die Erfolge, die er in letzter Zeit erzielt hatte, die Geschmacksexplosionen, zu denen er plötzlich imstande war, die Gerichte, bei denen einem die Tränen in die Augen stiegen, das war es wert. Mehr noch: das war ALLES wert.

„Ein wenig Pimpinelle und Knoblauchrauke, etwas Zitronenmelisse und ein winziges Quantum an Hirschhornsalz…“ Der Gefangene probierte sich durch die Gerichte, schnupperte, besah, kostete und immer wieder entfuhr ihm ein Schnaufen höchster Beglückung, wenn sich die fleischigen Lippen um eine neuerliche Köstlichkeit schlossen.

Endlich legte er den Silberlöffel vorsichtig zur Seite und blickte den Geweihten mit schiefgelegtem Kopf an. „Wenn ich es nicht ganz genau wüsste, würde ich schätzen, dass etwas von meinem Blut in Euren Adern fließt, mein Lieber.“

Cundrîus spürte, wie eine Gänsehaut seine Arme entlanglief. Ob aus Vergnügen oder Abscheu konnte er nicht verifizieren. „Alles ist exzellent gekocht und bei allem fehlt lediglich ein winziges Maß an Raffinesse um es in den Adelsstand zu erheben.“ Cundrîus klappte sein Büchlein zu und nickte, während er sich daran machte, die Speisen wieder in seinen Beutel zu räumen, bis nur noch die Pappschachtel übrigblieb.

„Und nun die Bezahlung.“

Cundrîus nickte und öffnete vorsichtig den Deckel. „Ich habe alles so gemacht, wie Ihr es mir aufgetragen hattet. Der Zuckerbäcker meinte, er habe selten Gebäck aus Punin liefern lassen, aber er könne nun nachvollziehen, warum Ihr genau dies hättet haben wollen.“

Das Gesicht seines Gegenübers entgleiste, was Condîus ein besänftigendes Lächeln aufzwang. „Er hatte direkt mehrere Exemplare bestellt und Eures nicht angerührt. Ich muss allerdings zugeben, dass ich dieses Exemplar hier von einem Magister untersuchen lassen musste.“

Sein Gegenüber blickte vielsagend auf seine Umgebung und die gefesselte eine Hand und nickte verständig. Dann richtete er seine Augen auf die elfenbeinfarbene Oberfläche mit der kleinen, verspielten Borte aus brauner Schokolade, wohl aus dem fernen Moha-Land importiert. Er kniff seine Augen ein wenig zusammen und studierte die Pracht eingehend, während sich auch Cundrîus vorbeugte und die kleinen, tanzenden Männchen besah, die sich um das winzige Kunstwerk der Puniner Zuckerbäckerkunst herum wanden. Ihn umwehte ein sanfter Geruch nach Bittermandel und Zucker.

Anfortas lächelte verzückt, während er vorsichtig das Gebäck anhob und seinem Mund entgegenreckte: „Das ist ja geradezu wundervoll!“



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Texte der Hauptreihe:
K2. Bries
Bor 1038 BF
Punipan
Falscher Hase


Kapitel 4

Autor: Wertlingen